Ärztliche Schweigepflicht: Anfragen von Sozialversicherungsträgern
Ina ReinschWenn Ärzte Anfragen zu Patienten erhalten, etwa von der Rentenversicherung oder dem Arbeitsamt, und Auskünfte über deren Gesundheit geben sollen, sind viele verunsichert. Wie weit reicht die Schweigepflicht? Ist eine Einwilligung des Patienten erforderlich? Und wann verpflichten Gesetze den Arzt zur Auskunft?
Gesetzliche Krankenkassen, Unfallversicherungs- oder Rentenversicherungsträger fordern von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten immer wieder Auskünfte zu den gesundheitlichen Verhältnissen von Patienten an. Das nimmt in der Praxis nicht nur viel Zeit in Anspruch, viele Ärzte fragen sich auch, ob sie überhaupt ohne Weiteres Auskunft über den Gesundheitszustand ihres Patienten geben dürfen oder diesen nicht sogar fragen oder zumindest informieren müssten.
Die ärztliche Schweigepflicht gilt umfassend
Die Verunsicherung auf Seiten der Ärzte ist groß. Denn jeder weiß, dass er die ärztliche Schweigepflicht beachten muss. Diese ist sowohl in den Berufsordnungen der Landesärztekammern als auch im Strafgesetzbuch in § 203 geregelt. Auch aus dem Behandlungsvertrag mit dem Patienten ergibt sich eine Nebenpflicht zur Verschwiegenheit.
Die ärztliche Schweigepflicht gilt grundsätzlich auch gegenüber Sozialversicherungsträgern. Verstößt ein Arzt gegen diese Pflicht, kann er mit einer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft werden. Die Schweigepflicht umfasst dabei nicht nur Diagnosen im engeren Sinn, sondern alles, was Ärzten in ihrer beruflichen Eigenschaft anvertraut wurde oder bekannt geworden ist. Dazu gehören alle Tatsachen und Umstände, die sich auf den Gesundheitszustand eines Patienten beziehen (Diagnose, Therapien, ärztliche Aufzeichnungen, Befunde). Sie umfasst aber auch Gedanken, Meinungen, Gefühle und Handlungen sowie familiäre, finanzielle und berufliche Verhältnisse, an deren Geheimhaltung der Patient ein erkennbares Interesse hat. Umfasst werden sogar sogenannte Drittgeheimnisse (Patientin erzählt von der Erkrankung ihrer Schwiegermutter). Selbst die Frage, ob eine Person überhaupt Patient in der Praxis ist, fällt darunter. Von der Schweigepflicht umfasst sind außerdem alle Umstände, die der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung zufällig beobachtet oder erfährt, etwa während eines Hausbesuchs. Die ärztliche Schweigepflicht gilt zudem über den Tod des Patienten hinaus.
Allerdings können Ärztinnen und Ärzte berechtigt oder sogar verpflichtet sein, Informationen über ihre Patienten weiterzugeben und zwar auf der Grundlage
gesetzlicher Bestimmungen,
der Einwilligung des Patienten,
in besonderen Situationen zum Schutz höherwertiger Interessen,
zur Wahrnehmung berechtigter Interessen.
Bei der Frage, ob Ärzte gegenüber Sozialversicherungsträgern Auskunft über ihre Patienten erteilen müssen und dürfen, spielen die gesetzlichen Bestimmungen sowie in bestimmten Fällen die Einwilligung des jeweiligen Patienten eine Rolle. Grundsätzlich sind Ärztinnen und Ärzte nach § 100 des zehnten Sozialgesetzbuchs (SGB) verpflichtet, den Leistungsträgern in der gesetzlichen Sozialversicherung im Einzelfall auf Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit es für die Durchführung ihrer Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch erforderlich ist und es entweder gesetzlich zugelassen ist oder der Betroffene im Einzelfall (in der Regel schriftlich) eingewilligt hat. Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, muss der Arzt schweigen.
Die Formulierung im Sozialgesetzbuch zeigt, dass Sozialversicherungsträger nur dann Auskünfte verlangen können, wenn sie diese im Einzelfall für die Durchführung ihrer Aufgaben benötigen. Die Anfrage muss sich also auf einen konkreten Sachverhalt beziehen und beschränken. Ein allgemeines Einsichtsrecht in die gesamte Patientenakte gibt es nicht. Der Leistungsträger muss sich mit konkreten Fragen an den Arzt wenden.
