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Klinik

Mitte Juni hat der Bundesrat auf Initiative von Bayern und Schleswig-Holstein die Bundesregierung aufgefordert, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) stärker zu regulieren und dazu ein entsprechendes MVZ-Regulierungsgesetz zu erlassen. Es soll die Monopolstellung einzelner Träger verhindern und eine am Patientenwohl orientierte ambulante Versorgung stärken.

Investoren drängen vor allem in die lukrativen Ballungsräume

In der Begründung verweist der Bundesrat auf das rasante Wachstum von MVZ mit dem Risiko von Konzentrationsprozessen. Die steigende Zahl investorengetragener MVZ (siehe Kasten unten) gefährde zudem eine flächendeckende, umfassende Versorgung. So verlagerten Investoren die Versorgungskapazitäten tendenziell in lukrative Ballungsgebiete und legten einen stärkeren Fokus auf gut skalierbare und umsatzsteigernde Leistungen, mit der möglichen Folge, dass nicht mehr das gesamte Behandlungsspektrum abgebildet wird, heißt es in der Begründung.

Grafik Anzahl MVZ

MVZ in Zahlen und Fakten
Die Zahl der MVZ ist von 2004 bis 2020 von 70 auf 3.846 gestiegen. Allein zwischen 2015 und 2020 hat die Anzahl der MVZ um 78 Prozent zugenommen. Dagegen ist die Anzahl der haus- und fachärztlichen Einzelpraxen und Berufsausübungsgemeinschaften rückläufig. Sie ist zwischen 2015 und 2020 um etwas mehr als acht Prozent gesunken. Von dem Rückgang sind hausärztliche Einzelpraxen etwas stärker betroffen als fachärztliche Einzelpraxen. 23.640 Ärztinnen und Ärzte arbeiteten 2020 in MVZ, 93 Prozent davon angestellt. Medizinische Fachangestellte bilden daneben die größte Berufsgruppe. Angaben zur Gesamtbeschäftigtenzahl in MVZ sind nicht verfügbar.

MVZ gründen sich vor allem in den umsatzstarken Bereichen Chirurgie und Orthopädie (31 %), Radiologie (41 %), Augenheilkunde (27 %), (Fach-)Internisten (31 %) und in der gesonderten Fachärztlichen Versorgung (59 %). Diese umfasst die Fachbereiche Labormedizin/Biochemie/Mikrobiologie, Humangenetik, Transfusionsmedizin, Strahlentherapie sowie Neurochirurgie. Eine regionale Betrachtung der MVZ zeigt, dass der Anteil der Ärztinnen und Ärzte, die in MVZ arbeiten, in den ostdeutschen Bundesländern besonders hoch ist. Ein durchschnittliches MVZ beschäftigt rund acht Ärzte und 14 nicht ärztliche Mitarbeitende.

Quelle: Katharina Schöneberg, Katrin Vitols: Branchenanalyse Medizinische Versorgungszentren: Strukturen, wirtschaftliche Trends, Arbeit und Beschäftigung in der ambulanten medizinischen Versorgung, Working Paper der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 288, Mai 2023

Der Bundesrat fordert für ein MVZ-Regulierungsgesetz im Wesentlichen folgende Maßnahmen:

