Drohende US-Zölle auf Medikamente: Erste Reaktionen aus Brüssel und Berlin
Marzena SickingNach Trumps Ankündigung von 100-Prozent-Zöllen auf Arzneimittel verweist Brüssel auf Handelsabkommen mit 15-Prozent-Obergrenze. Deutsche Pharmaindustrie warnt vor Investitionsstopp und Versorgungsrisiken.
Die jüngste Ankündigung aus Washington zu massiven Importzöllen auf Pharmazeutika hat in Europa für Aufsehen gesorgt. Während die Europäische Kommission Gelassenheit demonstriert und auf bestehende Handelsvereinbarungen verweist, zeigt sich die deutsche Pharmaindustrie alarmiert. Der transatlantische Handelskonflikt erreicht damit eine neue Dimension und könnte weitreichende Folgen für den Gesundheitssektor auf beiden Seiten des Atlantiks haben.
Brüssel sieht europäische Exporte durch Handelsabkommen geschützt
Die Europäische Kommission versucht, die Besorgnis über die angekündigten US-Zölle zu dämpfen. Ein Sprecher verwies in Brüssel auf die im August geschlossene Handelsvereinbarung zwischen der EU und den USA, die eine maximale Zollbelastung von 15 Prozent für pharmazeutische Produkte festlegt. Diese Vereinbarung soll europäische Exporteure vor übermäßigen Zollbelastungen schützen.
Die Ankündigung aus Washington sieht jedoch vor, ab Anfang Oktober einen Zollsatz von 100 Prozent auf importierte, patentgeschützte Arzneimittel zu erheben. Eine Ausnahme soll für Unternehmen gelten, die Produktionsstätten in den USA errichten oder bereits mit dem Bau begonnen haben.
Deutsche Pharmaindustrie befürchtet erhebliche Konsequenzen
Im Gegensatz zur zurückhaltenden Position der EU-Kommission reagiert der Verband forschender Pharmaunternehmen (VFA) mit deutlicher Besorgnis. Der Verband sieht in den angekündigten Maßnahmen einen klaren Widerspruch zu den bestehenden Handelsabsprachen und warnt vor schwerwiegenden Folgen.
Der VFA-Präsident äußerte sich besorgt über die möglichen Auswirkungen auf internationale Lieferketten und die Arzneimittelversorgung. Besonders alarmierend sei, dass bereits jetzt Investitionsentscheidungen am Standort Deutschland zurückgestellt würden.
Bedeutung des US-Marktes für die deutsche Pharmaindustrie
Die Vereinigten Staaten stellen für die deutsche Pharmaindustrie mit ihren etwa 130.000 Mitarbeitern den wichtigsten Exportmarkt dar. Im Jahr 2024 wurden pharmazeutische Produkte im Wert von 27 Milliarden Euro in die USA exportiert, was einem Viertel der gesamten deutschen Pharmaexporte entspricht.
Die Ankündigung aus Washington zielt offenbar darauf ab, ausländische Pharmaunternehmen zu Investitionen in US-Produktionsstätten zu bewegen. Für europäische Hersteller könnte dies eine grundlegende Neuausrichtung ihrer Produktions- und Investitionsstrategien bedeuten.
Forderung nach europäischer Lösung
Angesichts der Herausforderung betont der VFA-Präsident die Notwendigkeit einer gesamteuropäischen Antwort. Er verweist auf das ungenutzte Potenzial des europäischen Binnenmarkts mit seinen 450 Millionen Verbrauchern, der jedoch durch die Fragmentierung in 27 nationale Märkte geschwächt wird. Diese Zersplitterung mache Europa anfällig für Druckausübung durch andere große Wirtschaftsräume.
FAQ: US-Zölle auf Arzneimittel – Was Ärzte wissen sollten
Könnten die angekündigten Zölle zu Lieferengpässen bei Medikamenten führen?
Ja, bei Umsetzung der 100-Prozent-Zölle könnten Lieferengpässe entstehen. Pharmaunternehmen müssten ihre Lieferketten umstrukturieren, was Zeit benötigt. Besonders bei patentgeschützten Spezialmedikamenten, die nur von bestimmten Herstellern produziert werden, könnte es zu Versorgungsengpässen kommen.
Werden die Zölle zu Preiserhöhungen bei Medikamenten führen?
In den USA ist mit Preiserhöhungen zu rechnen, falls die Zölle tatsächlich erhoben werden. Für den europäischen Markt sind direkte Preisauswirkungen zunächst nicht zu erwarten. Langfristig könnten jedoch höhere Produktionskosten durch veränderte Lieferketten auch hier zu Preisanpassungen führen.
Welche Medikamentengruppen wären besonders betroffen?
Primär betroffen wären patentgeschützte und markenrechtlich geschützte Arzneimittel. Dazu zählen viele innovative Therapien, Biologika und spezialisierte Medikamente, besonders in Bereichen wie Onkologie, Immunologie und seltene Erkrankungen.
Was bedeutet dies für die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente?
Die Unsicherheit könnte Investitionen in Forschung und Entwicklung beeinträchtigen. Pharmaunternehmen müssten möglicherweise Ressourcen umleiten, um Produktionskapazitäten in den USA aufzubauen, was zu Lasten von F&E-Budgets gehen könnte.
Sollten Ärzte jetzt bestimmte Medikamente bevorzugt verschreiben?
Aktuell besteht kein Anlass, das Verschreibungsverhalten zu ändern. Die EU-Kommission geht davon aus, dass die bestehenden Handelsabkommen greifen. Sollte es dennoch zu Lieferengpässen kommen, würden die zuständigen Behörden Empfehlungen zu Alternativpräparaten herausgeben.
Wie können sich Arztpraxen auf mögliche Lieferengpässe vorbereiten?
Es empfiehlt sich, die Kommunikation mit Apotheken und Großhändlern zu intensivieren und sich über mögliche Alternativpräparate für kritische Medikamente zu informieren. Zudem sollten Ärzte ihre Patienten sensibilisieren, Medikamente nicht zu horten, um Versorgungsengpässe zu vermeiden.
Wann ist mit einer endgültigen Entscheidung zu den Zöllen zu rechnen?
Die angekündigten Zölle sollen ab dem 1. Oktober in Kraft treten. Bis dahin sind noch diplomatische Verhandlungen möglich. Die EU-Kommission dürfte alle Mittel ausschöpfen, um die Umsetzung der Zölle zu verhindern oder zumindest europäische Exporte davon auszunehmen.