Gesetzliche Unfallversicherung
Gegenüber Unfallversicherungsträgern sind Ärzte vom Grundsatz her zur Datenübermittlung und zur Erteilung von Auskünften verpflichtet. Ärzte, die nach einem Versicherungsfall an der Heilbehandlung beteiligt sind, müssen dem Unfallversicherungsträger die Daten über die Behandlung, den Zustand des Versicherten und gegebenenfalls weitere personenbezogene Daten übermitteln, soweit dies zum Zwecke der Heilbehandlung und der Erbringung sonstiger Leistungen erforderlich ist (§ 201 SGB VII). Ärzte, die nicht unmittelbar in die Heilbehandlung nach einem Versicherungsfall involviert sind, sind verpflichtet, dem Unfallversicherungsträger auf dessen Verlangen Auskunft über die Behandlung, den Zustand sowie über Erkrankungen und frühere Erkrankungen des Versicherten zu erteilen (§ 203 SGB VII). Voraussetzung ist, dass die Auskünfte für die Heilbehandlung und die Erbringung von Leistungen erforderlich sind. Möchte die Unfallversicherung sehr umfangreiche Auskünfte, sind Ärzte gut beraten nachzufragen, was die Gründe für die begehrte Auskunftserteilung in dem konkreten Fall sind.
Rentenversicherung
Im Recht der Rentenversicherung (SGB VI) besteht für Ärzte gegenüber der Deutschen Rentenversicherung keine gesetzliche Verpflichtung zur Erteilung von Auskünften. Es bedarf hier einer ausdrücklichen schriftlichen oder elektronischen Einwilligungserklärung des Patienten, er muss den Arzt also von der Schweigepflicht entbinden (§ 100 Abs. 1 Nr. 2 SGB X).
Krankenkassen
Vertragsärzte sind grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, den gesetzlichen Krankenkassen zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben Auskünfte zu erteilen sowie Bescheinigungen, Zeugnisse, Berichte und Gutachten zu erstellen (§ 36 Abs. 1 BMV-Ä). Verwendet die Krankenkasse keinen der dazu vereinbarten Vordrucke, muss sie angeben, aufgrund welcher Bestimmungen des SGB oder anderer Rechtsvorschriften die Übermittlung der Information zulässig sein soll.
Anfragen der Krankenkassen auf vereinbarten Vordrucken muss der Vertragsarzt beantworten. Werden auf einem vereinbarten Vordruck zusätzliche Fragen gestellt oder Fragen geändert, entspricht der zusätzliche oder geänderte Teil nicht mehr der Vordruckvereinbarung. Vertragsärzte können die Beantwortung der zusätzlichen oder geänderten Fragen daher ablehnen. Möchte der Arzt die Fragen beantworten, benötigt er die Einwilligung seines Patienten und eine Entbindung von der Schweigepflicht.
Medizinischer Dienst
Vertragsärzte sind verpflichtet, auf Anforderung des Medizinischen Dienstes (MD) Sozialdaten über ihre Patienten zur Verfügung zu stellen (§§ 275, 276 Abs. 2 SGB V). Der MD ist nur im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung auskunftsberechtigt. Dies setzt voraus, dass die zuständige Krankenkasse den MD im konkreten Fall beauftragt hat.
Für einfache Auskünfte, Bescheinigungen oder Zeugnisse ist kein Vordruck vorgesehen. Der MD muss aber bei seiner Anfrage die Rechtsgrundlage für seine Auskunftsberechtigung und die Auskunftspflicht des Vertragsarztes sowie den Zweck der von ihm erbetenen Auskunft im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung angeben. Für ausführliche Berichte muss der vereinbarte Vordruck (Muster 11) verwendet werden.
Fordern die Krankenkasse oder der MD Behandlungsunterlagen an, muss der Arzt diese Daten unmittelbar an den MD übermitteln. Kommt die Anforderung von der Krankenkasse, muss sie dem Arzt für die Übermittlung an den MD einen vollständig vorausgefüllten Weiterleitungsbogen (Muster 86) sowie einen Freiumschlag zur Verfügung stellen. Ein Versand der Unterlagen an den MD ohne Beifügung des Weiterleitungsbogens ist nicht zulässig. Der Arzt muss hier übrigens auch Fremdbefunde übermitteln, wenn sie für die Prüfung des MD im konkreten Fall relevant sind.
Agentur für Arbeit
Der Agentur für Arbeit darf und muss der Arzt Auskünfte nur erteilen, wenn der Leistungsträger diese zu ihrer Aufgabenerstellung im Einzelfall benötigt und der betroffene Patient in die Auskunftserteilung zuvor schriftlich oder elektronisch eingewilligt hat (§ 100 SGB X). Das Schreiben muss daher die Einwilligung des Versicherten enthalten oder es muss explizit eine Rechtsgrundlage benannt sein, die die Übermittlung erlaubt.