Eine Privatpraxis neben der Kassenpraxis betreiben — geht das?
Ina ReinschVertragsärzte sollen in erster Linie für die Versorgung von GKV-Patienten zur Verfügung stehen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sehen es daher nicht gerne, wenn Ärztinnen und Ärzte neben der Kassenpraxis eine Privatpraxis führen. Unmöglich ist es aber nicht. Worauf es dabei ankommt.
Viele Ärztinnen und Ärzte legen dem Betrieb ihrer Kassenpraxis eine Mischkalkulation zugrunde – sie bieten neben den Kassenleistungen auch Ige-Leistungen, sogenannte Selbstzahlerleistungen, für gesetzlich versicherte Patienten an und stehen natürlich auch Privatpatienten offen. Meist macht erst die richtige Mischung aus einer durchschnittlichen Praxis eine wirtschaftlich gut gehende Praxis. Manche Ärzte denken daher auch darüber nach, neben ihrer Kassenpraxis eine reine Privatpraxis zu eröffnen – schicker, moderner und mit anderen Geräten. Aber: Dürfen sie das?
Grenzen setzt hier vor allem das Vertragsarztrecht. Denn durch den Betrieb einer Zweitpraxis kann sich die Arbeit am Vertragsarztsitz ändern. Die Kassenärztliche Vereinigung wird sich genau ansehen, ob der Arzt seinem Versorgungsauftrag noch nachkommt, wenn er zusätzlich Sprechstunden in seiner Privatpraxis anbietet und ob er Leistungen für GKV-Patienten an seinen Privatstandort auslagern darf.
Versorgung der Kassenpatienten muss sichergestellt sein
Vertragsärztinnen und -ärzte mit vollem Versorgungsauftrag sind verpflichtet, Vollzeit zu arbeiten und entsprechende Sprechstunden abzuhalten (§ 19a Abs. 1, § 24 Abs. 2 Ärzte-Zulassungsverordnung). Derzeit sind das mindestens 25 Stunden pro Woche. Wer eine Privatpraxis neben einer Kassenpraxis betreiben will, muss die Versorgung der Kassenpatienten am Vertragsarztsitz entsprechend seinem Versorgungsauftrag sicherstellen. Zeitlich möglich ist das auch bei vollem Versorgungsauftrag. Bei einem geringeren Versorgungsauftrag erst recht.
Gleichzeitig darf der Arzt aber das Leistungsangebot am Kassenarztsitz nicht aushöhlen. Die Teilnahme eines Vertragsarztes an der vertragsärztlichen Versorgung in einem Fachgebiet verpflichtet ihn nämlich dazu, die wesentlichen Leistungen seines Fachgebiets im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch tatsächlich anzubieten. Er darf für Leistungen, die vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) umfasst sind und für die es im EBM Gebührenpositionen gibt, für die er als Arzt die fachlichen Voraussetzungen erfüllt sowie die Geräte zur Verfügung hat, nicht extra Geld von den gesetzlich versicherten Patienten verlangen.
Welche Leistungen das konkret sind, ist bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Es wäre aber rechtlich schon problematisch, bestimmte Geräte in einer Praxis aus wirtschaftlichen Gründen nur den Privatpatienten zugänglich zu machen, wenn mit ihnen auch abrechenbare Leistungen für Kassenpatienten erbracht werden können. Das würde eine Diskriminierung gesetzlich versicherter Patienten darstellen, die auch disziplinarische Folgen haben könnte.
Daraus kann man schlussfolgern, dass es auch nicht zulässig wäre, wenn ein Vertragsarzt einzelne Leistungen der vertragsärztlichen Versorgung aus seiner Vertragsarztpraxis ausgliedert und nur noch in seiner Privatpraxis anbietet. Das bedeutet umgekehrt, dass es vertragsarztrechtlich zulässig sein dürfte, eine Privatpraxis zu betreiben, wenn diese den gleichen Standard und Leistungsumfang hat wie die Kassenpraxis. Am Privatstandort dürfen aber Leistungen angeboten werden, die gar nicht zum Leistungsangebot der GKV gehören. Bei manchen Leistungen kann es allerdings zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen, zum Beispiel bei Ige-Leistungen, die für manche Kassenpatienten mit bestimmten Indikationen Kassenleistungen sind.
Klare Trennung, um Interessenkonflikte zu vermeiden
Die Kassenärztliche Vereinigung könnte außerdem argumentieren, dass der Betrieb einer Privatpraxis neben einer Kassenpraxis mit einer Tätigkeit als Vertragsarzt unvereinbar ist. § 20 Abs. 2 Satz 1 der Ärzte-Zulassungsverordnung regelt nämlich, dass ein Arzt als Vertragsarzt nicht geeignet ist, wenn er noch einer Arbeit nachgeht, die mit seiner Arbeit als Vertragsarzt nicht im Einklang steht. Die entsprechende Vorschrift soll verhindern, dass es zu einem Interessenkonflikt oder zu Verpflichtungen kommt, die sich gegenseitig widersprechen.
Das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn ein Arzt in seiner Privatpraxis so viel arbeitet, dass er seinen Versorgungsauftrag als Vertragsarzt nicht mehr ordnungsgemäß wahrnehmen kann. Eine Interessenkollision kann auch dadurch entstehen, dass sich die vertragsärztliche und die privatärztliche Tätigkeit zum Nachteil der Versicherten vermischen, etwa weil sich die Patientengruppen überschneiden. Um das zu vermeiden, müssten Ärzte, die neben der Kassenpraxis noch eine Privatpraxis gründen wollen, darauf achten, am Sitz der Kassenpraxis das gesamte Leistungsspektrum des jeweiligen Fachgebiets anzubieten und die Privatpraxis weit genug entfernt von der Kassenpraxis zu betreiben.
Um rechtssicher agieren zu können, sollten Ärzte, die eine Privatpraxis neben der Kassenpraxis gründen wollen, dies dem Zulassungsausschuss anzeigen und sich bestätigen lassen, dass der Betrieb der Privatpraxis neben der Kassenpraxis mit der vertragsärztlichen Tätigkeit vereinbar ist. Ob der Betrieb einer Privatpraxis neben einer Kassenpraxis zulässig ist, ist jedoch immer eine Frage des Einzelfalls und muss fein austariert werden. Dass es geht, zeigen immer wieder einzelne Fälle aus der Praxis.
Ina Reinsch
86899 Landsberg am Lech