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Recht

Jeder Arbeitnehmer hat beim Ausscheiden aus der Praxis einen Anspruch auf ein „qualifiziertes Arbeitszeugnis“. Während das einfache Arbeitszeugnis nur die Personalien und die Dauer der Beschäftigung angibt, enthält die qualifizierte Variante auch eine Beurteilung von Leistung und Verhalten des scheidenden Kollegen. So steht es in § 109 Abs. 1 der Gewerbeordnung. Zudem sind Arbeitgeber verpflichtet, das Zeugnis „klar und verständlich“ zu formulieren. Es „darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen“.

Individualität beim Arbeitszeugnis ist Pflicht

Diesem Anspruch werden Praxischefs nicht gerecht, wenn sie die Leistung und das Verhalten des Arbeitnehmers im
Arbeitsverhältnis in einer an ein Schulzeugnis angelehnten tabellarischen Darstellungsform beurteilen. Das geht aus einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts hervor (Az. 9 AZR 262/20).

Konkret ging es um einen Elektriker, dessen Arbeitsverhältnis nach zehn Jahren endete. Sein Chef bewertete die Leistungen und das Verhalten des Mannes in einer Tabelle mit Noten. Der Mann klagte mit dem Argument, dass das Zeugnis unzutreffend und unüblich sei, was einen negativen Eindruck hervorrufen könne.

Vor dem Landesarbeitsgericht Hamm hatte er damit zunächst keinen Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht allerdings entschied zugunsten des Arbeitnehmers.

Die Erfurter Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass ein qualifiziertes Arbeitszeugnis stets individuell auf den einzelnen Arbeitnehmer zugeschnitten sein und dessen persönliche Leistung und sein Verhalten dokumentieren müsse. Diesen Anforderungen werde nur ein individuell abgefasster Text gerecht.

Was in die Leistungsbeurteilung gehört

Im Rahmen der Leistungsbeurteilung habe der Arbeitgeber darzustellen, wie der Arbeitnehmer die ihm übertragenen Aufgaben erledigt habe – und zwar anhand von Bewertungskriterien wie Fähigkeiten, Kenntnissen, Fertigkeit, Geschicklichkeit und Sorgfalt sowie Einsatzfreude und Einstellung zur Arbeit. Bei den Angaben über das Verhalten von Beschäftigten sei auch das Verhältnis zu Mitarbeitern und Vorgesetzten zu beurteilen.

Ein Zeugnis, in dem – wie vorliegend – eine Vielzahl einzelner Bewertungskriterien gleichrangig nebeneinander aufgeführt und mit Schulnoten bewertet wird, verfüge zudem nicht über den erforderlichen Informationswert. Besondere Eigenschaften, Kenntnisse oder Fähigkeiten, die den Arbeitnehmer für neue Arbeitgeber interessant machen könnten, lassen sich daraus nicht ableiten. Das Zeugnis entfaltet nur geringe Aussagekraft.

Schwierige Balance
Es ist eine Gratwanderung. Damit ein Arbeitszeugnis den Anforderungen der Rechtsprechung genügt, muss es einerseits wahrheitsgemäß sein. Andererseits sind Praxisinhaber und -inhaberinnen auch verpflichtet, die Beurteilung möglichst „wohlwollend“ zu formulieren, um dem scheidenden Mitarbeitenden das berufliche Fortkommen in Zukunft nicht unnötig zu erschweren.