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Recht

Wie viel ist erlittenes Leid, zum Beispiel nach einem Verkehrsunfall oder einer missglückten ärztlichen Behandlung, wert? Mit dieser Frage beschäftigen sich Gerichte seit vielen Jahrzehnten. Einige hatten in den vergangenen Jahren die Tendenz, die Höhe des Schmerzensgeldes mithilfe von Tagessätzen schematisch zu berechnen. In einer aktuellen Entscheidung hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) nun gegen die taggenaue Ermittlungsmethode von Schmerzensgeldansprüchen ausgesprochen (15.02.2022, Az. VI ZR 937/20).

In dem konkreten Fall ging es um einen Mann, der bei einem Unfall schwer verletzt wurde: Ihm musste der rechte Unterschenkel amputiert werden. Er hatte während 13 stationären Krankenhausaufenthalten rund 500 Tage im Krankenhaus verbracht. In einem ersten Urteil erhielt er ein Schmerzensgeld von 100.000 Euro, das in der zweiten Instanz auf 200.000 Euro verdoppelt wurde. Bei der Berechnung verwendete das Gericht die sogenannte taggenaue Methode.

Wofür bekommt man Schmerzensgeld?

Schmerzensgeld dient dazu, sogenannte immaterielle Beeinträchtigungen zu entschädigen. Dazu zählt etwa das erlittene Leid und die durch die Verletzung entgangene Lebensfreude. Nach der von einigen Gerichten angewendeten taggenauen Methode erfolgt die Berechnung des Schmerzensgeldes in drei Stufen.

Bisherige Methode der Schmerzensgeld-Berechnung

In einer ersten Stufe addiert das Gericht die für die Genesung des Betroffenen erforderlichen stationären Aufenthalte. Für jeden Tag wird ein Tagessatz zugrunde gelegt, der gestaffelt ist. Für eine Behandlung auf der Intensivstation gibt es 150 Euro, für einen normalen Krankenhausaufenthalt 100 Euro, in der stationären Reha 60 Euro. In einer zweiten Stufe werden die Schwere der Verletzungen sowie die Verletzungsfolgen gewichtet. In der dritten Stufe berücksichtigt das Gericht besondere Umstände wie etwa gesundheitliche Dauerschäden.

Der BGH erteilte dieser Berechnungsmethode nun eine Absage. Sie sei zu schematisch.

Wie wird Schmerzensgeld berechnet?

Wesentliche Faktoren für die Berechnung des Schmerzensgeldes sind

  • das durch die Verletzungen bedingte individuelle Leiden des Betroffenen,
  • die Dauer dieses Leidens,
  • die individuelle Wahrnehmung der erlittenen Beeinträchtigungen durch den Verletzten,
  • das Gesamtmaß der Lebensbeeinträchtigung sowie
  • der Grad des Verschuldens des Schädigers.

Individuelles Leid muss bei Schmerzensgeld berücksichtigt werden

In erster Linie seien die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen, so die Richter. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung sei dann eine einheitliche Entschädigung für das Schadensbild festzusetzen. Nur so könne das individuell ausgelöste Leid angemessen berücksichtigt werden. Eine solche Gesamtbetrachtung lasse sich jedoch nicht formelhaft durch bestimmte Tagessätze ermitteln.

Außerdem rügte das Gericht die Höhe der Tagessätze, die an die statistische Höhe des durchschnittlichen Einkommens der Bevölkerung anknüpft. Eine schematische Orientierung an Durchschnittssätzen ignoriere die konkreten individuellen Leidensfaktoren. Der BGH verwies den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung und Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Arzthaftungsrecht
Die Absage an eine taggenaue Berechnung von Schmerzensgeld ist auch auf Arzthaftungsprozesse übertragbar, bei denen das Gericht das durch einen Behandlungsfehler verursachte individuelle Leid eines Patienten ermitteln muss.