Überstunden in der Arztpraxis: Wann der Chef sie bezahlen muss – und wann nicht

Arbeiten ohne Honorar? Für viele MFA und angestellte Ärzte gehören lange Arbeitszeiten und unbezahlte Überstunden zum Alltag. Oft ist das sogar zulässig – es gibt aber auch etliche Fälle, in denen die Mehrarbeit in der Praxis zu vergüten ist. Was Arbeitnehmer und Arbeitgeber zum Thema Überstunden wissen müssen.
Die deutschen Arbeitnehmer sind aktuellen Erhebungen zufolge Europameister im Anhäufen unbezahlter Überstunden. Besonders dramatisch ist die Lage für Mitarbeiter im medizinischen Bereich. Das mag zum Teil am aktuellen Fachkräftemangel in Arztpraxen und Klinken liegen. Doch auch die Vorgaben des deutschen Arbeitsrechts leisten ihren Beitrag zu überlangen Arbeitszeiten: Arbeitgeber sind nämlich längst nicht immer gezwungen, die Mehrarbeit der Arbeitnehmer zu vergüten.
Zehn Überstunden pro Woche sind meist kein Problem
Die Überraschungen beginnen bereits damit, dass das Arbeitszeitgesetz den Begriff der Überstunden nicht wirklich definiert. Was gesetzlich als Mehrarbeit der Arbeitnehmer zu betrachten ist, hängt somit vor allem von den Klauseln im Arbeitsvertrag bzw. den Vorgaben des Tarifvertrags ab. Lediglich die Frage, in welchem Ausmaß die Anordnung von Überstunden zulässig ist, bestimmt sich nach den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes – aber auch nach den Umständen des Einzelfalles.
Grundsätzlich begrenzt der Gesetzgeber die wöchentliche Höchstarbeitszeit eines Arbeitnehmers auf 48 Stunden. In Einzelfällen kann das Pensum aber durchaus auf bis zu 60 Stunden Arbeitszeit pro Woche anschwellen. Grund: Das Arbeitszeitgesetz erlaubt eine tägliche Arbeitszeit von zehn Stunden, solange sichergestellt ist, dass sich die Durchschnittsbelastung der Arbeitnehmer innerhalb von sechs Monaten wieder auf acht Stunden pro Tag einpendelt.
Wann müssen eigentlich Überstunden gemacht werden?
Engagierte Ärzte und MFA werden in der Regel von sich aus so lange in der Arztpraxis bleiben, bis der letzte Patient versorgt ist. Streng juristisch allerdings gilt, dass Arbeitnehmer nur dann in der Pflicht sind mehr arbeiten zu müssen, wenn der Chef diese Mehrarbeit anordnet. Einer solchen Anordnung ist dann in der Regel auch Folge zu leisten. Allerdings muss der Arbeitgeber bei seiner Planung Rücksicht auf die Belange der Belegschaft nehmen. Er kann z.B. bei einer alleinerziehenden Mutter nicht ohne Weiteres Mehrarbeit anordnen, wenn diese keine Kinderbetreuung hat. Schwangere dürfen grundsätzlich nicht länger als acht Stunden pro Tag arbeiten, auch wenn im Betrieb kurzfristig mehr Arbeit anfällt.
Geld für Überstunden gibt es längst nicht immer
Wann und in welcher Höhe Ärzte und MFA eine Vergütung für geleistete Überstunden bekommen, bestimmt sich normalerweise nach den Vorgaben der Tarifverträge bzw. des Arbeitsvertrages. Die vertraglichen Regelungen greifen allerdings nicht automatisch. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer müssen sich bewusst sein, dass die Mehrarbeit nur dann bezahlt werden muss, wenn der Chef sie angeordnet oder zumindest erkennbar gebilligt hat.
Noch schwieriger wird es, wenn der Arbeitsvertrag eine ausdrückliche Regelung zur Vergütung von Mehrarbeit vermissen lässt. Dann dürfen Mitarbeiter nur eine Auszahlung der Überstunden verlangen, wenn sie nach den konkreten Umständen des Einzelfalles eine (verkehrsüblich) Vergütung erwarten durften (vgl. etwa Bundesarbeitsgericht (BAG), Az. 5 AZR 765/10).
Dabei hat die Rechtsprechung ihre ganz eigenen Vorstellungen davon, was Arbeitnehmer bei geleisteten Überstunden erwarten düfen: Besserverdiener etwa, deren monatliches Bruttogehalt die Beitragsbemessungsgrenze übersteigt, können nach dieser Lesart kein Geld für Überstunden verlangen. (BAG, Az. 5 AZR 765/10). Betroffen von dieser Regel sind beispielsweise Ärzte, die im Westen 6.700 Euro Monatsbrutto und im Osten 6.150 Euro oder mehr verdienen.
Wichtig: Arbeitsvertragliche Klauseln in Arbeitsverträgen, wonach „alle anfallenden Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind“, hält die Rechtsprechung inzwischen für zu pauschal. Sie sind daher in der Regel unwirksam. Damit eine Abgeltungsklausel vor Gericht Bestand hat, muss sie eindeutig benennen, in welchem Umfang Überstunden mit der regulären Vergütung abgegolten sind. Bei einer Vollzeitkraft sollten nicht mehr als 20 Überstunden pro Monat unter die Pauschale fallen. Bei Teilzeitkräften gilt als Faustformel, dass mit dem regulären Gehalt bis zu zehn Prozent der vereinbarten Stundenzahl mitbezahlt werden dürfen.
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