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Medizinrecht

„Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.” Diese Aussage aus der Medikamentenwerbung dürfte jedem Patienten in Deutschland bekannt sein. Doch was gilt eigentlich, wenn sich die Aussagen der Packungsbeilage nicht eins zu eins mit jenen des behandelnden Arztes decken? Oder muss der Arzt finanziell für Schäden gerade stehen, die sich aus Risiken ergeben, die er bei der Aufklärung nicht erwähnt hat? Diese Frage musste unlängst Deutschlands höchstes Zivilgericht, der BGH, beantworten (Az. VI ZR 117/18).

Zahlenspiele vor Gericht

Geklagt hatte ein Patient, der eine Knieprothese erhalten hatte. Als er sich knapp zwei Jahren nach der OP mit Belastungsschmerzen bei seinem Arzt vorstellte, zeigte sich, dass das Implantat locker war und ersetzt werden musste. Der Mann erhob daraufhin Klage, unter anderem, weil er die Aufklärung im Vorfeld des Eingriffs für nicht ausreichend erachtete.

Der Arzt hatte im Vorfeld des Eingriffs einen Aufklärungsbogen verwendet, der ausführte: “Trotz größter Sorgfalt kann es während oder nach dem Eingriff zu Komplikationen kommen, die u. U. eine sofortige Behandlung erfordern (…). Zu nennen sind: (…)im Laufe der Zeit gelegentlich Lockerung oder extrem selten Bruch der Prothese; ein Austausch der Prothese ist dann erforderlich. (…).”

Doch was genau bedeutet der Terminus „gelegentlich“?

Nach den Häufigkeitsdefinitionen des Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA), die den Beipackzetteln von Medikamenten zugrunde liegen, ist bei der Beschreibung von Risiken zwischen “sehr häufig” (Nebenwirkung bei mehr als einem Fall pro 10 Behandelten) bis hin zu “Einzelfälle” (äußerst selten) zu unterscheiden.

Da das Risiko für eine Lockerung von Knieprothesen laut Sachverständigengutachten bei 8,71 Prozent liegt, hätte der Arzt nach den Kriterien des MedDRA also nicht über die Gefahr einer „gelegentlichen“ Lockerung aufklären müssen, die eine Häufigkeit von 0,1 bis ein Prozent beschreiben, sondern darauf hinweisen müssen, dass ein solches Problem „häufig“ auftreten kann.

Allgemeiner Sprachgebrauch entscheidet

Der Bundesgerichtshof (BGH) allerdings stellte klar, dass für die Aufklärung durch den Arzt nicht die Maßstäbe der MedDRA, sondern der allgemeine Sprachgebrauch entscheidend sind. Es bestehe kein Grund zu der Annahme, dass der Arzt im vorliegenden Fall Risiken verharmlost habe, befanden die Karlsruher Richter und wiesen die Klage ab.

Es genüge, den Patienten „im Großen und Ganzen“ über Chancen und Risiken der Behandlung aufzuklären und ihm dadurch eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren zu vermitteln, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern Der Begriff „gelegentlich“ so das Gericht weiter, „bezeichnet mithin in dieser Wortbedeutung eine gewisse Häufigkeit, die größer als “selten”, aber kleiner als “häufig” ist. Eine konkrete (mathematische) Häufigkeitszahl sei dem Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch – jedenfalls außerhalb besonderer Kontexte – nicht zugeordnet.