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Geldanlagen

Szenario 1: Realzinsen sinken ins Bodenlose

Die Unterbrechung der Lieferketten, deutlich höhere Energiepreise, eine ultralockere Geldpolitik – all das hat die Verbraucherpreise nach oben getrieben, als sich die Wirtschaft nach dem globalen Lockdown erholte. Die westlichen Notenbanken gehen davon aus, dass dieser Anstieg der Inflationsraten auf vier bis fünf Prozent bald abflacht und die Probleme sich auflösen werden – auch wenn die Erzeugerpreise im Oktober so stark gestiegen sind wie seit 1951 nicht mehr.

Doch was geschieht, wenn die Geldentwertung den Experten zum Trotz auf diesem Niveau verharrt oder sogar weiter anzieht? „Dann könnte es recht ungemütlich werden“, sagt Andreas Glogger von der Glogger & Partner Vermögensverwaltung in Krumbach. Entscheidend sei dann, ob Fed und EZB ihr Anleihen-Kaufprogramme erneut anwerfen, um so die Marktzinsen unten zu halten. Falls dieses Vorhaben gelingt, dürfte der Realzins – also die Differenz zwischen dem nominalen Zinsniveau und der Inflationsrate – noch deutlicher in negatives Terrain rutschen. Davon profitieren manche Anlageklassen, andere wiederum kommen unter die Räder.

Gewinner: inflationsgeschützte Anleihen, Aktien (mit Preissetzungsmacht), Gold, Immobilien

Verlierer: Cash auf dem Konto, festverzinsliche Staatsanleihen

Wahrscheinlichkeit: 30 Prozent

Szenario 2: Leitzins wird nach Preis-Lohn-Spirale deutlich erhöht

Unter Umständen könnte aufgrund der Inflation auch eine Preis-Lohn-Spirale als Wiedergänger der 1970er-Jahre in Gang kommen: „In der aktuellen Gemengelage könnten dauerhaft höhere Konsumentenpreise zu hohen Lohnforderungen führen, insbesondere weil die Zahl der Arbeitswilligen nach der Pandemie geringer ist als zuvor. Das stärkt die Macht der Arbeitnehmer“, erklärt Michael Thaler von TOP Vermögen mit Sitz in Starnberg. Bei deutlich höheren Löhnen aber wird die Rentabilität der Unternehmen zwangsläufig sinken. Folge: Die recht ambitionierten Bewertungen am Aktienmarkt können sich als übertrieben erweisen, die Kurse in der Folge sinken. Dies vor allem dann, wenn die Notenbanken, die bei einer solchen Preis-Lohn-Spirale mit dem Rücken zur Wand stehen, die Zinsen in schnellen Schritten anheben. „Dann wäre sogar eine Rezession und ein Einbruch am Aktienmarkt wahrscheinlich“, so Vermögensverwalter Thaler.

Gewinner: Cash auf dem Konto, neu emittierte festverzinsliche Staatsanleihen

Verlierer: Aktien, Gold, Immobilien

Wahrscheinlichkeit: 20 Prozent

Szenario 3: Aktienmarkt legt stärker zu, als die meisten erwarten

Vielleicht haben auch die Notenbanker recht, und die Inflation pendelt sich nach wenigen Monaten zwischen 0,5 und 1,5 Prozent ein, sodass die Zinsen nicht erhöht werden. Zu dieser leicht erhöhten Geldentwertung gesellt sich dank der Covid-Pandemie eine gesteigerte Produktivität und Robustheit der Unternehmen. So hat die Digitalisierung die Prozesse in vielen Firmen effizienter gemacht. Und robuste Lieferketten führen zunächst zwar zu höheren Kosten, schützen auf Dauer aber gegen schmerzhafte Umsatzeinbrüche. „So gerüstet und dank der aufgestauten Nachfrage der Konsumenten könnten die Gewinne der Unternehmen in den nächsten Monaten stärker zulegen, als es die meisten heute erwarten. Das dürfte die Aktienmärkte antreiben“, so Andreas Glogger.

Gewinner: Aktien (breiter Markt), Gold, Immobilien

Verlierer: festverzinsliche Anleihen

Wahrscheinlichkeit: 50 Prozent

Szenario 4: Der Bitcoin wird Gewinner des Jahres 2022

Eine Anlageklasse, die immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist der Bitcoin. Der Grund dafür sind die starken Gewinne, die Anleger in den vergangenen Jahren mit der Krypto-Währung machen konnten. Nach Einschätzung von Experten hat der Bitcoin das Potenzial, langfristig zu einer weltweit anerkannten Reservewährung zu werden, analog zu Gold oder dem US-Dollar. „Vom Dollar unterscheidet den Bitcoin die Tatsache, dass die Menge an Bitcoins auf 21 Millionen begrenzt ist. Sollte der Bitcoin zunehmend den Status von Geld erlangen, muss sich dies in einem weiteren deutlichen Anstieg des Dollarpreises äußern“, sagt Michael Thaler. Ob schon 2022 der Sprung über die Marke von 100.000 Dollar gelingt, ist fraglich. Dem Vermögensprofi erscheint für Mutige ein Depotanteil am Bitcoin von bis zu zwei Prozent als vertretbar. So stehe einem moderaten Verlustrisiko die Aussicht auf eine mögliche Vervielfachung des Einsatzes gegenüber.