  1. Schaffung eines bundesweiten MVZ-Registers
    Dieses soll für mehr Transparenz über die nachgelagerten Inhaberstrukturen sorgen.
  2. Kennzeichnungspflicht für Träger und Betreiber auf dem Praxisschild
    Weder für die Patienten vor Ort noch für Gesundheitsakteure ist es derzeit möglich, die hinter den MVZ stehenden wirtschaftlich Beteiligten ohne größeren Aufwand zu identifizieren. Das ist jedoch die Grundvoraussetzung dafür, dass Patientinnen und Patienten eine informierte Arztwahl treffen können
  3. Gründung von MVZ durch Krankenhäuser nur noch in einem Umkreis von 50 Kilometern von ihrem Sitz
    Das entspricht ungefähr der Fläche von drei bis vier größeren Landkreisen. Damit soll die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung wieder mehr in den Vordergrund rücken.
  4. Einführung von Höchstversorgungsanteilen für Haus- und Fachärzte
    Das soll für MVZ gelten, die von einem Träger gegründet werden. Bei Hausärzten soll im jeweiligen arztgruppenbezogenen Planungsbereich der Versorgungsanteil auf maximal 25 Prozent begrenzt werden, bei der allgemeinen und speziellen fachärztlichen Versorgung auf maximal 50 Prozent pro Facharztgruppe. Für unterversorgte und drohend unterversorgte Planungsbereiche oder wenn ein besonderer Versorgungsbedarf festgestellt wird, soll es Ausnahmen geben. Bezogen auf den jeweiligen Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung soll der Versorgungsanteil für ärztliche MVZ, die von einem Träger gegründet werden, bei der hausärztlichen Versorgung auf fünf Prozent, bei der allgemeinen und speziellen fachärztlichen Versorgung auf zehn Prozent gedeckelt sein.
  5. Schaffung von Schutzvor­schriften für ärztliche Leiter von MVZ
    Damit soll die ärztliche Unabhängigkeit in MVZ sichergestellt und verhindert werden, dass Kapitalinteressen auf die ärztliche Berufsausübung Einfluss nehmen. So soll es für die ärztliche Leitung von MVZ einen besonderen Abberufungs- und Kündigungsschutz geben, Verträge mit der ärztlichen Leitung sollen der Kassenärztlichen Vereinigung zur Prüfung vorgelegt werden müssen.
  6. Reglementierung des Arztstellenerwerbs durch Zulassungsverzicht
    In gesperrten Planungsbereichen sollen MVZ keine Arztstellen mehr durch einen Zulassungsverzicht nach § 103 Abs. 4a Satz 1 SGB V erwerben können. Das benachteiligt bislang niederlassungswillige Ärzte, die als Freiberufler an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen wollen. Denn es findet keine Bewerberauswahl statt.

Der Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren, der die Interessen investorengetragener MVZ vertritt, hat wegen dieser Bestrebungen den Staatsrechtler Prof. Martin Burgi beauftragt, ein Gutachten zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der geforderten Reglementierungen zu erstellen. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass der Großteil der Regelungen verfassungsrechtlich nicht zulässig sei. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass es sich hierbei um ein von einem Interessenverband in Auftrag gegebenes Gutachten handelt. Gerade zu Neuregelungen, die noch nicht von den Gerichten durchexerziert worden sind, gibt es jedoch unter Juristen oft unterschiedliche Einschätzungen. Ob ein entsprechendes Gesetz tatsächlich an verfassungsrechtlichen Schranken scheitern würde, hängt nicht zuletzt von der finalen Ausgestaltung der Regelungen ab. Letztlich müssten wohl die Gerichte entscheiden.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat derweil mit dem kurz vor der parlamentarischen Sommerpause vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune – kurz Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) – noch eine weitere Maßnahme ins Spiel gebracht: Es könnte für Kommunen künftig deutlich leichter werden, selbst Medizinische Versorgungszentren zu gründen, was vor allem die regionalen Strukturen weiter stärken dürfte.

Die Arbeitsbedingungen in MVZ sind für MFA oft weniger gut

Die Rolle von MVZ in der medizinischen Versorgung und der Einfluss von Finanz­investoren wird von den politischen Akteuren schon länger kritisch beobachtet. Das geht unter anderem aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag im Januar 2023 hervor. Dort heißt es: „Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) beobachtet die Investorentätigkeit im Gesundheitswesen mit großer Aufmerksamkeit und steht einer ausgeprägten Renditeorientierung kritisch gegenüber, insbesondere soweit damit eine Gefahr für die Qualität und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung einhergeht.“

Die Rahmenbedingungen für die Teilnahme von investorenbetriebenen MVZ an der ambulanten Versorgung waren in der Vergangenheit bereits mehrfach gesetzlich eingeschränkt worden. Die Gesundheitsministerkonferenz hat im September 2022 sogar die Einrichtung einer länderoffenen Arbeitsgruppe unter Leitung Bayerns zur weiteren Regulierung von investorenbetriebenen MVZ beschlossen. Diese hat den Auftrag, unabhängig von den Entscheidungen auf Bundesebene ein „iMVZ-Regulierungsgesetz“ für eine Gesetzgebungsinitiative des Bundesrates vorzubereiten.

