Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Praxisführung

Zu den Ursachen des Mangels an Medizinischen Fachangestellten (MFA) zählt eine zunehmende Nachfrage in der Wachstumsbranche Gesundheit. Dem gegenüber steht ein schrumpfendes Angebot an möglichen Arbeitskräften. Letzteres hängt in erster Linie mit der demografischen Tatsache zusammen, dass die Geburtenzahlen in Deutschland – von zeitweiligen kurzen Erholungsphasen abgesehen – seit den 1960er-Jahren rückläufig sind. Nach einem Höchststand von 1,36 Millionen Geburten (im Jahr 1964), liegen die Geburtenzahlen aktuell (Jahre 2015 bis 2020) zwischen 737.000 und 792.000 pro Jahr (Quelle: Geburten-Tabelle von Destatis).

„War for talents”

Viele Lösungswege werden vorgeschlagen, um das Problem in den Griff zu bekommen. Von Personalmarketing in allen Facetten, über eine Ansprache von potenziellen Azubis schon in der Schule, bis hin zur Zahlung von überdurchschnittlich hohen Löhnen. Solche Maßnahmen lassen sich zusammenfassend bezeichnen als „war for talents“: Man akzeptiert einen immer stärkeren Wettbewerb um gute Nachwuchskräfte und beteiligt sich aktiv daran. Das erfordert aber erhebliche Ressourcen und der erfolgreiche Ausgang ist ungewiss. Deshalb kann es sich für Niedergelassene lohnen, alternative Lösungsansätze ins Auge zu fassen.

Personalreserven entdecken und nutzen

Zunächst drei Denkanstöße, wie man der Personalknappheit von MFA am Arbeitsmarkt durch kreative Lösungsansätze begegnen kann. Und zwar indem man Personalreserven nutzt, die andere noch nicht für sich entdeckt haben.

Erstens: Ruheständler reaktivieren

Es gibt eine wachsende Zahl von Menschen, die sich im Ruhestand befinden, aber gerne noch stundenweise arbeiten würden. Diese erfahrenen Kräfte lassen sich im Labor einsetzen, für Verbandswechsel usw. Für solche Tätigkeiten kommen außerdem nicht nur MFA infrage. Auch Gesundheits- und Krankenpflegepersonal ist geeignet, ebenso wie Fachkräfte aus der Altenpflege. Sie alle vergrößern die Zahl der für eine Praxis sinnvollen Kandidaten. Wer den „Suchradius“ entsprechend erweitert, kann manchmal schon mit einem Aushang in einem nahegelegenen Krankenhaus oder Altenpflegeheim großen Erfolg haben.

Zweitens: Home Office-Kräfte suchen und einsetzen

Arbeitskräfte, die aktuell nicht vor Ort in einer Praxis arbeiten können, z.B. weil sie Kinder haben oder ältere Familienangehörige betreuen, sind ein weiteres Personalreservoir, das Niedergelassene nutzen können. Mit überschaubarem technischem Aufwand kann man solchen Arbeitskräften einen Home Office-Arbeitsplatz einrichten, von dem aus sich beispielsweise Gutachten schreiben lassen, Privatabrechnungen erledigt werden können usw. etc.

Drittens: Fachfremde Arbeitskräfte

In fast jeder Praxis gibt es eine Reihe von Tätigkeiten, die nicht unbedingt von MFA erledigt werden müssen, z.B. Telefondienst, Dokumente einscannen oder auch Reinigungs- und Organisationstätigkeiten. Für solche Tätigkeiten kann – zur Entlastung des MFA-Teams – der Einsatz fachfremder Kräfte sinnvoll und lohnend sein.

Praxisinhaber als Unternehmer: Betriebswirtschaftliche Strategien

Im Weiteren geht es um Überlegungen, wie man mit weniger Personal auskommen  und auf diese Weise die Abhängigkeit vom knappen Angebot am Arbeitsmarkt verringern kann.

Ein kurzer Blick in die Betriebswirtschaftslehre: Wenn ein Produktionsfaktor – in unserem Fall MFA – knapp ist und/oder immer teurer wird, versucht der Unternehmer, diesen Produktionsfaktor zu substituieren. Dies ist eine klassische Vorgehensweise in vielen Unternehmen. Und Arztpraxen sind Unternehmen. Es spricht also nichts dagegen, diesen Gedanken weiterzuspinnen.

Ziel könnte es hierbei sein, seine Arztpraxis so zu organisieren, dass sie mit weniger Personal auskommt. Spontanes Gegenargument: „Das geht nicht!“ Verständlich, denn man sucht ja Personal, weil man das Gefühl hat, die Arbeit wächst einem über den Kopf. Deshalb nachfolgend einige Impulse, wie es vielleicht doch geht.

