Schutzimpfung gegen das COVID-19-Virus bei Kindern und Jugendlichen: Haftungsrisiko für Ärzte?
A&W RedaktionDie Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) empfiehlt die Schutzimpfung gegen das COVID-19-Virus für 12- bis 17-Jährige nur, wenn diese unter einer besonderen Vorerkrankung leiden. Wenn es nach der Politik geht, sollen jedoch auch gesunde Kinder geimpft werden. Bei gesunden Minderjährigen begeben sich Ärzte allerdings rechtlich auf dünnes Eis, meint Straf- und Medizinrechtler Christof Zuberbier. Auch wenn bei vielen Jugendlichen ein Impfwunsch besteht, wiegt das Risiko der Ärztinnen und Ärzte derzeit schwer.
Die Empfehlung der Stiko umfasst insgesamt 12 Erkrankungsgruppen. Dazu zählen unter anderen Adipositas, Diabetes, Herzinsuffizienz, Herzfehler, chronische Lungenerkrankungen und Trisomie 21. Eine aktuelle Auswertung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) zeigt, dass etwa zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen, die zwischen 12 und 17 Jahre alt sind, unter mindestens eines der STIKO-Risikomerkmale fallen. Bundesweit sind das etwa 452.000 Betroffene. 45 Prozent davon sind Kinder und Jugendliche, die unter asthmatischen Erkrankungen leiden.
Geht es allerdings nach Politikern wie dem Gesundheitsminister Jens Spahn oder dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach, sollen möglichst schnell möglichst viele Kinder und Jugendliche geimpft werden. Beide machen sich öffentlich dafür stark, dass die STIKO ihre Empfehlungen zur Schutzimpfung gegen das COVID-19-Virus entsprechend ändert. Man könnte auch sagen, sie setzen sie politisch unter Druck. Hintergrund ist die zunehmende Ausbreitung der besonders ansteckenden Delta-Variante.
Parallel ist dieser Tage zu lesen, die Haftungsfrage sei geklärt. Sollen sich Pädiater und Pädiaterinnen also auf entsprechende Anfragen einlassen? Medizin- und Strafrechtler Christof Zuberbier mahnt zur Vorsicht. Ein Schaden käme den impfenden Arzt teuer zu stehen, argumentiert der Rechtsanwalt aus Rügen.
Herr Zuberbier, der Gesetzgeber hat Ärztinnen und Ärzte doch aus der Haftung genommen, oder?
§ 60 des Infektionschutzgesetzes (IfSG) ist bloß ein Beruhigungspflaster. Er nimmt zwar ein wenig die Last hinsichtlich der Versorgungsansprüche im Falle eines Schadens. Sämtliche Ansprüche deckt er aber nicht ab.
Was könnte denn passieren, wenn einem Kind oder Jugendlichen ein Impfschaden entstünde?
Wir wissen noch viel zu wenig über etwaige Langzeitfolgen. Nehmen wir an, etwas geht schief. Dann wäre unter Umständen ein Schmerzensgeld fällig, denn der deliktische Anspruch bleibt vollumfänglich neben den Versorgungsansprüchen bestehen. Geregelt wird das grundsätzlich in § 823 BGB Abs. 2. Wenn jemand eine Straftat begeht zum Nachteil einer Person, die dadurch einen Schaden erleidet, dann ist die ausführende Person selbstverständlich auch zivilrechtlich schadenersatzpflichtig.
Aber jemanden zu impfen ist doch keine Straftat?
Schadenersatzansprüche setzen natürlich Schaden voraus. Wir sprechen hier von einer Personengruppe, die durch COVID-19 ungefährdet ist. Kinder gehen durch die Impfung ein größeres Risiko ein, als es der Schutz rechtfertigt. Das ist der strafrechtlich interessante Aspekt.
Welche rechtlichen Konsequenzen wären denn konkret denkbar?
