Mikroplastik: Unsichtbare Gefahr in der Raumluft
Deborah WeinbuchMikroplastik wird hauptsächlich mit der Nahrung aufgenommen? Eine neue Untersuchung mit Raman-Spektroskopie zeigt: Der größere Anteil der täglichen Exposition dürfte aus der Raumluft stammen.
Menschen in Industrieländern verbringen etwa 90 Prozent ihrer Zeit in Innenräumen. Durch den Abrieb von Kunststoffen, beispielsweise von Polstermöbeln, Teppichen oder Küchen-Schneidebrettern, werden winzige Partikel freigesetzt. Diese lagern sich auf Oberflächen ab und werden durch Luftströme wieder aufgewirbelt. Auch Fasern aus Polyester, Polyamid oder Acryl aus Kleidung lösen sich und verteilen sich im Raum. Im Auto setzen Vibrationen und Reibung beispielsweise Partikel aus den Sitzen und Teppichen frei.
Bisher wurde das Problem massiv unterschätzt. Denn die gängigen Messmethoden erfassten nur größere Partikel, während die zahlreicheren kleineren Teilchen übersehen wurden. Genau diese sind jedoch lungengängig und können in den gesamten Organismus gelangen.
Autos besonders belastet
Forschende um Dr. Nadiia Yakovenko aus Toulouse haben erstmals mithilfe von Raman-Spektroskopie gezielt Mikroplastikpartikel im Bereich von 1 bis 10 µm nachgewiesen – jene Größe, die tief in die Lunge eindringen kann. Die Ergebnisse der kleinen Studie schildern sie im Journal PLOS One. Das Team fand in Wohnungen eine mittlere Konzentration von 528 MP-Partikeln pro Kubikmeter Luft, in Fahrzeuginnenräumen war der Wert mehr als viermal so hoch. Ganze 94 Prozent der Teilchen waren dabei kleiner als 10 µm. In Wohnräumen dominierte Polyethylen (PE), etwa aus Verpackungen, Folien, Kabeln, Bodenbelägen oder Fleecejacken. In Autos fanden sich vor allem Polyamid (PA), Acrylnitril-Butadien-Styrol (ABS) sowie Polyethylenterephthalat (PET) – typische Bestandteile von Sitzen, Armaturen und Innenverkleidungen. Rund 68.000 Partikel der Größe 1 bis 10 µm atmen Erwachsene täglich ein, so schätzen die Forschenden. Bei Kindern sind es rund 47.000 Partikel. Die Daten legen nahe, dass die Inhalation ein mindestens ebenso relevanter Expositionspfad sein könnte wie die Aufnahme über Nahrung.
Feinpartikuläres Mikroplastik scheint sich dabei so zu verhalten wie anderer Feinstaub (PM10/PM2,5): Zell- und Tierstudien zeigen Entzündungsreaktionen, oxidativen Stress und Gewebeschäden. Zusätzlich tragen Polymere Additive wie Weichmacher oder Flammschutzmittel. Mikroplastik wirkt außerdem wie ein Magnet für Schadstoffe, an dem Umweltgifte (z. B. Pestizide, Schwermetalle, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) haften bleiben. Diese könnten endokrine und immunologische Effekte verstärken.
Inhalation als möglicher Hauptpfad
Modellrechnungen zeigen die Inhalation sogar als bedeutendsten Expositionspfad für lungengängiges Mikroplastik. Es gilt also, Patientinnen und Patienten für saubere Raumluft zu sensibilisieren – und die weitere Evidenzentwicklung zu verfolgen.
Gefährdete Gruppen
Besonders relevant ist diese Belastung für Kinder, Ältere sowie Patienten mit Atemwegs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Regelmäßiges Lüften, Staubreduktion und Luftfilter können helfen.