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Finanzen

Herr Vetter, die Erfahrung zeigt immer wieder, dass Privatanleger in Krisenzeiten ihre Aktien-ETFs und Aktienfonds verkaufen, weil sie den psychischen Druck irgendwann nicht mehr aushalten. Ist das ein Naturgesetz oder lässt sich daran etwas ändern?

Anton Vetter BV & P Vermögen AG

Anton Vetter: Man kann das ändern, aber es kostet Kraft und erfordert Geschick. Vor allem, weil diese Reaktion der Privatanleger im Grunde vollkommen menschlich ist: Bei Gefahr kämpfen oder flüchten wir – das haben wir einfach in den Genen. Die meisten Anleger kämpfen zunächst, indem sie den Abschwung kleinreden nach dem Motto „Das wird schon wieder“. Am Ende flüchten sie, indem sie kapitulieren und zu viel tieferen Preisen verkaufen. Dann heißt es „Nie wieder Aktien!“

Und wie lässt sich das ändern?

Vetter: Indem man so anlegt, dass dabei der individuelle maximale Stresspegel nicht überschritten wird. Das bedeutet erstens: Anleger sollten ihre Aktienquote so festlegen, dass sie selbst in einer großen Baisse mit einem Minus von 50 Prozent am breiten Markt zeitweise nur so viel von ihrem Gesamtvermögen einbüßen, wie sie gefühlsmäßig noch tolerieren können.

Können Sie das konkreter machen?

Vetter: Ein risikobereiter Anleger, der es aushält, wenn er zeitweise 40 Prozent mit seinem Vermögen „unter Wasser“ ist, kann eine Aktienquote von bis zu 80 Prozent haben. Wer beim Rückgang von 15 Prozent nicht mehr schlafen kann, sollte die Aktienquote auf 30 Prozent des Vermögens begrenzen.

Was ist der zweite Punkt, um unter dem maximalen Stresspegel zu bleiben?

Vetter: Selbst eine tiefe Baisse dauert selten länger als zwei oder maximal drei Jahre. Daher kann es sinnvoll sein, das Geld, das ein Anleger bzw. seine Familie über eine solche Zeitspanne benötigt, in risikolosen Anlagen wie Tagesgeld oder kurz laufenden Staatsanleihen zu halten. Auf diese Weise lassen sich Zwangsverkäufe von Aktien-ETFs etc. vermeiden, etwa weil dringend liquide Mittel benötigt werden. Dann könnte man auch eine höhere Aktienquote vertreten als im ersten Modell.

Sind dies die einzigen Möglichkeiten, um mit dem Risiko am Aktienmarkt zurechtzukommen?

Vetter: Wer weiß, was er tut, kann das Marktrisiko mit dem Modell der Trendfolge begrenzen. Deren unbestreitbarer Vorteil ist: Man macht nur einen überschaubaren Teil einer Baisse mit und verliert vom Hoch eher 20 Prozent statt 50 Prozent. Es ist jedoch strenge Disziplin erforderlich, die nur wenige Privatanleger haben: So müssen die Kriterien für einen Ausstieg aus dem Aktienmarkt klar definiert sein und natürlich auch befolgt werden. Das gilt ebenso für den Wiedereinstieg nach einem Verkauf – selbst wenn es dabei zu Fehlsignalen und folglich kleineren Verlusten kommt.

Autor: Jürgen Lutz/VBank