Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Abrechnung

Vertrauen ist in jeder Beziehung wesentlich. Das lässt sich an zwei Beispielen gut erläutern. Wer der Politik vertraut, hält sich (überwiegend) an die Vorschriften zu Corona. Wer kein Vertrauen in die etablierte Politik hat, schert sich meist einen Teufel um die Vorschriften.

In der Medizin ist es auch nicht viel anders. Sie alle, liebe Kollegen und Kolleginnen, wissen, dass Blutzuckertagebücher bei manchen Patienten mehr „fake news“ als real gemessene Werte enthalten. Das fällt auf, wenn man die eingetragenen Daten mit denen aus dem Blutzuckermessgerät vergleicht. Aus welchen Gründen auch immer falsche Werte eingetragen wurden, ist ziemlich egal. Es bringt sehr wahrscheinlich auch nichts, den Patienten mit dem Wissen zu konfrontieren, dass er keine realen Messwerte, sondern Wohlfühllyrik aufgeschrieben hat. Entscheidend ist, dass der Patient begreift, dass die Eintragung seiner Sicherheit dient und der Arzt nicht kontrollieren will, ob er sich artig verhält.

Arztbesuch

Wir alle haben schon einen Eindruck, bevor der Patient oder die Patientin sich im Sprechzimmer setzt. Neben der Statur sehen wir den Gang und die Beweglichkeit. Corona-bedingt fällt der Händedruck weg, der auch sehr viel über die Person aussagt. In mehr als zwei Dritteln der Fälle steht die Verdachtsdiagnose schon nach der Anamnese fest. Bis zu 15 Prozent trägt die körperliche Untersuchung dazu bei. Das bedeutet, dass eine kostenintensive weiterführende Diagnostik nur rund 20 Prozent zur Diagnose beiträgt.

Anamnese und körperliche Untersuchung werden über die Versicherten- oder Grundpauschale abgerechnet.

Vertrauen

Abhängig vom Vertrauen bekommt der Arzt also vom Patienten mehr oder weniger Information. So dauert es häufig sehr lange, bis ein Patient ungewollten Urinverlust von sich aus anspricht, weil es ihm peinlich ist. Denn die Patienten wissen einerseits von ihrer Inkontinenz und ziehen sich deshalb oft sozial zurück, andererseits ist der ammoniakalische Geruch eindeutig. Bei der ärztlichen Ansprache ist also viel Fingerspitzengefühl nötig.

Psychosomatische Erkrankungen und Anamnese

Das eben erwähnte Problem gibt es auch bei psychosomatischen Erkrankungen. Da klagt ein Patient über bestimmte Beschwerden, aber letztlich passen die verbale Information und Gestik sowie die Untersuchungsbefunde nicht zusammen. Erste Anlaufstation ist in aller Regel die hausärztliche Praxis.

Der Blick in die Leitlinie geht von einer Häufigkeit funktioneller Körperbeschwerden von rund zehn Prozent in der Bevölkerung aus. In Hausarztpraxen wird eine Häufigkeit von 20 bis 50 Prozent angegeben. Das bedeutet, man sollte immer im Hinterkopf haben, dass die geklagten Beschwerden auch psychisch verursacht sein könnten.

Zulassung und Qualifikation

Trotz identischem Vorgehen wird bei psychosomatischen Erkrankungen mit der gesetzlichen Krankenversicherung unterschiedlich abgerechnet, wie nachfolgend erläutert. Stand 31. Dezember 2019 hatten 79 Prozent der Hausärzte eine Genehmigung die psychosomatische Grundversorgung abzurechnen, wie die KBV (Kassenärztliche Bundesvereinigung) auf Anfrage erklärt. Ein orientierender Blick in einzelne Hausarztverträge zeigt, dass bei der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) die entsprechende Qualifikation Voraussetzung für die Teilnahme ist.