Substitution von Personal durch Technik

Erfreulicherweise bieten Praxis-EDV-Systeme und andere IT-Anbieter seit einiger Zeit immer mehr Module an, welche die MFA einer Praxis entlasten können. Es gibt z. B. intelligente (KI-basierte) Telefon-Assistenten und verschiedenste Möglichkeiten für Online-Terminvereinbarungen. Richtig eingesetzt, haben solche Systeme – je nach Praxisgröße – das Potenzial, mit einer halben oder sogar ganzen MFA-Stelle weniger auszukommen.

Ein nachvollziehbarer Grund, warum Praxisinhaber solchen technischen Innovationen skeptisch gegenüberstehen, ist der Startaufwand für Installation, Änderung der Arbeitsabläufe usw. Denn das alles muss neben dem normalen Praxisalltag geleistet werden, der sowieso kaum Luft zum Atmen lässt. Die Frage ist, will man weiter unter Personalmangel leiden oder das Thema entschlossen anpacken?

Ein zweiter Denkanstoß:

Zurückfahren von Delegation

Über viele Jahre war Delegation von Leistungen an MFA das probate Mittel, um den Ertrag einer Praxis zu steigern. Andererseits muss man sehen, dass jede Form von Delegation Schnittstellen und notwendige Kontrollpunkte schafft. Das wiederum ist Aufgabe der delegierenden Personen.

Impuls: Als Behandler könnte man sich kritisch fragen, welche delegierten Aufgaben man vielleicht wieder an sich ziehen und rasch selbst erledigen könnte. Manchmal wird man dann feststellen, dass gewisse Prozesse in dieser Konstellation sogar stressfreier ablaufen, weil man weiß, dass sie erledigt sind und keine Kontrolle nötig ist.

Wenn man an das Prinzip der Delegation gewöhnt ist, bleiben vermutlich gewisse Gedanken nicht aus: „Das könnte jetzt wirklich eine MFA erledigen.“ Oder: „Habe ich dafür studiert? Ich bin schließlich hoch qualifiziert“. Einverstanden, aber wenn der Arbeitsschritt schneller erledigt ist und die Kontrolle entfällt, macht er aus unternehmerischer Sicht meistens trotzdem Sinn. Und ist zudem ein konkreter Schritt, den Bedarf an MFA-Stunden zu reduzieren.

Personal als Prestige-Symbol?

Schließlich – um die betriebswirtschaftliche Betrachtung komplett zu machen – könnte man sich als Praxisinhaber selbstkritisch betrachten: „Ist die Zahl der MFA für mich vielleicht auch so etwas wie ein Statussymbol oder etwas, woran ich mich einfach gewöhnt habe? Wir hatten schon immer vier MFA.“ Jeder mag sich selbstkritisch fragen, ob das vielleicht der Fall sein könnte, ohne dass einem das bisher aufgefallen ist.

Die Kernaufgabe von Medizinern ist sicher nicht, Arbeitgeber zu sein, sondern die Gesundheit von Menschen wiederherzustellen bzw. zu erhalten und dabei einen angemessenen Gewinn zu erwirtschaften. Je weniger Einsatz des knappen und teuren Faktors Personal eine Praxis dafür benötigt, desto besser ist ihre unternehmerische Leistung zu bewerten.

Zusammenfassung

Am Arbeitsmarkt für MFA trifft die steigende Nachfrage (die Gesundheitswirtschaft wächst) auf ein sinkendes Angebot (niedrige Geburtenzahlen). Erschwerend kommt hinzu, dass die in naher Zukunft in den Arbeitsmarkt eintretenden Jahrgänge von 2005 bis 2011 mit jeweils unter 700.000 Geburten die schwächsten seit Bestehen der Bundesrepublik sind.

Mit Entspannung am Arbeitsmarkt ist also nicht zu rechnen. Für Arztpraxen sind drei grundlegende Strategien möglich: (1.) Einsteigen in den «War for talent». (2.) Personalreserven nutzen, die andere noch nicht für sich entdeckt haben. (3.) Unternehmerisch kluge Lösungen suchen, um den Bedarf am knappen Faktor Personal, der zudem fast immer der größte Kostenblock ist, zu reduzieren.

*Der Autor: Dr. rer. oec. Gundolf Meyer-Hentschel ist Inhaber von Meyer-Hentschel Online World. Der erfahrene Unternehmens- und Praxisberater ist Autor/ Hrsg. von 9 Büchern. 2020 wurde er aufgrund seiner fundierten Expertise in Marquis „Who’s Who in the World“ aufgenommen. Weitere Informationen unter: https://mho.world