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Medizin

Neumutationen, die in den Keimzellen der Eltern auftreten oder in der frühen Embryonalphase entstehen, spielen bekanntermaßen eine prominente Rolle bei der Entstehung sporadischer Störungen. So können sie zum Teil schwere Herzfehler, achondroplastischen Zwergwuchs oder neurokognitive Störungen bedingen. Weiterhin scheinen Neumutationen jedoch auch die reproduktive Gesundheit zu beeinflussen und könnten einer neuen Studie zufolge einigen schweren Formen männlicher Infertilität zugrunde liegen.

Über diesen Zusammenhang berichten Forschende um die Genetikerin Manon Oud im Journal Nature Communications. In Kollaboration mit dem International Male Infertility Genomics Consortium untersuchte das Team Daten von 185 infertilen Männern und ihrer nicht betroffenen Eltern. Bei 145 dieser Trio-Analysen identifizierten sie seltene, proteinverändernde de novo Mutationen. Davon wurden 29 als mögliche Ursache für den männlichen infertilen Phänotyp eingestuft, da sie mit der Entwicklung von Spermien oder anderen zellulären Prozessen bei der Reproduktion in Verbindung gebracht wurden.

Weitervererbbare Unfruchtbarkeit

Eines der identifizierten Gene war das sogenannte RBM5, das bei Mäusen bereits mit schwerer Infertilität in Verbindung gebracht worden war. In einer Analyse bestehender Daten einer weiteren Kohorte von 2.506 unfruchtbaren Männern wurden sechs verschiedene Mutationen, die das RBM5-Gen betreffen, bei sieben dieser Männer festgestellt, jedoch keine bei den 5.784 Männern einer fruchtbaren Kohorte.

Bei rund 40 Prozent der Fälle männlicher Infertilität fehlte bisher eine Erklärung; nicht zuletzt, weil es an der Kenntnis diagnostisch relevanter Gene mangelte. Im Falle eines autosomal-dominanten Erbgangs bestünde bei in vitro gezeugten Söhnen eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, die Infertilität der Väter zu erben. Diese Implikation könnte von immenser Bedeutung sein.

Schließlich wurden mit Hilfe künstlicher Befruchtung bereits Millionen Kinder gezeugt. Unter Umständen könnte ein signifikanter Anteil dieser Kinder die Infertilität ihres Vaters geerbt haben.

Nicht nur auf die rezessive Vererbung schauen

Infertilität betrifft weltweit rund zehn Prozent aller Paare. In 50 Prozent der Fälle ist der Mann der Haupt- oder der beitragende Grund für die Schwierigkeiten bei der Empfängnis. Jedoch war der Grund für die männliche Infertilität in mindestens 40 Prozent dieser Fälle bislang unbekannt. Das hoffen die Forschenden nun zu ändern. „Dies ist ein echter Paradigmenwechsel in unserem Verständnis der Ursachen männlicher Infertilität“, erklärte Studienautor Prof. Joris Veltman, Dekan des britischen Newcastle University’s Biosciences Institute. „Die meisten genetischen Studien betrachten rezessive vererbte Ursachen der Infertilität, bei denen beide Eltern Träger einer Genmutation sind und die Unfruchtbarkeit zutage tritt, wenn der Sohn beide mutierten Kopien erhält.“ Die neuen Erkenntnisse weisen jedoch auf eine signifikante Rolle von Neumutationen bei der Infertilität von Söhnen nicht betroffener Eltern. „Derzeit verstehen wir bei einem großen Teil infertiler Männer nicht die zugrundeliegende Ursache“, so Veltman. „Diese Forschung trägt hoffentlich dazu bei, den Prozentsatz der Männer, für die wir Antworten liefern können, zu erhöhen.“

Um ihre Ergebnisse zu festigen und auf eine breitere Basis zu stellen, wollen die Forschenden ihre Arbeit künftig in einem internationalen Konsortium auf Tausende Patienten-Eltern-Trios ausdehnen. So soll die Rolle der identifizierten Gene auf die Spermatogenese und die Gesamt-Fruchtbarkeit noch klarer werden. „Mit Hilfe einer genetischen Diagnose können wir beginnen, zu verstehen, warum manche infertilen Männer immer noch Sperma produzieren, das erfolgreich für die Assistierte Reproduktion genutzt werden kann.“

Quellen und Literatur:

A de novo paradigm for male infertility. Oud MS et al. Nature Communications 2022.
Breakthrough into the cause of male infertility. Newcastle University Press Office 2022

RBM5 Is a Male Germ Cell Splicing Factor and Is Required for Spermatid Differentiation and Male Fertility. O’ Bryan MK et al. PLOS Genetics 2013