Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Steuern

Mit der Bestandskraft meint der Steuergesetzgeber die formelle und die materielle Bestandskraft von Steuerbescheiden. Steuerbescheide sind formell bestandskräftig, wenn sie mit Rechtsbehelfen nicht mehr angegriffen werden können. Materielle Bestandskraft bedeutet, dass Steuerbescheide für die Finanzverwaltung und den Steuerpflichtigen verbindlich geworden sind.

Von den Normen, nach denen bestandskräftige Steuerbescheide geändert werden können, behandeln wir in diesem Beitrag lediglich einige praxisrelevante Regelungen, die in drei Gruppen eingeteilt werden können:

Gruppe 1:

Berichtigung von Steuerbescheiden nach § 129 (Abgabenordnung, AO);

Berichtigung von Steuerbescheiden nach § 173a AO.

Gruppe 2:

Änderung von Steuerbescheiden, die unter dem sog. Vorbehalt der Nachprüfung erlassen wurden (§ 164 Abs. 1, 2 AO);

Änderung von vorläufigen Steuerbescheiden (§ 165 Abs. 1, 2 AO).

Gruppe 3:

Änderung von Steuerbescheiden nach §§ 172-177 AO.

 

I. Berichtigung von Steuerbescheiden nach §§ 129, 173a AO

1. Berichtigung nach § 129 AO

Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Bei einem berechtigten Interesse eines Beteiligten muss die Finanzbehörde nach § 129 Satz 2 AO berichtigen. Nach der Rechtsprechung des BFH werden vom § 129 AO nur mechanische Versehen, wie Schreibfehler, Rechenfehler etc., erfasst, nicht jedoch Tatsachen- oder Rechtsirrtümer (BFH vom 16.03.2000, IV R 3/99, BStBl II 2000, 372). Zu mechanischen Versehen im Sinne § 129 Satz 1 AO können insbesondere versehentlich falsches Eintragen in Steuererklärungsbögen, Vergessen von Eintragungen, Übersehen von zugesendeten Unterlagen, Unklarheiten in Formulierungen und in der Sprache etc. gehören.

Geht die offenbare Unrichtigkeit im Sinne § 129 AO auf einen Fehler des Steuerpflichtigen zurück, muss dieser Fehler von der Finanzverwaltung übernommen und in den Steuerbescheid übertragen worden sein. Der bezeichnete Fehler muss sich ohne Weiteres aus den Unterlagen des Steuerpflichtigen ergeben, die der Finanzverwaltung bekannt waren.

Die praktische Relevanz des § 129 AO ist nicht zu unterschätzen. Unterlaufen z. B. einem Arzt oder seinem Steuerberater unbeabsichtigte Fehler bei der Abgabe von Steuererklärungen, die sich zugunsten des Arztes auswirken – z.B. Zahlendreher, unbeabsichtigt falsche Eintragungen, Übersehen von Anlagen etc. – sollte stets geprüft werden, ob ein Antrag auf eine Berichtigung der Steuerfestsetzung nach § 129 Satz 1, 2 AO gestellt werden kann. Sofern keine Festsetzungsverjährung nach §§ 169 ff. AO eingetreten ist, kann der bezeichnete Antrag auch Jahre nach der Bestandskraft eines Steuerbescheides gestellt werden.

2. Berichtigung nach § 173a AO

Gem. § 173a AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, wenn dem Steuerpflichtigen bei Erstellung seiner Steuererklärung Schreib- oder Rechenfehler unterlaufen sind und er deshalb der Finanzbehörde bestimmte, nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheids rechtserhebliche Tatsachen unzutreffend mitgeteilt hat. § 173a AO gilt für Veranlagungszeiträume ab dem 01.01.2017.

Die Berichtigung nach § 173a AO erfordert nicht, dass die Finanzverwaltung den Fehler des Steuerpflichtigen übernommen hat. Es reicht aus, dass der Steuerpflichtige bestimmte steuererhebliche Tatsachen an die Finanzbehörde nicht oder unzutreffend mitgeteilt hat. Allerdingss erfasst § 173a AO nur Schreib- oder Rechenfehler, nicht jedoch andere offenbare Unrichtigkeiten im Sinne § 129 AO.

Die Bedeutung der Berichtigung von Steuerfestsetzungen nach § 173a AO steigt mit der Verbreitung von EDV-gestützter Abgabe von Steuererklärungen (etwa mittels ELSTER), die regelmäßig ohne Anlagen, Belege etc. übermittelt werden. Mangels beigefügter Anlagen bzw. Belege kann die Finanzverwaltung etwaige Fehler des Steuerpflichtigen nicht zu eigen machen und diese deshalb auch nicht nach § 129 AO berichtigen.

II. Änderung von Steuerbescheiden nach §§ 164 Abs. 2, 165 Abs. 2 AO

1. Steuerbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO

Nach § 164 Abs. 1 AO hat die Finanzverwaltung die Möglichkeit, Steuerbescheide zu erlassen, ohne einen Steuerfall abschließend geprüft zu haben (sog. Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung). Bis zur endgültigen Prüfung kann ein solcher Steuerbescheid von der Finanzverwaltung bis zum Eintritt der Verjährung für die Steuerfestsetzung ohne weitere Voraussetzungen jederzeit geändert werden. Andererseits kann der betreffende Steuerpflichtige gem. § 164 Abs. 2 Satz 2 AO ebenfalls jederzeit – sofern die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten ist – eine Änderung oder Aufhebung des Steuerbescheides beantragen.

Steuervorauszahlungsbescheide – zu nennen sind z. B. Einkommensteuer- und Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide – stehen nach § 164 Abs. 1 Satz 2 AO von Gesetzes wegen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Sofern das Einkommen eines Arztes sich im Laufe eines Jahres ändert, sollte stets geprüft werden, ob eine Änderung von Steuervorauszahlungsbescheiden gem. § 164 Abs. 2 Satz 2 AO zu beantragen ist.

Steueranmeldungen – gemeint sind u. a. an die Umsatzsteuer- und Lohnsteuervoranmeldungen – stehen nach § 168 Satz 1 AO ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, sofern eine Steueranmeldung nicht zur Steuerherabsetzung oder Steuervergütung führt. Eine Berichtigung der erklärten Vorsteuer ist jedoch nicht nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO, sondern unter erschwerten Voraussetzungen nach § 15a UStG durchzuführen.

Ein Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung kann in bestimmten Fällen darauf hindeuten, dass die Finanzverwaltung bei dem betreffenden Steuerpflichtigen eine Betriebsprüfung plant.

Der Steuerpflichtige bzw. sein Berater sollten stets vergegenwärtigen, dass bei einem Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zwar eine Änderung der Steuerfestsetzung, nicht jedoch auch die Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheides beantragt werden kann, sofern gegen den betreffenden Steuerbescheid kein Einspruch erhoben wird. Mit anderen Worten: die festgesetzte Steuer müsste mit Ablauf der Einspruchsfrist bezahlt werden.

2. Vorläufige Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 AO

Gem. § 165 Abs. 1 Satz 1 AO kann eine Steuer vorläufig festgesetzt werden, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für das Entstehen der Steuer eingetreten sind. Im Gegensatz zur Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, die den gesamten Steuerfall offenhält, wirkt eine vorläufige Steuerfestsetzung stets punktuell. Deshalb ist nach § 165 Abs. 1 Satz 3 AO der Umfang der Vorläufigkeit im Steuerbescheid zwingend anzugeben und der Vorläufigkeitsvermerk zu begründen.

Eine vorläufige Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 AO ist grundsätzlich nur zulässig, sofern bestimmte Tatsachen ungewiss sind. Rechtliche Unsicherheiten berechtigen die Finanzbehörde – abseits des Katalogs des § 165 Abs. 1 Satz 2 AO, der einige Fälle rechtlicher Unsicherheit mit Bezug zum Verfassungs-, Europa- und Völkerrecht regelt – grundsätzlich nicht zu einer vorläufigen Steuerfestsetzung.

Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung bei sog. vorgreiflichen Rechtsverhältnissen. Darunter werden Rechtsverhältnisse verstanden, die für einen steuerrechtlichen Tatbestand von Bedeutung sind (vgl. BFH vom 08.03.2007, IV R 41/05, juris). Zu denken ist hier etwa an

  • einen finanzgerichtlichen Streit zwischen einem Arzt, der seinen Gewinn freiwillig mittels Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelt, und der Finanzverwaltung, ob die Buchführung und die Bilanz des Arztes ordnungsgemäß sind (vgl. BFH vom 24.02.1977, VIII R 237/72, BStBl II 1977, 392),
  • die zivilrechtliche Wirksamkeit von Darlehens- oder Anstellungsverträgen zwischen dem Arzt und seinen nahen Familienangehörigen und von Gesellschaftsverträgen zwischen den Ärzten einer Berufsausübungsgemeinschaft etc.

Tatsachen im Sinne § 165 Abs. 1 AO sind weit zu fassen. Hierzu gehören Zustände, Vorgänge, Beziehungen und materielle oder immaterielle Eigenschaften von Sachen, sofern sie einen Steuertatbestand erfüllen (BFH vom 16.06.2015, IX R 27/14, BStBl II 2016, 144; BFH vom 25.10.1989, X R 109/87, BStBl II 1990, 278).

Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde die Steuerfestsetzung aufheben oder ändern, soweit sie die Steuer vorläufig festgesetzt hat. Wenn die Ungewissheit beseitigt ist, muss die vorläufige Steuerfestsetzung gem. § 165 Abs. 2 Satz 2 AO aufgehoben, geändert oder auf Antrag des Steuerpflichtigen nach § 165 Abs. 2 Satz 4 AO für endgültig erklärt werden.

Eine vorläufige Steuerfestsetzung kann vom Steuerpflichtigen mit einem Einspruch und, sofern dieser scheitert, mit einer Klage angefochten werden.

Der Steuerpflichtige kann und soll im umgekehrten Fall sorgfältig prüfen, ob er von sich aus eine vorläufige Steuerfestsetzung in Bezug auf bestimmte ungewisse Tatsachen oder vorgreifliche Rechtsverhältnisse beantragt. Zu denken ist hier z. B. an solche Tatsachen (z. B. mündlich abgeschlossene Verträge, von Dritten noch herauszugebende Urkunden, etc.), die sich für einen Arzt steuermindernd auswirken, jedoch zum Zeitpunkt der Steuerfestsetzung noch nicht nachgewiesen werden können. Sobald die Nachweise beschafft worden sind, kann nach § 165 Abs. 2 Satz 4 AO die endgültige Steuerfestsetzung beantragt werden.

III. Änderung von Steuerbescheiden nach §§ 172-177 AO

1. Änderung nach § 172 AO

Nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO darf ein Steuerbescheid aufgehoben oder geändert werden, wenn der Steuerpflichtige zustimmt oder vor Ablauf der Einspruchsfrist einen Änderungsantrag stellt, soweit der betreffende Steuerbescheid weder vorläufig erlassen noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestellt wurde (sog. Antrag auf schlichte Änderung). Die Regelung des § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO ist von geringer praktischer Relevanz, da sie nur punktuelle Änderungen zulässt und bei Änderungen zugunsten von Steuerpflichtigen einen Antrag voraussetzt, der vor Ablauf der Einspruchsfrist gestellt werden muss.

Ferner ist es nicht möglich, im Rahmen des Antrages auf schlichte Änderung einen Antrag auf die Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO) des zu ändernden Steuerbescheides zu stellen – dieser Antrag kann nur zusammen mit dem Einspruch (§ 347 ff. AO) gegen einen Steuerbescheid erhoben werden. Ein Einspruch wahrt die Rechte des Steuerpflichtigen deshalb besser als ein Antrag auf schlichte Änderung.