Da wäre zunächst der Bereich der Fahrlässigkeit, das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Die objektive Sorgfaltspflicht bedeutet für Ärztinnen und Ärzte, dass sie sich informieren müssen. Das Risiko einer Impfung muss geringer sein als das Risiko, vor dem geschützt wird. Sonst begeht man einen Fehler. Wer sich nicht informiert, hat im Falle eines Falles Pech gehabt und muss trotzdem haften. Nehmen Sie als Beispiel die Herzmuskelentzündungen, für die sich ein umso höheres Risiko nach einer mRNA-Impfung abzeichnet, je jünger die männlichen Patienten sind. Auch wenn die Myokardien bislang in der Regel unkompliziert verliefen: Was machen Sie, wenn ein zuvor kerngesundes Kind auf dem Fußballplatz plötzlich umfällt?
Aber die Aufklärung und die Risikoakzeptanz des Patienten entlasten doch den Arzt?
Auf gar keinen Fall sollte bei Minderjährigen auf das Aufklärungsgespräch verzichtet werden, selbst wenn dies ausdrücklich gewünscht wird. Der Arzt muss persönlich und vollumfänglich über die Risiken und die Vorteile belehren. Ein rasch vorgelegter Zettel reicht nicht und eine Unterschrift auf dem Aufklärungsbogen ist kein Beweis, sondern nur ein Indiz dafür, dass eine Aufklärung stattgefunden hat.
Wie ergebnisoffen sollte die Aufklärung hier sein?
Der Arzt muss seinen Patienten in die Lage versetzen, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Aber zu welchem Ergebnis muss er im Rahmen einer solchen Belehrung bei Kindern kommen? Der Arzt müsste sich an die Eltern wenden und fragen: „Ist es Ihr Ernst, dass Sie Ihr gesundes Kind impfen lassen wollen? Obwohl wir nicht sagen können, wie die Impfstoffe auf Ihr Kind wirken? Und obwohl Sie sicher sein können, dass es an COVID-19 nicht versterben wird?“
Wenn Eltern sich selbst als Teil der Risikogruppe begreifen, ist das ein Grund, das Kind zu impfen?
Selbstverständlich nicht. Der Arzt muss entscheiden, was für das Kind richtig ist. Solange alles gut geht, passiert zwar auch nichts. Doch lassen Sie einmal den ersten schweren Impfschaden identifiziert sein. Dann geht es unter Umständen um Körperverletzung mit Todesfolge, bei Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung.
Wie ist es, wenn nur ein Elternteil mit dem Kind in der Praxis erscheint und die Impfung wünscht?
Obacht, heutzutage ist jede fünfte Familie in Deutschland eine Trennungsfamilie. Und die Krise inklusive Homeschooling hat Alleinerziehende besonders hart getroffen. Da kann der Wunsch, der Misere mit einem vermeintlich einfachen Piks ein Ende zu setzen, ausgeprägt sein.
Aber würde die Zustimmung eines Elternteils grundsätzlich reichen?
Bei intakten Familien kann ein Arzt vom Einverständnis des anderen Elternteils ausgehen. Bei Trennungsfamilien sollte unbedingt auch der andere Elternteil gefragt werden. Das nimmt jedoch nicht die Hürde, dem gesunden Kind klipp und klar zu sagen: „Du bist nicht gefährdet. Wenn andere aus deiner Familie gefährdet sind, können sie sich impfen lassen.“
Was, wenn das Kind heimlich kommt und die Impfung will?
Ich kann Ärztinnen und Ärzten nur raten, in dieser neuartigen Situation ausschließlich im Beisein der Eltern zu agieren. Selbst bei 15-Jährigen können Sie einen Wunsch nach einer COVID-19-Impfung derzeit nicht bewerten wie die Bitte um eine von der STIKO empfohlene Routineimpfung. Es ist auch etwas anderes als bei einem 15-jährigen Mädchen, das sich vielleicht heimlich die Pille beim Frauenarzt verschreiben lässt. Gegen COVID-19 wird aktuell ein Impfstoff verimpft, von dem wir mangels Langzeitstudien noch nicht wissen, wie er sich auswirkt.
Wie können sich Ärztinnen und Ärzte am besten absichern?