Gewinner: Bitcoin

Verlierer: Dollar, Euro, andere Fiat-Währungen

Wahrscheinlichkeit: 35 Prozent

Szenario 5: Die Immobilienmärkte tauchen ab

Die Europäische Zentralbank (EZB) warnt jetzt vor ihrer eigenen Geldpolitik: Die Verwundbarkeit der Immobilienmärkte in Europa nehme zu, hieß es im Stabilitätsbericht zum Finanzmarkt. Dazu kommt es vor allem wegen des seit Jahren andauernden Nullzinses und der billionenschweren Anleihe-Kaufprogramme. „Die EZB-Politik führte dazu, dass sich professionelle und private Anleger auf der Risikoleiter nach oben bewegen mussten, da sie mit herkömmlichen Investments kaum noch Renditen erzielten“, bilanziert Vermögensprofi Glogger.

Folglich stehen die Aktien- und Immobilienmärkte seit Jahren im Fokus der Investoren. Doch während Unternehmen ihre Produktivität und ihre Gewinne erhöhen können und daher höhere Aktienkurse gerechtfertigt sind, sind die Kaufkosten für Wohnimmobilien in Großstädten der Einkommensentwicklung sehr weit vorausgeeilt. Folge: Immer weniger Mieter können sich die Mieten leisten, die nötig wären, um die Darlehen der späten Investoren abzubezahlen. Das könnte so manchen Finanzplan von Investoren zu Fall bringen und für einen gewissen Druck auf die Hauspreise sorgen.

Gewinner: Immobilien-Investoren mit langem Atem und tiefen Taschen

Verlierer: Spät gekommene Investoren (Hot money)

Wahrscheinlichkeit: 30 Prozent

Interview mit Andreas Glogger, Glogger & Partner Vermögensverwaltung in Krumbach

„Die Antwort auf Schwarze Schwäne ist ein ein robustes Portfolio“

Andreas GloggerHerr Glogger, zum Jahresende suchen viele Anleger Orientierung für die nächsten Monate. Finanzbranche und Medien befriedigen dieses Bedürfnis, indem sie zahlreiche Prognosen veröffentlichen. Ist das sinnvoll?

Andreas Glogger: Prognosen sind sicherlich ein sinnvolles Instrument, um sich die Zukunft vorzustellen. Jedoch sollte man sie nicht für bare Münze nehmen, denn allzu oft wird einfach die Vergangenheit fortgeschrieben. Und schon gar nicht sollte man die Geldanlage an einer Prognose ausrichten. Schließlich kann es ganz anders kommen, wie die Corona-Pandemie gezeigt hat.

Heißt das in der Konsequenz, generell auf Prognosen zu verzichten?

Das hieße für mich, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Es kann durchaus sinnvoll sein, mit mehreren Prognose-Szenarien zu arbeiten und diese dann mit Wahrscheinlichkeiten zu versehen. So ist es unseres Erachtens am wahrscheinlichsten, dass sich der Aufschwung am Aktienmarkt mit den üblichen Unterbrechungen im Jahr 2022 fortsetzt. Auf der anderen Seite kann es sein, dass sich die hohe Inflation verstetigt und dieser Prognose einen Strich durch die Rechnung macht.

Was würde dieses Szenario bedeuten?

Bleibt die Inflation auf dem aktuellen Niveau, können die Notenbanken die Zinsen anziehen oder es unter den aktuellen Umständen bleiben lassen. Beide Szenarien haben sehr unterschiedliche Konsequenzen für einzelne Anlageklassen wie Aktien, Anleihen oder Edelmetalle.

Wie sieht es mit den sogenannten Schwarzen Schwänen aus?

Das sind unvorhersehbare Ereignisse, etwa die Corona-Pandemie und die politischen Reaktionen darauf. Sie sind per definitionem nicht zu prognostizieren. Daher kann die Antwort auf diese Herausforderung nicht darin bestehen zu versuchen, solche Ereignisse zu erraten.

Worin besteht die angemessene Antwort?

Das Portfolio sollte so robust aufgestellt sein, dass es nicht nur in Schönwetterzeiten gut läuft, sondern auch mit Schwarzen Schönen zurechtkommt. Dies funktioniert nur, wenn die Anlageklassen nach einem durchdachten Konzept ausgewählt und miteinander ins Verhältnis gesetzt werden. Dieser Prozess muss wissenschaftlich fundiert sein und sich in früheren Krisen bewährt haben. Privatanleger sind mit dieser Aufgabenstellung in der Regel überfordert.

Autor: Jürgen Lutz