Weitere Fälle des § 172 AO – etwa eine Änderung von Steuerbescheiden, die aufgrund von Drohung, Täuschung oder Bestechung erwirkt worden sind (§ 172 Abs. 1 Nr. 2c AO) – sind regelmäßig ebenfalls nicht von großer praktischer Relevanz.

2. Änderung von Steuerbescheiden nach §§ 174-177 AO

§ 174 AO erlaubt es der Finanzverwaltung, sog. widerstreitende Steuerfestsetzungen, d. h. mehrfache Berücksichtigung von steuererheblichen Sachverhalten in verschiedenen Steuerbescheiden zu ändern.

§ 176 AO verbietet Änderungen von Steuerbescheiden aufgrund geänderter Rechtsprechung oder der Aufhebung bzw. einer Änderung von Verwaltungsvorschriften.

§ 177 AO erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen eine Berichtigung von materiellen Fehlern in Steuerbescheiden.

3. Änderung von Steuerbescheiden nach §§ 173, 175 AO

Änderungen von Steuerbescheiden nach §§ 173, 175 AO stellen in der Praxis, neben den Änderungen nach §§ 164, 165 AO, die zentralen Regelungen, nach denen bestandskräftige Steuerbescheide geändert werden.

a. Änderung von Steuerbescheiden nach § 173 AO

Nach § 173 Abs. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit

  • Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer höheren Steuer führen (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO),
  • Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO).

Tatsachen oder Beweismittel werden nachträglich bekannt, wenn sie beim Erlass des Steuerbescheides schon existierten, der Finanzverwaltung jedoch noch nicht bekannt waren. Verletzt die Finanzverwaltung ihre Amtsermittlungspflicht, kann sie bei pflichtwidrig späterer Kenntniserlangung von Tatsachen Steuerbescheide nicht nach § 173 AO ändern (BFH vom 08.07.2015, VI R 51/14, BStBl II 2017, 13; BFH vom 27.10.1992, VIII R 41/89, BStBl II 1993, 569).

Eine Änderung von Steuerbescheiden zugunsten des Steuerpflichtigen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO setzt voraus, dass den Steuerpflichtigen am Bekanntwerden der Tatsache oder des Beweismittels kein grobes Verschulden trifft, abzustellen ist dabei auf subjektive Kenntnisse, Erfahrungen und Umstände des konkreten Steuerpflichtigen. Das grobe Verschulden wird bei dem Vorsatz und grober Fahrlässigkeit angenommen.

Nimmt eine Kassenärztliche Vereinigung (KV) Honorarkürzungen eines Vertragsarztes vor – etwa nach einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung von Quartalsabrechnungen oder aufgrund von Unwirtschaftlichkeit ärztlicher Leistungen – wird dies regelmäßig zu geminderten Umsätzen bzw. dem geminderten Gewinn des Arztes im betreffenden Veranlagungsjahr führen. Sofern der Einkommensteuerbescheid des betreffenden Atztes in dem Jahr bereits bestandskräftig geworden ist, kommt ein Einspruch gegen den bezeichneten Steuerbescheid nicht mehr in Frage.

Einen Ausweg kann hier ein Antrag auf eine Änderung des Steuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO durch den betroffenen Arzt bzw. seinen Bevollmächtigten bieten. Das Finanzamt und der Arzt wird sich dabei die Frage stellen, ob die Honorarkürzung tatsächlich nachträglich bekannt geworden ist und ob dem Arzt an diesem nachträglichen Bekanntwerden kein grobes Verschulden im Sinne § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO trifft. Die Beantwortung dieser Fragen erfordert eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles und nicht zuletzt eine punktgenaue Argumentation seitens des Arztes bzw. seines Bevollmächtigten.

Weitere Fälle, in denen ein Antrag auf eine Änderung von Steuerbescheiden nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO in Frage kommt oder sogar geboten sein kann, sind z. B.

