Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Recht

Ein gesetzlich versicherter Patient hatte seit Jahren chronische Rückenschmerzen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule. 2013 erkrankte er an Hodenkrebs. Ihm wurden nach einer Operation Hodenimplantate eingesetzt, die ihm jedoch weitere Schmerzen bereiteten. Der Grund: Die Implantate waren zu groß. Verschiedene medikamentöse Schmerztherapien blieben erfolglos.

Linderung verschaffte ihm einzig eine privatärztliche Verordnung von Cannabis. Auf Dauer konnte und wollte er sich diese teure Schmerzmedikation aber nicht mehr leisten. Über den behandelnden Schmerztherapeuten beantragte er bei seiner gesetzlichen Krankenversicherung die Kostenübernahme für Cannabisblüten. Der behandelnde Arzt wies im Antrag auf eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, einen Zustand nach Hodenkrebs sowie ein HWS- und LWS-Syndrom hin.

Herkömmliche Schmerzmittel zeigten keine Wirkung

Die Krankenversicherung lehnte den Antrag Ende 2020 jedoch ab. Die sozialmedizinischen Voraussetzungen zur Leistungsgewährung seien nicht erfüllt, da Alternativen zur Verfügung stünden. Die Schwere der aktuellen Erkrankung sei nicht ersichtlich. Privatrezepte seien keine Kassenleistung und könnten auch nicht erstattet werden.

Der Antragsteller erhob Widerspruch. Zur Begründung führte er an, dass andere Schmerzmittel keine Wirkung gezeigt hätten und dass konservative und medikamentöse Therapien die Beschwerden nur leidlich gebessert hätten. Die Schmerzen würden vor allem die Nachtruhe behindern. Durch die Einnahme von Medikamenten sei seine Konzentrationsfähigkeit herabgesetzt. Es bestehe ein Dauerzustand mit einer Tendenz zur Verschlechterung.

Die Lösung: Kleinere Hodenimplantate

Die Krankenkasse beauftragte schließlich den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der sozialmedizinischen Begutachtung. Dieser kam in einem Gutachten zu dem Schluss, dass keine schwerwiegende Erkrankung vorliegen würde. Die allgemein anerkannten medizinischen Maßnahmen seien zudem in keiner Weise ausgeschöpft. Dies betreffe sowohl Analgetika als auch ambulante oder stationäre rehabilitative Maßnahmen. Auch urologische Maßnahmen seien bisher nicht erfolgt: Seien die Implantate zu groß, müssten sie eben ausgetauscht werden.

Gericht lehnt Antrag auf Cannabis ab

Im März 2021 bat der Patient das Gericht um einstweiligen Rechtsschutz, weil er wegen seiner Schmerzen nicht länger auf eine Entscheidung warten wollte. Das Sozialgericht Braunschweig lehnte den Antrag jedoch ebenso ab wie das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (11.05.2021, Az. L 16 KR  163/21 B ER). Letzteres sah schon keine Eilbedürftigkeit. Dem 42-jährigen Kläger sei zuzumuten, das Hauptsacheverfahren abzuwarten. Schließlich sei er nicht lebensbedrohlich erkrankt und die Schmerzen ohnehin schon chronisch.

Der Patient solle, so die Gerichte, zunächst Rehabilitationsmaßnahme und Heilmittel in Anspruch nehmen. Außerdem konnten die Gerichte nicht nachvollziehen, warum er sich nicht schon längst um den Einsatz einer kleineren Hodenprothese bemühe, wenn die jetzige über einen Zeitraum von sechs Jahren so massive Beschwerden bereite. Sie folgerten daraus, dass das Schmerzgeschehen im Bereich des Hodens kein intolerables Ausmaß angenommen haben könne. Auch hatte das Gericht Zweifel daran, dass Rückenschmerzen und Schmerzen durch eine „beschwerdeträchtige Hodenprothese“ allein durch Cannabis behandelt werden können.

Männer haben Anspruch auf Kostenübernahme

Grundsätzlich gilt: Müssen Männern wegen eines Hodenkrebses beide Hoden entfernt werden, haben sie gegenüber der Krankenversicherung Anspruch auf Übernahme der Kosten für ein Testicularimplantat. Das hat 2020 das Sozialgericht München entschieden (22.01.2020, Az. S 54 KR 1172/19). Laut Gericht hätten Männer einen Anspruch darauf, dass ihre durch den medizinischen Eingriff beeinträchtigte „körperliche Integrität“ so weit als möglich wiederhergestellt wird. Es gehe dabei nicht um eine kosmetische Operation, sondern um die möglichst weitgehende Wiederherstellung des Zustands vor einer Krankenbehandlung. Daher komme es bei der Frage des „Ob“ auch  nicht auf eventuelle psychische Beeinträchtigungen an.