Sie sollten sich die Sicherheitsberichte des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) und die statistische Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer schweren Nebenwirkung genau anschauen. Bei einer statistisch bedeutsamen Wahrscheinlichkeit wird es vor der Staatsanwaltschaft nichts nützen, mit blindem Vertrauen in die bedingt zugelassenen Impfstoffe zu argumentieren.
Aber im Zweifel haben es doch die Eltern entschieden.
Wenn das Kind einen Schaden hat, sind beide Parteien betroffen: Arzt und Eltern. Selbiges gilt beispielsweise für Schulleiter, die jenseits der STIKO-Empfehlung mit dem Gedanken spielen, Reihenimpfungen zu organisieren. Sie wären Gehilfe oder Anstifter, im Strafrecht werden sie aber fast genauso behandelt wie der Haupttäter.
Momentan erscheinen die Sicherheitsberichte eher unregelmäßig. Wie oft muss man hineinschauen?
Ärzte müssen sich immer auf dem aktuellsten Stand halten! Es ist höchst bedauerlich, dass der Outcome der Impfungen derzeit nicht so zeitnah erfasst und an die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) weiter kommuniziert wird, wie es bei der Mobilisierung der Massen wünschenswert wäre. Das ZDF berichtete kürzlich von einer Überlastung des PEI. Demnach habe es allein im Mai 4.000 Meldungen für schwerwiegende Reaktionen gegeben.
Der Verlust gesunder Lebensjahre wäre bei Minderjährigen hoch …
Bei einem schweren Schaden ginge das Schmerzensgeld in Millionenhöhe, auch in Deutschland, wo dieses ja eher zurückhaltend gezahlt wird. Käme es durch eine ungerechtfertigte Impfung zu einer Schädigung der Gesundheit, würden gegebenenfalls die §§ 223–227 StGB greifen. Bei Todesfolge sind auch Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren, gegebenenfalls sogar mehr möglich.
Was genau könnte Ärztinnen und Ärzten vorgeworfen werden?
Eine ungerechtfertigte Impfung ist sofort eine vorsätzliche Körperverletzung. In § 223 geht es um Körperverletzung mit Schädigung der Gesundheit, in § 226 um schwere Körperverletzung beispielsweise mit Erblindung, Lähmung, Behinderung, § 227 betrifft die eben erwähnte Körperverletzung mit Todesfolge. Die Verjährungsfrist beträgt bis zu 10 oder sogar 20 Jahre. Wie die Rechtsprechung dann aussieht, wissen wir nicht.
Nebenwirkungen von COVID-19-Impfstoffen |
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Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) ist das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneistoffe. Es erfasst und bewertet Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach Impfungen zum Schutz vor COVID-19. Der aktuellste Sicherheitsbericht umfasst den Berichtszeitraum 27. Dezember 2020 bis 31. Mai 2021. Darin heißt es: „In den vergangenen Wochen erhielt das Paul-Ehrlich-Institut zunehmend Meldungen über den Verdacht einer Myokarditis oder Perimyokarditis im zeitlichen Zusammenhang mit der Verabreichung von COVID-19-mRNA-Impfstoffen, insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die berichteten Fälle traten in Übereinstimmung mit anderen, internationalen Daten überwiegend bei männlichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen ab 16 Jahren auf. Sofern der Verlauf der Erkrankung ausreichend dokumentiert wurde, sprachen die Patientinnen und Patienten, die zur medizinischen Versorgung vorgestellt wurden, zumeist gut auf Medikamente und Ruhe an und zeigten rasche Besserung der Symptome. Erste Symptome der Erkrankung zeigten sich typischerweise innerhalb weniger Tage nach der mRNA-COVID-19-Impfung.“ |
Rechtsanwalt Christof Zuberbier
- Fachanwalt für Strafrecht auf Rügen
- Schwerpunkte unter anderem Medizinrecht, Arzt-Haftpflichtfragen
- durchgeimpft, grundsätzlich Impfbefürworter, warnt Ärztinnen und Ärzte vor unbedachten Sprüngen im juristischen Neuland.