Generell wird bei einem kurativen Arzt-Patienten-Kontakt (APK) die Versicherten- oder Grundpauschale abgerechnet. Dieser APK muss aber persönlich sein – also gleicher Raum, gleiche Zeit und Interaktion, wie in 4.3.1 der allgemeinen Bestimmungen des einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) gefordert.

Qualifikation Psychosomatik
In der Psychotherapie-Vereinbarung § 5 Abs. 6 sind die Grundvoraussetzungen für die psychosomatische Grundversorgung aufgelistet. Dazu gehören:

  • Modul I mit den theoretischen Voraussetzungen (20 Stunden)
  • Modul II mit der Handlungskompetenz und Gesprächsführung (30 Stunden)
  • die Arbeit in einer Balintgruppe (30 Stunden)

Da die Information jeweils verarbeitet werden muss, ist für die Arbeit in der Balintgruppe ein Mindestzeitraum von einem halben Jahr vorgegeben (Kursbuch Psychosomatische Grundversorgung).

Abrechnung der Anamnese

Wer keine Genehmigung zur Abrechnung der psychosomatischen Grundversorgung hat, rechnet die Versicherten- oder Grundpauschale nach der entsprechenden Gebührenordnungsposition (GOP) ab. Als Hausarzt kann er im weiteren Verlauf zusätzlich das problemorientierte Gespräch nach GOP 03230 abrechnen (als Pädiater die GOP 04230). Das ist je vollendete zehn Minuten möglich. Diese GOP wird aber pro Quartal maximal mit der Gesamtsumme von 96,5 Punkten pro Behandlungsfall vergütet (Stand 02/2021). Diese Regelung betrifft nur rund 20 Prozent der Hausärzte.

Wer wie die Mehrzahl der Hausärzte die psychosomatische Grundversorgung abrechnen kann, rechnet neben der Versichertenpauschale die GOP 35100 ab. Diese GOP beinhaltet die differentialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände. Dabei müssen die obligaten Leistungsinhalte dieser GOP, die unten aufgelistet sind, erfüllt sein. Wichtig ist dabei die Prüfzeit. Wenn mehrere GOP in einer Sitzung erbracht werden, muss die benötigte Zeit mindestens so lang sein wie die aufsummierten Prüfzeiten aus Anhang 3 des EBM. Bei nur einem APK im Behandlungsfall muss dementsprechend die gesamte Behandlungsdauer an diesem Tag erbracht worden sein, also die Prüfzeiten der GOP, die ins Tages- und Quartalsprofil fallen. Wichtig ist außerdem eine schlüssige Kodierung. Es wird zunehmend geprüft, ob Kodierung und abgerechnete Leistung zueinander passen.

Beispiel Kodierung

Bei einem Patienten wird ein Reizdarmsyndrom mit K58.8 oder aber eine funktionelle Darmstörung mit K59.9 kodiert. Wenn das die alleinige Kodierung in der Abrechnung ist, wird bei der Prüfung der Abrechnung eine angesetzte GOP 35100 sicher gestrichen. Der Grund: Es fehlt die Kodierung der psychosomatischen Krankheit. Das kann zum Beispiel beim Reizdarmsyndrom die F54 sein, die psychische oder Verhaltensstörungen bei andernorts klassifizierten Erkrankungen kodiert. Es kann aber auch eine Somatisierungsstörung nach F45.- sein, die zum Beispiel zur funktionellen Darmstörung passen könnte. Einfach gesprochen: Ohne einen plausiblen F-Kode bei den Abrechnungsdiagnosen ist weder die GOP 35100 noch die 35110 abrechenbar.

Behandlung Psychosomatik

Laut Leitlinie verringern psychosomatische Erkrankungen nicht die Lebensdauer, sehr wohl aber die Lebensqualität. Experten betonen, dass man als Arzt die Probleme von Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen ernst nehmen müsse. Gleichzeitig müsse ihm aber auch vermittelt werden, dass er daran nicht sterben wird. Dazu gehört auch, dass man nicht erst mit maximaler Diagnostik alle somatischen Ursachen ausschließt, sondern frühzeitig auch psychosomatische Erkrankungen mitbedenkt. Denn die reine Fokussierung auf somatische Erkrankungen fixiert die Krankenrolle, in der sich manche Personen wohl fühlen.

