Gendermedizin – Frauen sind keine kleinen Männer
Marcus SefrinMedizin tickt noch immer sehr männlich. Symptome einer Frau werden als „atypisch“ bezeichnet, wo sie einfach nur anders sind – eine ausnahmsweise ungewollte Gleichbehandlung. Auch KI droht keine Hilfe zu sein.
Die Botschaft in der Überschrift kommt Ihnen bekannt vor? Vielleicht aus der Pädiatrie, in der die Aussage „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“ zu den elementaren Grundlagen zählt. Eventuell haben Sie aber auch „Das Geschlecht macht den Unterschied: eine Einführung in die Gender-Medizin“ der Berliner Anästhesiologin Prof. Gabriele Kaczmarczyk aus dem Jahr 2014 gelesen. Oder Sie haben einmal einen Vortrag der Kardiologin Prof. Vera Regitz-Zagrosek gehört, die 2003 das Institut für Geschlechterforschung an der Charité gegründet hat und für ihren Einsatz rund um die Gendermedizin 2018 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden ist. Das leicht redundante Statement „Frauen sind keine kleinen Männer“ gehört tatsächlich seit über 20 Jahren zu den prägnanten Argumenten für eine geschlechtsspezifische Medizin.
Wie die Gesundheitsbranche mit der geschlechterspezifischen Medizin umgeht
Das Ringen darum, die offensichtlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau im Gesundheitssystem zu berücksichtigen, ist aber bei Weitem noch nicht vorbei. So hat zum Beispiel der Runde Tisch „Frauen im Gesundheitswesen“, ein Zusammenschluss von zwölf Trägerorganisationen, im Oktober in einem Positionspapier gefordert, vorhandene Wissenslücken in der geschlechtersensiblen Medizin zu schließen und Gender-Bias in der künstlichen Intelligenz (KI) auszuschließen. Das sei nötig, um eine Fehlversorgung von Frauen im Gesundheitssystem zu verhindern.
Der Runde Tisch veranstaltete zu dem Thema seinen zweiten Parlamentarischen Abend; anwesend waren Bundesfamilienministerin Lisa Paus, Abgeordnete des Deutschen Bundestages sowie Vertreter aus dem Gesundheitssystem, aus der Wissenschaft und aus der Wirtschaft. Insgesamt rund 150 weitere Gäste verfolgten in der Landesvertretung Saarland die intensiv geführte Podiumsdiskussion.
Fehlende Berücksichtigung geschlechterspezifischer Unterschiede
Das Positionspapier mit dem Titel „Gender-Bias bei Künstlicher Intelligenz ausschließen – Versorgungsqualität erhöhen“ beschäftigt sich mit der fehlenden Berücksichtigung geschlechterspezifischer Unterschiede bei Datenerhebungen, die für die Frauengesundheit fatale Folgen haben könne. Weil die Bedeutung von Algorithmen und KI in der Gesundheitsversorgung stetig zunimmt, müssten die zugrunde liegenden wissenschaftlichen Daten vollständig sein.
In der Realität sehe es allerdings noch anders aus, mahnt das Bündnis. Frauen seien in klinischen Studien nach wie vor unterrepräsentiert. Dies führe dazu, dass die Datengrundlagen, auf die sich KI-Analysen beziehen, unzureichend sind und somit ein Gender-Bias besteht. Hinzu komme, dass bei der automatisierten Auswertung von Daten häufig keine ausreichende Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Aspekte gewährleistet sei. Eine in diesem Maße nicht gendergerechte Versorgung, heißt es im Positionspapier weiter, könne bereits als Fehlversorgung verstanden werden. Vorhandene Wissensdefizite der geschlechtersensiblen Medizin dürften nicht in die digitale Welt übertragen werden, verlangte der Runde Tisch.
Dass medizinische Forschung und das Gesundheitssystem weitgehend am männlichen Teil der Bevölkerung ausgerichtet sind, wird historisch auch damit begründet, dass früher die meisten Ärzte männlich waren. Während in der Medizin mittlerweile der Anteil der Frauen an den Studierenden bei 64 Prozent liegt, ist das beispielseise bei der Informatik noch anders. Der Runde Tisch „Frauen im Gesundheitswesen“ verweist auf diesen Umstand und drängt auf eine geschlechtersensible (Weiter-)Entwicklung digitaler Technologien sowie eine paritätische Besetzung mit Frauen und Männern in Gestaltungspositionen der Digitalisierung.
Geschlecht in der Medizin muss auf die Tagesordnung
Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. will mit dem Projekt “Geschlecht in der Medizin“ den „Gender Health Gap“ schließen, z.B. durch mehr Präsenz in Lehrplänen/Kongressen.
Quelle:u. a. Positionspapier „Gender-Bias bei Künstlicher Intelligenz ausschließen – Versorgungsqualität erhöhen“, www.healthcare-frauen.de