Versorgungswerke: Leistungseinbußen durch Satzungsänderungen
A&W RedaktionIn den letzten Jahren sind von den Selbstverwaltungsgremien der ärztlichen Versorgungswerke Satzungsänderungen beschlossen worden, die für die betroffenen Ärzte meist spürbare, wenn auch oftmals nur zeitlich begrenzte, Leistungseinschnitte bedeuten. Aber ist das erlaubt? Und falls ja: warum eigentlich?
Die Versorgungswerke der „klassischen“ verkammerten freien Berufe, also auch die berufsständischen Versorgungseinrichtungen für Ärzte, unterliegen ständig Zugzwängen bei der Anpassung und Nachjustierung der satzungsgebundenen Beitrags- und Leistungsregelungen. Hintergrund ist eine Versicherungssystematik, bei der die steigende Lebenserwartung, die regelmäßig aktualisierten „Sterbetafeln“ und die Kapitalmarktentwicklung in die Berechnungen einfließen.
Offenes Deckungsplanverfahren
Als kapitalgedecktes Finanzierungssystem mit zumeist „offenem Deckungsplanverfahren“ sind die Versorgungswerke danach verpflichtet, von Zeit zu Zeit Korrekturen beim Leistungsreglement vorzunehmen. Begründet wird dies vor allem mit dem Grundsatz einer nachhaltigen und ausgeglichenen Finanzierung und dem der Gleichbehandlung aller Mitglieder und Anwartschaftsberechtigten.
Auf dieser Basis sind von den Selbstverwaltungsgremien der Versorgungswerke in den letzten 15 Jahren einge Satzungsänderungen beschlossen und von den Aufsichtsbehörden genehmigt worden, die für die betroffenen Ärzte zumeist spürbare, oftmals zeitlich begrenzte Leistungseinschnitte, bedeuten. Diese erfolgen in der Regel durch eine (zeitweilige) Aussetzung der Dynamisierung der Rentenansprüche. Aber auch das Ausbleiben einer sonst jährlich erfolgenden Erhöhung der Bestandsrenten, eine Abschaffung des Kinderzuschlag zu den Renten und anderen Leistungen sind die Folge. Hinzu kommen die oftmals satzungsgemäß begrenzte Leistungsbewilligung zur medizinischen Rehabilitation und härtere Auflagen bei der Anerkennung einer Berufsunfähigkeitsrente und/oder eine Begrenzung bei der Inanspruchnahme der sogenannten flexiblen Altersgrenze. Allesamt Reglements, die kaum etwas mit der Demografiekomponente und den Sterbetafeln zu tun haben.
Abweichende Regelungen
Die von den Selbstverwaltungsgremien getroffenen Maßnahmen, insbesondere die Anpassung an die aktuelle Finanzlage, können von Versorgungswerk zu Versorgungswerk abweichen. Auch Versorgungswerke innerhalb ein und desselben Bundeslandes, etwa die beiden Versorgungswerke der Ärzteschaft in NRW – Nordrheinische Ärzteversorgung und Westfälisch-Lippische Ärzteversorgung – können unterschiedliche Satzungsregelungen beschließen und anwenden. Dabei müssen allerdings stets das vom Versorgungswerk angewandte Finanzierungssystem und dessen Versicherungsmodalitäten beachtet werden. Ist das der Fall, müssen Ärzte die Änderungen meist hinnehmen.
Als richtungweisend gilt hier ein Grundsatzurteil, das zugunsten der Satzungsänderung in einem Rechtstreit mit dem Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin erstritten wurde. Der 12. Senat des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg (Az.: OVG 12 B 15.11) hat darin entschieden, dass die Satzungsänderung zur Absenkung der erworbenen Anwartschaften auf Altersrente um 16 Prozent rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Absenkung der Rentenanwartschaften – kein Eingriff in die Eigentumsgarantie
Das OVG konnte keinen Verstoß gegen die Eigentumsgarantie und den Gleichbehandlungsgrundsatz erkennen, auch sei die Satzungsänderung zur Anwartschaftskürzung nicht verfassungswidrig. Wie das Gericht erklärte, sei hier unter Berücksichtigung einer angemessenen Übergangsregelung für rentennahe Jahrgänge vielmehr eine praktikable Option gewählt worden. Damit werde nicht nur die akute Deckungslücke geschlossen, sondern auch die angesichts der erheblichen Schwankungen am Kapitalmarkt künftig notwendige Deckungsreserve aufgebaut. Auch habe das Versorgungswerk mit der Einführung eines reduzierten Bemessungsfaktors für die Anwartschaftsberechnung nicht den zulässigen Gestaltungsspielraum überschritten.
Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, so das OVG, wenn die Versorgungseinrichtungen unter Verwendung aktueller Sterbetafeln und angemessener Leistungseinschränkungen Deckungsrückstellungen bilden und damit Deckungslücken und ausbleibende Kapitalerträge korrigieren. Diese würden sich aufgrund der weiter verbesserten Lebenserwartung sowie Zinsverfall, allgemeiner Kapitalmarktkrise sowie spezifischer Anlagenpolitik des Versorgungswerks ergeben. Mit der Einführung eines gekürzten Bemessungsfaktors würden in der Vergangenheit gewährte Leistungsverbesserungen kompensiert und zurückgeführt, die ohne ausreichende Berücksichtigung der gestiegenen Lebenserwartung zulasten von Rückstellungen beschlossen worden seien. Davon hätten wegen der Höhe der bereits erworbenen Anwartschaften prozentual besonders diejenigen Mitglieder des Versorgungswerks profitiert, die bereits längere Beitragszeiten zurückgelegt haben.
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Im Rechtsstreit eines Zahnarztes mit der Zahnärzteversorgung Berlin attestierte das OVG, dass die Eingriffe in rentenrechtliche Anwartschaften sowohl dem Gemeinwohlzweck dienten als auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprächen. Deshalb sei die Einführung eines reduzierten Bemessungsfaktors in Höhe von 0,84 (statt 1,00) bei der Ermittlung der erworbenen Rentenanwartschaften gerechtfertigt. Nur so hätte die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Versorgungswerks gesichert werden können. Auch der Gleichheitsgrundsatz (Artikel 3 Grundgesetz) unter Berücksichtigung von Artikel 14, Absatz 1, Satz 2 Grundgesetz (Eigentumsschutz) sei bei der Satzungsänderung berücksichtigt worden. Eine sachwidrige Ungleichbehandlung des mit Abschlägen belasteten Beziehers einer vorgezogenen Altersrente gegenüber anderen Mitgliedern des Versorgungswerkes sei nicht festzustellen.
Einschnitte in die Zukunfts- und Versorgungsplanung
Die Leistungseinschnitte werden oftmals auch damit begründet, dass bei allen finanziellen Entscheidungen und allen das Beitrags- und Leistungsrecht betreffenden Regelungen der „Grundsatz der höchstmöglichen Vorsicht und Weitsicht bei der Planung und Durchführung der Entscheidungen” beachtet werden müsse. Dies sei nicht immer populär und in Einzelfällen mit gravierenden Einschnitten in die Zukunfts- und Versorgungsplanung der Betroffenen verbunden. Das geben die Versorgungswerke immerhin zu.
Die Nordrheinische Ärzteversorgung hat die zwischen 2007 bis 2011 unterbliebenen Erhöhungen der laufenden Bestandsrenten gegenüber ihren Mitgliedern wie folgt begründet: Die Ärzteversorgung müsse ihre Leistungsverpflichtungen dauerhaft ausschließlich aus Beiträgen ihrer Mitglieder erfüllen können. Im Gegensatz zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) erhalte das Versorgungswerk keinerlei staatliche Zuschüsse. Als kapitalgedecktes Finanzierungssystem arbeite das Nordrheinische Versorgungswerk nach dem „offenen Deckungsplanverfahren“. Dieses erfordere, dass die tatsächlichen Belastungen stets sofort berücksichtigt und nicht in die Zukunft zulasten der nächsten Generation verschoben werden, wie dies in der umlagefinanzierten und aus erheblichen Steuermitteln bezuschussten GRV häufig der Fall war.
Überprüfung der Finanzierungslage
Nach Angaben des Versorgungswerks der Ärztekammer Nordrhein ist der wichtigste Aspekt bei der Beurteilung der Beitrags- und Leistungsordnung eine sorgfältige Überprüfung der Finanzierungslage. Um den Haushalt und die Finanzierung nachhaltig zu konsolidieren und um eventuelle Deckungslücken zu schließen, müsse das Leistungs- und Finanzierungsverfahren so ausgerichtet werden, dass den „Rentnern und Rentenanwärtern gleichermaßen eine auf Dauer sichere und kalkulierbare Rentenplanung“ ermöglicht wird. Inzwischen ist es der Nordrheinischen Ärzteversorgung gelungen, „einen langjährigen Konsolidierungsprozess abzuschließen und insbesondere die der jüngeren Generation durch zwei Satzungsänderungen auferlegten linearen Kürzungen von Renten und Anwartschaften zu kompensieren“.
Doch es geht auch anders: Die Ärzteversorgung in Düsseldorf hat infolgedessen alle Renten und Anwartschaften zum 1. Januar 2013 um 0,7 Prozent, zum 1. Januar 2014 um 1,0 Prozent und zum 1. Januar 2015 erneut um 1,0 Prozent erhöht. Bei den zurückliegenden Entscheidungen seien die eher konservativen versicherungsmathematischen „Sterbetafeln“ mit einer in Zukunft zu erwartenden erhöhten Sterbewahrscheinlichkeit zugrunde gelegt worden (Berufsständische Richttafeln/ABV). Die den jüngeren Beitragszahlern auferlegten Anwartschaftskürzungen seien inzwischen unter Beibehaltung des bisherigen Leistungsniveaus bei den Bestandsrentnern aufgeholt und finanziert worden. Nach Erreichen dieses Ziels sei es künftig möglich, alle Anwartschaften und laufenden Leistungen des Werks wieder zu erhöhen, so die Geschäftsführung der Ärzteversorgung. (Dr. Harald Clade)