Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Recht

In den vergangenen heißen Sommerwochen haben einige Kühlschränke ihren Geist aufgegeben. Im kommenden Winter drohen womöglich Stromausfälle. Kühlketten in Praxiskühlschränken können dadurch unterbrochen werden. Arztpraxen mit teuren Medikamenten oder Impfstoffen im Kühlschrank droht dabei ein hoher finanzieller Schaden, wie ein aktuelles Urteil zeigt.

In dem vom Bundessozialgericht (BSG) Ende Juni entschiedenen Fall hatte eine kinderärztliche Gemeinschaftspraxis in Magdeburg pro Woche Impfstoffe für bis zu 12.000 € an die kleinen Patienten verimpft. Entsprechend groß war der Impfstoffvorrat im Medikamenten-Kühlschrank. An einem Montag stellte eine Mitarbeiterin fest, dass es zu einer mehrstündigen Unterschreitung der vorgesehenen Kühltemperatur gekommen war. Schuld war ein Relais im Regler des Kühlschrankverdichters, das klemmte. Nach Rücksprache mit dem Apotheker sowie dem Impfstoffhersteller musste die Praxis Impfstoffe im Wert von 24.395 € vernichten.

Der Vorwurf: Unwirtschaftliches Verordnungsverhalten

In der Folgezeit bestellte die Praxis erneut Vakzine, die sie zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung zum großen Teil als Ersatz für die zerstörten Impfstoffe verordnete. Die Prüfungsstelle setzte daraufhin einen Regress in Höhe der Kosten des ersatzweise beschafften Impfstoffs fest. Die Ärzte legten Widerspruch ein – jedoch ohne Erfolg. Die Verordnung des ersatzweise beschafften Impfstoffs zulasten der gesetzlichen Krankenkassen sei unzulässig, befand der Beschwerdeausschuss. Voraussetzung für eine zulässige Verordnung sei der sachgemäße Verbrauch oder der Ablauf der regulären Haltbarkeit des Vakzins. Das Risiko, dass Impfstoffe durch unsachgemäße Lagerung unbrauchbar würden, trage der Arzt.

Das Sozialgericht Magdeburg sah das genauso und wies die Klage der Ärzte ab. Die Vernichtung der Impfstoffe anstelle ihrer zweckentsprechenden Verwendung sei in der Gesamtschau als unwirtschaftliches Verordnungsverhalten zu werten. Der Arzt trage das Risiko der Lagerung und der bestimmungsgemäßen Verwendung von Impfstoff.

Nun scheiterte auch die Sprungrevision zum Bundessozialgericht (29.06.2022, Az. B 6 KA 14/21 R). Zwar handelt es sich hier nicht um einen sonstigen Schaden, für den die Ärzte nach § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte verschuldensabhängig einzustehen hätten, meinten die Richter. Die ersatzweise Verordnung von Impfstoff erweise sich jedoch tatsächlich als unwirtschaftlich und sei damit unzulässig.

Arzt kann Risiko durch Überwachung beeinflussen

Bei der Frage, ob Ersatzverordnungen zulässig sind, müssten auch die Umstände betrachtet werden, die zur Ersatzverordnung geführt hätten, so die Richter. Dabei sei es für eine unzulässige Ersatzverordnung von Impfstoff ausreichend, dass der Schaden aufgrund einer Fehlfunktion des Kühlschranks in den Praxisräumen des Arztes eingetreten sei. Zwar könnten technische Fehler eines Medikamentenkühlschrankes nie vollständig ausgeschlossen werden. Das Risiko eines Schadenseintritts könne der Arzt als Betreiber seiner Praxis aber in weitem Umfang beeinflussen. Durch Auswahl, Wartung und Überwachung der Praxisausstattung könne er die Gefahr von Sachschäden so gering wie möglich halten (siehe Kasten unten).

Hinzu komme, dass der Arzt in gewissem Rahmen Einfluss auf die Menge des gelagerten Impfstoffs hat. Schließlich könne der Arzt sich auch versichern, meinte das Gericht. Das unterliege aber seiner freien unternehmerischen Entscheidung und könne weder von den Prüfgremien noch von den Krankenkassen kontrolliert werden.

Das Bundessozialgericht in Kassel stellte am Ende noch klar, dass es auch Fälle geben könne, die anders beurteilt werden müssten. Als Beispiel nannte das Gericht einen Fall sogenannter höherer Gewalt, also zum Beispiel bei Naturereignissen, gegen die in der Regel keine planbaren Vorkehrungen möglich seien.