Eine Studie des Beratungsunternehmens wmp consult im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung wirft unterdessen ein Schlaglicht auf einen anderen Bereich der MVZ: die Arbeitsbedingungen. Sie sind nämlich bei Weitem nicht für alle so gut, wie viele denken. Keiner der für die Studie Befragten schätzte die Arbeitsbedingungen in MVZ als „sehr gut“ ein. Etwa ein Viertel hielt sie für „gut“, 60 Prozent hielten sie für „mittel“ und jeweils acht Prozent für „schlecht“ oder „sehr schlecht“. Befragte aus dem nicht ärztlichen Bereich klagten dabei über schlechte Bezahlung. Nur selten werde nach Tarif bezahlt, heißt es. Angestellte litten oft unter hohen psychischen und physischen Belastungen. So stimmten mehr als 60 Prozent der Aussage zu, dass die emotionalen Arbeitsanforderungen hoch seien und Arbeitshetze und Zeitdruck häufig vorkommen. Sechs von zehn Mitarbeitenden beobachteten einen zunehmenden Krankenstand. Auch Überstunden sind in MVZ ein Thema. So lag die Arbeitszeit bei 42 Prozent der Befragten eine bis fünf Stunden über der vertraglich vereinbarten Zeit, zehn Prozent leisten sechs bis zehn Stunden pro Woche mehr.

Gleichzeitig profitieren angestellte Ärztinnen und Ärzte davon, dass sie im Vergleich zur Freiberuflichkeit weniger mit Bürokratie belastet sind, kein unternehmerisches Risiko tragen und ihre Arbeitszeiten flexibler gestalten können. Wie so oft gibt es also zwei Seiten einer Medaille. Die Niederlassung attraktiver zu gestalten, wäre daher ein guter Schritt.

So funktionieren (Investoren-)MVZ
2004 ermöglichte der Gesetzgeber in Deutschland die Einrichtung von MVZ. Neben den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten können auch zugelassene Krankenhäuser, anerkannte Praxisnetze, gemeinnützige Träger sowie Kommunen MVZ gründen.

MVZ bedürfen einer Zulassung, die von den Zulassungsausschüssen der Kassenärztlichen Vereinigungen erteilt wird. Voraussetzung dafür ist, dass die im MVZ tätigen Ärzte im Arztregister eingetragen sind. Ein MVZ wird zugelassen, wenn Bedarf für weitere Anbieter an der vertragsärztlichen Versorgung und freie Kassenarztsitze bestehen und keine Zulassungsbeschränkungen wegen Überversorgung existieren. Wollen Leistungserbringer, die nicht zum Kreis der Vertragsärzte gehören, ein MVZ gründen, benötigen sie für die Zulassung mindestens zwei Vertragsarztsitze. Eine bestehende Zulassung kann auf das MVZ übertragen werden, wenn ein Vertragsarzt zugunsten des MVZ auf seine Zulassung verzichtet. Möglich ist es auch, bereits existierende Zulassungen etwa durch Zusammenlegung von Einzelpraxen oder Umwandlung einer Berufsausübungsgemeinschaft in das MVZ einzubringen. Krankenhäuser und Vertragsärzte sind die wichtigsten Träger von MVZ.

Die Wachstumsrate von MVZ mit einem Krankenhaus als Träger ist von 2010 an überproportional um 167 Prozent gestiegen. Insbesondere kleine Krankenhäuser werden von Finanzinvestoren als Trägergesellschaften für MVZ aufgekauft.
Die Anzahl der MVZ in Private-Equity-Besitz kann aufgrund fehlender Daten zu den Eigentümerstrukturen nur geschätzt werden. Für das Jahr 2020 gehen Experten von 955 Standorten aus. Finanzinvestoren zielen darauf ab, MVZ zu gründen oder aufzukaufen, sie zu optimieren und auf Gewinn zu trimmen und nach vier bis fünf Jahren zu veräußern oder an die Börse zu bringen. Sie fokussieren sich dabei vor allem auf Fachrichtungen, die als besonders lukrativ eingestuft werden (siehe Kasten oben).

Quelle: Katharina Schöneberg, Katrin Vitols: Branchenanalyse Medizinische Versorgungszentren: Strukturen, wirtschaftliche Trends, Arbeit und Beschäftigung in der ambulanten medizinischen Versorgung, Working Paper der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 288, Mai 2023