  • nachträgliche Feststellung der Finanzverwaltung, dass bestimmte Leistungen eines Arztes nicht umsatzsteuerpflichtig sind,
  • gescheiterte Aufnahme eines Berufsangehörigen in eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) bei tatsächlicher Eigenschaft des Berufsangehörigen als Arbeitnehmer mit der Folge der Rückzahlung von Honoraren an die KV und der Gewerbesteuerpflicht der übrigen Gesellschafter-Ärzte der BAG,
  • gescheiterte Einbringung von Praxen in eine BAG im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach § 24 UmwStG,
  • nachträgliche Feststellung einer begünstigten Praxisveräußerung nach §§ 16, 34 EStG,
  • Geltendmachung von Sach- oder Rechtsmängel bei einem Praxiserwerb,
  • nachträgliche Beschaffung von Beweisurkunden bei Streitigkeiten unter Gesellschafter-Ärzten in einer BAG, etc.

b. Änderung von Steuerbescheiden nach § 175 AO

Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern,

  •  soweit ein für den Steuerbescheid bindender Grundlagenbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO),
  • soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO).

Unter einem Grundlagenbescheid sind nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO nicht nur Verwaltungsakte der Finanzverwaltung, sondern auch Verwaltungsakte anderer Behörden zu verstehen, soweit diese für die Festsetzung einer Steuer bindend sind. Ein abschließender Katalog von Grundlagenbescheiden existiert nicht. Es kann deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass z. B. eine KV als eine Körperschaft des öffentlichen Rechts für einen Arzt einen Bescheid (Verwaltungsakt) erlässt, der steuerlich als ein Grundlagenbescheid anzusehen ist.

Als Grundlagenbescheide im Sinne § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind z. B. anerkannt

  • Bescheinigung einer Gemeinde nach § 7h Abs. 2 EStG bei Inanspruchnahme von erhöhten Absetzungen bei Gebäuden in Sanierungsgebieten und städtebaulichen Entwicklungsbereichen;
  • Bescheinigung einer Denkmalbehörde nach § 7i Abs. 2 EStG bei Inanspruchnahme von erhöhten Absetzungen bei Baudenkmalen etc.

Unter einem Ereignis im Sinne § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sind alle Lebensvorgänge (Tatsachen, Zustände, Eigenschaften etc.) zu verstehen, soweit sich diese steuerlich auswirken. Das Ereignis muss nachträglich eingetreten sein, d. h. nachdem der Steueranspruch entstanden und der Steuerbescheid erlassen, geändert oder aufgehoben worden ist.

Einen abschließenden Katalog von Ereignissen im Sinne § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gibt es nicht und kann es aufgrund der Breite der Definition („alle Lebensvorgänge“) gar nicht geben. In bestimmten Konstellationen sind als solche Ereignisse u. a. folgende Vorgänge überwiegend anerkannt, soweit sie steuerlich zurückwirken:

  • vertragliche Steuerklauseln (streitig),
  • Ausübung von rückwirkenden Gestaltungsrechten (Anfechtung, Rücktritt, Minderung),
  • Rückgängigmachung eines unwirksamen Rechtsgeschäfts im Sinne § 41 Abs. 1 Satz 1 AO,
  • Eintritt auflösender Bedingungen im Sinne § 158 Abs. 2 BGB,
  • nachträgliche Uneinbringlichkeit von betrieblichen Forderungen und Darlehen,
  • nachträglicher Erlass von Betriebsschulden,
  • nachträgliche Beilegung eines Streits über eine Schadenersatzforderung,
  • nachträgliche Uneinbringlichkeit von Abfindungen bei Austritt von Gesellschaftern,
  • Minderung eines Veräußerungspreises in einem nachträglich abgeschlossenen Vergleich etc.

Selbstverständlich sollte jedes rückwirkende Ereignis vor der Geltendmachung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO anhand aller Umstände des Einzelfalles auf seine steuerlichen Auswirkungen geprüft werden.

*Dr. jur. Alex Janzen ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht sowie Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht in Düsseldorf (www.rechtsanwalt-dr-janzen.de).

Dr. jur. Alex Janzen

Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Bank- und KapitalmarktrechtRechtsanwaltskanzlei Dr. jur. Alex Janzen

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