8 Praxistipps: Was tun, wenn der Medikamenten-Kühlschrank schlapp macht?
Der Ausfall des Praxiskühlschranks mit teuren Arzneimitteln kann zu einem immensen wirtschaftlichen Schaden führen. Es gibt jedoch verschiedene Möglichkeiten, wie Sie sich absichern können.

  1. Notfallplan erstellen: Wie gehen Sie vor, wenn der Kühlschrank komplett ausfällt oder die Temperatur im Inneren unvorhergesehen steigt? Wer jetzt erstmals überlegt, ist zu spät dran. Machen Sie sich vorab Gedanken: Wie erfahre ich von dem Kühlschrankproblem? Wer fährt zum Beispiel am Wochenende oder in den Ferien in die Praxis, um die Arzneimittel zu retten? Wo können diese stattdessen gelagert werden? Diese und viele andere Fragen müssen vorab geklärt sein.
  2. Keine zu große Vorratswirtschaft betreiben: Lagern Sie nur so viele Arzneimittel im Kühlschrank, wie Sie in der Praxis auch zeitnah verbrauchen.
  3. Kühlschrankalarm: Ihr Kühlschrank sollte ein akustisches Signal geben, wenn die Tür nicht richtig geschlossen ist oder die Temperatur steigt.
  4. Funktemperatursensor für den Kühlschrank: Wer auch in den Praxisferien oder am Wochenende sichergehen will, dass der Praxiskühlschrank mit teuren Arzneimitteln die optimale Temperatur hält, für den kann ein Funktemperatursensor im Kühlschrank die richtige Lösung sein. In Verbindung mit einer App zeigt dieser auf Ihrem Handy an, wie warm oder kalt es im Kühlschrank ist. Kühlkettenpflichtige Arzneimittel müssen bei zwei bis acht Grad gelagert werden. Wer seinen Kühlschrank auf zwei bis drei Grad einstellt und bereits bei einer geringen Erwärmung reagiert, hat noch Puffer, bevor es endgültig zu warm wird.
  5. Smarter Kühlschrank: Dieser ist die modernere Version des Temperatursensors. Bei smarten Kühlschränken wissen Sie dank WLAN-Verbindung des Kühlschranks über eine App immer, wie kalt es im Kühlschrank ist. Die Kühlstufen lassen sich über die App sogar aus der Ferne steuern.
  6. Kooperation mit anderen Praxen: Wer andere Ärztinnen und Ärzte im Haus hat, kann bei einem Ausfall des Kühlschranks empfindliche Arzneimittel womöglich beim Kollegen im Kühlschrank zwischenlagern. Vorsicht: Bei kühlkettenpflichtigen Arzneimitteln muss auch der Weg von einem Kühlschrank zum anderen in der vorgeschriebenen Temperatur erfolgen.
  7. Kleiner Zweitkühlschrank: Ein nicht ganz billiges Backup, da der Zweitkühlschrank nicht erst bei einem Notfall in Betrieb genommen werden kann, sondern schon laufen muss. Bei vielen teuren Arzneimitteln allerdings eine Überlegung wert.
  8. Versicherung: Den Inhalt des Praxiskühlschranks können Ärzte über eine Versicherung absichern. Die Bedingungen unterscheiden sich von Anbieter zu Anbieter. Nachfragen und eventuell den Versicherungsschutz erweitern, kann sich lohnen.

Kühlkettenpflichtig oder nur kühl zu lagern?

Bei Arzneimitteln unterscheidet man zwischen „kühlkettenpflichtigen“ und „kühl zu lagernden“ Arzneimitteln.

  • Kühlkettenpflicht bedeutet, dass ein Arzneimittel vom Hersteller bis zur Anwendung lückenlos bei zwei bis acht Grad gelagert werden muss. Andernfalls ist eine Wirksamkeit nicht mehr gewährleistet. Dazu zählen etwa Lebendimpfstoffe gegen Mumps, Masern, Röteln oder Varizellen.
  • Kühl zu lagern sind weniger empfindliche Arzneimittel wie zum Beispiel Totimpfstoffe. Sie können zwischenzeitlich ungekühlt gelagert werden. Eine höhere Temperatur als Raumtemperatur über einen längeren Zeitraum sollte aber vermieden werden. Wird die vorgeschriebene Lagertemperatur mehrfach überschritten, können allerdings auch weniger empfindliche Wirkstoffe durch den Kumulationseffekt geschädigt werden.