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Medizin

In den letzten Jahren ist der Darm und sein Ökosystem aus Bakterien, Pilzen, Viren und anderen Mikroorganismen, das sogenannte Darm-Mikrobiom, in den Fokus der Forschung gerückt. Wissenschaftler haben in Studien die Darm-Mikrobiota von Menschen mit verschiedenen Erkrankungen und gesunden Kontrollpersonen verglichen. Es gibt immer mehr Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen einer veränderten Zusammensetzung des Darmmikrobioms und neuropsychiatrischen Erkrankungen. Dieser Zusammenhang wird als sogenannte Darm-Hirn-Achse oder auch Mikrobiom-Darm-Hirn-Achse bezeichnet.

Der Darm ist damit nicht nur das größte Verdauungsorgan, sondern er ist auch ein Teil des Immunsystems und er scheint einen bedeutenden Einfluss auf das Gehirn zu haben.

Auf der Suche nach innovativen Therapien

Die weitere Erforschung der Darm-Hirn-Achse ist mit der Hoffnung verbunden, neue Therapieansätze für die unterschiedlichsten Erkrankungen zu finden. Erst Ende letzten Jahres hat zum Beispiel die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG sechs Millionen Euro Fördergelder für eine neue Forschungsgruppe zur Darm-Hirn-Achse an der Universität Erlangen bewilligt. Diese Gruppe beschäftigt sich mit der Kommunikation zwischen Darm und Gehirn bei entzündlichen und degenerativen Erkrankungen.

In früheren Studien gab es bereits Anzeichen dafür, dass die Darm-Mikrobiota bei Menschen verändert waren, die an Depressionen, Autismus-Spektrumsstörungen, Ängsten und Schizophrenie litten. Ein Forscherteam um Mary Butler von der Abteilung für Psychiatrie und Neuroverhaltenswissenschaften am University College Cork in Irland hat jetzt die Veränderungen des Darmmikrobioms bei Patienten mit sozialer Phobie untersucht.

Soziale Phobie schränkt das Leben ein

Die soziale Phobie gehört zu den Angsterkrankungen und ist eine der häufigsten psychiatrischen Erkrankungen. Etwa 8 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung sind im Zeitraum eines Jahres davon betroffen. Patienten leiden dabei an einer ausgeprägten Furcht vor sozialen Interaktionen und davor, von anderen negativ bewertet zu werden. Aufgrund der Ängste ziehen sich die Betroffenen immer mehr zurück und vermeiden soziale Aktivitäten. Das schränkt ihre Lebensqualität deutlich ein. Menschen mit einer sozialen Phobie haben ein höheres Risiko, später an einer Depression zu erkranken. Die S3-Leitlinie empfiehlt, Patienten mit Psychotherapie, insbesondere kognitiver Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRIs) und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRIs) zu behandeln. Da nicht alle Patienten auf diese Therapie ansprechen, gibt es einen Bedarf für alternative Behandlungsmethoden. Laut der Studienautoren könnte die Mikrobiom-Darm-Hirn-Achse einen möglichen Forschungsansatz darstellen.

Studienteilnehmer mit sozialer Phobie nahmen mehr Kohlenhydrate zu sich

An der Studie nahmen 31 Patienten mit einer sozialen Phobie und einem Durchschnittsalter von 36 Jahren, sowie 18 gesunde Kontrollpersonen mit einem Durchschnittsalter von 42 Jahren teil. Schwerwiegende akute oder chronische Erkrankungen, einschließlich funktioneller Magen-Darm-Störungen wie Reizdarmsyndrom, gehörten zu den Ausschlusskriterien. Beide Gruppen wiesen in Bezug auf Geschlecht, Rasse, Alkoholkonsum, Raucherstatus und Stuhlkonsistenz ähnliche Werte auf. Die Angstpatienten hatten höhere BMI-Werte als die Kontrollgruppe und signifikant weniger körperliche Betätigung. Etwas mehr als zwei Drittel von ihnen nahm Psychopharmaka ein. Der einzig nennenswerte Unterschied in der Nahrungsaufnahme bestand darin, dass die Patienten mit sozialer Phobie mehr Kohlenhydrate, im Besonderen mehr Zucker, zu sich nahmen.

Ein Psychiater untersuchte die Teilnehmer mithilfe verschiedener neuropsychologischer Testverfahren. Außerdem beantworteten sie einen umfangreichen Fragebogen zu ihren Ernährungsgewohnheiten. Ihre Stuhlproben wurden metagenomisch sequenziert.

Verändertes Darmmikrobiom bei den Angstpatienten

Es zeigte sich, dass sich die Darm-Mikrobiota der Angstpatienten von den gesunden Kontrollpersonen unterschied. Und zwar sowohl in der Gesamtzusammensetzung als auch in Bezug auf spezifische Art- und Gattungsmerkmale. Bei den Patienten mit sozialer Phobie waren Anaeromassilibacillus und Gordonibacter in größeren Mengen vorhanden, während bei den Kontrollpersonen Parasutterella häufiger vorkam. Diese Unterschiede blieben auch nach Anpassung an Alter, Geschlecht, BMI, Bewegung und Ernährungsunterschiede signifikant.

Bisher wissen die Forscher über Anaeromassilibacillus sowie über Gordonibacter und welche Rolle sie für unsere Gesundheit spielen noch wenig. Dennoch könnten diese Studienergebnisse ein neuer Ansatz für die Früherkennung gefährdeter Personen sein. Möglicherweise ergeben sich in der Zukunft auch Behandlungsmöglichkeiten der sozialen Phobie durch prä- und probiotische Nahrungsergänzung oder fäkale Mikrobiota-Transplantation.

Quellen:
https://www.nature.com/articles/s41398-023-02325-5

https://cora.ucc.ie/server/api/core/bitstreams/6640e4b0-3f13-421b-9ef1-a77bb65a6214/content

https://www.humangenetics.uni-bonn.de/de/forschung/forschungsprojekte-export/forschungsprojekte/psychiatr.-erkrankungen/soziale-phobie/soziale-phobie