Schon Sigmund Freud hat die Sorge thematisiert, bei Fokussierung auf die Psychoanalyse somatische Befunde zu übersehen.

Der Autor selbst kennt den kuriosen Fall eines Tierarztes, bei dem genau das passierte. Er hatte wegen Bewegungsstörung beider Beine, Rückenschmerzen und im weiteren Verlauf erektiler Dysfunktion sowie Harn- und Stuhlinkontinenz in insgesamt neun Monaten mehrere Fachärzte aufgesucht, die alle nichts fanden und ihn als psychiatrischen Fall einordneten. Dann diagnostizierte ein Neurologe einen gutartigen Tumor im Zentralkanal des Rückenmarkes. Nach dessen operativer Entfernung verchwanden alle Beschwerden.

Abrechnung der Behandlung

Die wesentliche Behandlung psychosomatischer Erkrankungen besteht in der verbalen Intervention. Wer nicht die GOP der psychosomatischen Grundversorgung abrechnen kann, kann sich als Hausarzt – allerdings eingeschränkt – mit dem problemorientierten hausärztlichen Gespräch bei der Abrechnung behelfen. Wahrscheinlich ist es sinnvoller, solch einen Patienten an einen entsprechend qualifizierten Kollegen zu überweisen.

Die verbale Interaktion wird mit GOP 35110 abgerechnet, wenn alle obligaten Inhalte erfüllt sind. Das setzt natürlich voraus, dass der psychosomatische Krankheitszustand vorher differentialdiagnostisch abgeklärt wurde. Kürzlich fragten Kollegen bei uns an, ob die GOP 35100 und 35110 in einer Sitzung abgerechnet werden dürfen. Ganz klar nein, denn nach dem EBM dürfen beide GOP nicht nebeneinander abgerechnet werden. Das nebeneinander bezieht sich aber nur auf eine Sitzung, da in der Legende bei der GOP kein Zeitraum angegeben ist. Sie dürfen also durchaus in zwei zeitlich voneinander getrennten Sitzungen an einem Tag die 35100 und anschließend die 35110 abrechnen. Sie können auch die 35110 bis zu dreimal am Tag abrechnen.

Aber Achtung: Anders als bei der GOP 03230, die Sie für ein Gespräch von 32 Minuten dreimal abrechnen dürfen, erfordert die mehrfache Abrechnung der 35110 zeitlich getrennte Sitzungen. Zu Ihrer Sicherheit dokumentieren Sie die Zeiten, wenn Sie 35100 und 35110 an einem Tag abrechnen oder die 35110 mehrfach am Tag. Zudem muss auch bei Abrechnung der 35110 eine plausible F-Diagnose kodiert sein.

Gebührenordnungspositionen
GOP Legende Obligater Inhalt Bewertung Prüfzeit (min.)
35100 Differentialdiagnostische
Klärung psychosomatischer
Krankheitszustände
  • Differentialdiagnostische Klärung
    psychosomatischer Krankheitszustände
  • Schriftlicher Vermerk über ätiologische Zusammenhänge
  • Dauer mindestens 15 Minuten
193 Punkte 15
35110 Verbale Intervention
bei psychosomatischen Krankheitszuständen
  • Verbale Intervention bei psychosomatischen
    Krankheitszuständen
  • Systematische Nutzung der Arzt-Patienten-
    Interaktion
  • Dauer mindestens 15 Minuten
193 Punkte 15

Videosprechstunde
Vieles, aber nicht alles, ist durch SARS-CoV-2 auch als Videosprechstunde möglich.

  • So kann die verbale Intervention bei psychosomatischen Erkrankungen auch per Videosprechstunde erbracht werden (GOP 35110).
  • Davon ausgeschlossen ist aber die differentialdiagnostische Klärung (GOP 35100).

Autor: Dr. med. Ulrich Karbach