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Medizin

Langanhaltende, unspezifische Rückenschmerzen haben nicht nur körperliche, sondern oft auch seelische Ursachen – und die Schmerzen strahlen auf das seelische Befinden aus. Dieser Zusammenhang ist mittlerweile breit anerkannt, sodass im Rahmen der sogenannten multimodalen Therapie neben medizinischen und physiotherapeutischen Behandlungsmethoden auch psychotherapeutische Ansätze integriert werden. Doch welcher psychotherapeutische Ansatz hilft bei chronischen, unspezifischen Schmerzen des unteren Rückens am besten?

Dieser Frage ging ein Team um Prof. Paulo Henrique Ferreira vom Charles Perkins Centre an der Universität Sydney nach. Das Forschungszentrum hat sich selbst zum Ziel gesetzt, neue Lösungen für lebensstilbedingte, chronische Krankheiten zu finden. Dabei wird der Mensch nicht nur als biologische Entität betrachtet, sondern auch als soziale Einheit, eingebettet in verschiedene Kontexte und Lebensumstände.

Verhaltenstherapeutische Ansätze und Schmerzaufklärung besonders wirksam

Für ihre Netzwerk-Metaanalyse (NMA), publiziert im British Medical Journal, zogen die Forschenden 97 Studien mit insgesamt 13.136 Teilnehmerinnen und Teilnehmern heran. Primäre Endpunkte waren die körperliche Funktion und die Schmerzintensität. Sekundäre Endpunkte waren ängstliches Vermeidungsverhalten, die gesundheitsbezogene Lebensqualität, die Compliance und die Sicherheit der Intervention.

Aus der umfassenden Analyse folgt eine zentrale, grundsätzliche Erkenntnis: Psychotherapeutische Interventionen wirken in Kombination mit Physiotherapie am besten. Gleichzeitig konnten psychotherapeutische Angebote die Wirksamkeit einer Physiotherapie verbessern. Eine Kombination macht also definitiv Sinn. Aber wie sieht es im Detail aus? Welche Art der Psychotherapie hilft am besten?

Eine Vielzahl von Therapien wurde in dieser Studie zu sechs Ansätzen zusammengefasst: Verhaltenstherapie, kognitive Verhaltenstherapie, Achtsamkeitstraining, Beratungsangebote, Schmerzedukation und Kombinationen aus zwei oder mehr psychologischen Therapien.

Post-interventionell erzielten die kognitive Verhaltenstherapie und die Schmerzedukation in Kombination mit Physiotherapie die deutlichste Verbesserung der körperlichen Funktion. Sie beide waren der Physiotherapie als alleinige Intervention überlegen. Die Effekte der Schmerzaufklärung hielten dabei am längsten an, bis zu sechs Monate. Hinsichtlich der Schmerzintensität waren post-interventionell die Verhaltenstherapie, die kognitive Verhaltenstherapie und die Schmerzaufklärung – jeweils in Kombination mit Physiotherapie – der Physiotherapie als alleinige Intervention überlegen. Hinsichtlich der Langzeiteffekte ist die Datenlage allerdings in allen Bereichen noch ausbaufähig.

Wege finden, um mit dem Schmerz zu leben

Die Bedeutung interdisziplinärer Interventionen betont auch die Deutsche Schmerzgesellschaft. Damit der Schmerz nicht zum Dauerproblem beziehungsweise zum zentralen Lebensthema wird, sollte bei anhaltenden Schmerzen frühzeitig eine interdisziplinäre Abklärung erfolgen und darauf aufbauend abgestimmte und ineinandergreifende therapeutische Maßnahmen.

Denn wenn Patientinnen und Patienten im aktiven Umgang mit dem Schmerz geschult sind, können sie ihre körperlichen Funktionen eher verbessern und ihre Leistungsfähigkeit wieder steigern. Das gibt neue Sicherheit und Lebensmut. Die neu gewonnene Lebensqualität kann wiederum dazu beitragen, dass der Schmerz weniger intensiv wahrgenommen wird.

Demgegenüber besteht ohne entsprechende Anleitung ein erhöhtes Risiko einer dysfunktionalen Schmerzbewältigung. Das Vermeidungsverhalten aufgrund der falschen Vorstellung, „etwas kaputtzumachen“ lässt die Muskulatur schwinden beziehungsweise weiter verspannen. Das gilt umso mehr, wenn der Mensch zum Katastrophisieren neigt und sich immer wieder das Schlimmste ausmalt. Je länger der Schmerz andauert, desto mehr schwindet der Glaube an die Selbstwirksamkeit. Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit machen sich breit. Die soziale Teilhabe bis hin zum Beruf können beeinträchtigt werden.

In der Opferrolle wird der Patient oder die Patientin außerdem eher zu Medikamentenabhängigkeit oder -missbrauch neigen. Es gibt also viele Gründe, den Patienten oder die Patientin möglichst bald wieder zu den Gestaltenden ihres Lebens werden zu lassen. Sie sollen den Schmerz im Griff haben, nicht umgekehrt.

Zu den Risikofaktoren für eine Schmerzchronifizierung gehören laut der Nationalen VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz Unzufriedenheit, psychosoziale Überforderung, Depression und Angst sowie eine passive Grundeinstellung. Die Psyche hat also einen relevanten Anteil an der Chronifizierung unspezifischer Schmerzen, sodass dieser Hebel genutzt werden sollte. Gelingt es im Zuge einer multimodalen Therapie, das neu Erlernte tatsächlich in den Alltag zu integrieren, können Patientinnen und Patienten wieder dem Leben begegnen und daraus neue Kraft schöpfen.

Quellen und Literatur:

Ho E K, Chen L, Simic M, Ashton-James C E, Comachio J, Wang D X M et al. Psychological interventions for chronic, non-specific low back pain: systematic review with network meta-analysis BMJ 2022

Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.: Nötig und möglich: Chronische Schmerzen frühzeitig verhindern

Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz