Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Vermischtes

Eine Szene aus dem Kommunikationstraining im Sommersemester ist Fabio Lizzi besonders in Erinnerung geblieben: „Der ‚Patient‘ saß vor der Kamera des Computerbildschirms und hat dem Medizinstudenten, der vor seinem eigenen Laptop saß, seine Situation per Video-Sprechstunde geschildert. Dabei klagte er über Herz-Kreislauf-Beschwerden und sprach über seine derzeitige Situation: drohende Arbeitslosigkeit, daraus resultierenden Stress, familiäre Belastungen. Und ganz unvermittelt greift er neben sich zur Bierflasche und nimmt einen kräftigen Schluck“, berichtet der Studienmanager der Medizin, der an der Klinik für Innere Medizin IV arbeitet. „Der wollte mal sehen, wie der Student darauf reagiert“, erklärt Fabio Lizzi weiter, der selbst von der Szene überrascht war.

Schauspieler helfen Praxisbezug zu trainieren

Es handelte sich in Wirklichkeit nicht um einen echten Patienten, sondern um einen Schauspieler, der einen Patienten mimt, um so die Studentinnen und Studenten zu trainieren. Solche Seminare bietet die Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes bereits seit 2007 unter dem Begriff „Homburger Kommunikations- und Interaktionstraining (HOM-KIT)“ als Wahlfach im Medizinstudium an.

Im nun endenden Sommersemester hat die Corona-Pandemie die Verantwortlichen dazu veranlasst, aus der Not eine Tugend zu machen. Gezwungenermaßen wurde aus der bei den Studentinnen und Studenten stets sehr beliebten Präsenzveranstaltung eine Online-Sprechstunde.

Und das Feedback der insgesamt 69 teilnehmenden Studentinnen und Studenten ist eindeutig: „Ja, wir möchten gerne beide Formate, Präsenz- und Video-Sprechstunde, weiter behalten und üben“, erläutert Psychologe Roberto D’Amelio, der das HOM-KIT-Curriculum mitbegründet und das Konzept zur Durchführung des Online-Trainings “Video-Sprechstunde” erarbeitet hat, die Reaktion der Studentinnen und Studenten.

Eine Video-Sprechstunde ist keinesfalls trivial

Eine zielführende Video-Sprechstunde abzuhalten, ist dabei alles andere als trivial. Keineswegs genügt es, ein Laptop mit Kamera aufzubauen und ansonsten alles so zu machen, wie es in der normalen Sprechstunde ebenfalls der Fall wäre. Das geht ja auch gar nicht, wenn man an Untersuchungen denkt, die der Arzt oder die Ärztin am Körper direkt vornehmen muss. Statt bestimmte Körperpartien abzutasten, muss der Mediziner alles erfragen und den Patienten dazu bewegen, seine Symptome möglichst genau und detailliert zu schildern. „Außerdem müssen die jungen Leute versuchen, ihren Patienten ebenso wie in der echten Sprechstunde das Gefühl zu vermitteln, dass sie für sie da sind, dass sie bei ihnen sind. Das geht beispielsweise nur, wenn sie ganz bewusst in die Kameralinse schauen statt auf den Computerbildschirm“, führt Fabio Lizzi weiter aus.

Denn schaut man, wie derzeit millionenfach im Homeoffice und anderen Situationen, einfach auf den Bildschirm, erweckt es beim Gegenüber den Eindruck, als schaue man an der Person vorbei, mit der man redet. Die speziell geschulten Schauspielerinnen und Schauspieler streuen außerdem gezielt Irritationen und Verhaltensmuster ein, die die angehenden Ärzte vergessen lassen, dass es sich hier um simulierte Gespräche handelt, der eingangs erwähnte Griff zur Bierflasche ist ein Beispiel dafür.

Nebensächlichkeiten sind wichtig

„Das sind lauter kleine Bühnen“, pflichtet Urban Sester bei, der als Lehrbeauftragter der Klinik für Innere Medizin IV einer der verantwortlichen Professoren für die Simulations-Sprechstunde ist. Daneben sind noch viele weitere ärztliche und psychologisch tätige Kolleginnen und Kollegen aus vielen Fachabteilungen des Uniklinikums eingebunden, so dass die Studentinnen und Studenten mit immer neuen, vielfältigen medizinischen Feldern konfrontiert werden. „Und auch das Drumherum ist wichtig“, führt Urban Sester weiter aus. „Der Hund rennt ständig durchs Bild oder durchs geöffnete Fenster dringt Baulärm herein und stört das Gespräch“, nennt er weitere Beispiele, die die professionellen Schauspieler für manche Gesprächssituationen vorbereitet haben. „Wir wollen dann sehen, wie die Studentinnen und Studenten darauf reagieren und ob sie die Schauspieler-Patienten beispielsweise bitten, das Fenster zu schließen oder den Hund von jemand beaufsichtigen lassen, während Arzt und Patient miteinander sprechen.“ Solche scheinbaren Nebensächlichkeiten sind wichtig für ein konzentriertes und gelingendes Patientengespräch.

Studenten kommen oft an ihre Grenzen

Die Gespräche laufen meist so intensiv und authentisch ab, dass die Studierenden nach einigen Minuten gar nicht mehr bewusst vor Augen haben, dass ein Schauspieler vor ihnen sitzt und kein echter Patient. Die Schauspieler selbst, rund 10 Profis, wechseln sich als Patienten ab, werden intensiv auf ihre Rolle vorbereitet und sprechen ihre Vorgehensweise auch mit den UKS-Medizinern ab, damit sie auch medizinisch fundiert ein Leiden vorspielen können. „Die Studierenden kommen dann oft an ihre Grenzen, weil die Schauspieler das so intensiv und authentisch rüberbringen“, weiß Urban Sester.

Und warum üben die angehenden Mediziner nicht gleich an echten Patienten? „Zum einen können wir so unmittelbar Feedback geben. Nach einem Gespräch können wir dann beispielsweise sagen: ‚Frag doch bitte auch nach den Trinkgewohnheiten des Patienten, wenn er mitten im Gespräch zur Bierflasche greift‘, falls der Student das vergessen oder sich nicht getraut hat zu fragen. Denn das kann natürlich sehr wichtig sein“, erklärt der Internist weiter. Auf die Situation hin sensibilisiert, können die Studenten die Szene mit dem Schauspieler erneut durchspielen – denn die Schauspieler sind aufgrund ihrer Profession dazu in der Lage, eine Gesprächssituation einfach zu wiederholen – und so viel besser dazulernen, als wenn sie solche Situationen nur selbst beobachten oder – schlechtestenfalls – nur als Schilderung in einem Lehrbuch lesen.

Direkter Kontakt mit dem Patienten ist nicht ersetzbar

„Dennoch ist für uns natürlich der direkte Kontakt mit den Patienten – beziehungsweise den Schauspielern – nicht ersetzbar“, schränkt der Mediziner ein. Was ein Arzt unmittelbar sieht, spürt und hört, wenn ein Patient vor ihm sitzt, kann ein Computerbildschirm mit Kamera und Mikrofon nicht ersetzen. „Unter den gegebenen Umständen kann eine gut durchgeführte Video-Sprechstunde aber eine sehr sinnvolle Alternative zum Arztbesuch vor Ort sein“, erklärt Fabio Lizzi. „Zu Anfang der Corona-Pandemie hatten viele Leute aus Angst, sie könnten sich infiziert haben, die Arztpraxen gestürmt. Etwas später dann waren die Wartezimmer gähnend leer, weil sich keiner mehr getraut hat hinzugehen, aus der Sorge heraus, sich im Wartezimmer anzustecken. Beides ist aber schlecht.“ Mit einem niedrigschwelligen Angebot, seine Symptome erst einmal per Video-Sprechstunde mit dem Arzt zu besprechen, könnte eine Möglichkeit geschaffen werden, medizinische Behandlungen sinnvoll zu kanalisieren. Stellt der Arzt im Videogespräch fest, dass es nicht so dringend ist, kann er den Patienten für einen späteren Zeitpunkt einbestellen, zu dem das Wartezimmer nicht mehr so voll ist. Und zeigt er Symptome einer schwereren Krankheit, kann er ihn stattdessen sofort zu sich in die Praxis bitten.

„Außerdem rollt jedes Jahr zuverlässig eine Grippewelle über uns hinweg, wahrscheinlich auch im kommenden Winter“, sagt Fabio Lizzi. „Mit Video-Sprechstunden hätten die Ärzte ein Mittel, sich um Grippepatienten zu kümmern, ohne dass die Wartezimmer überfüllt sind und die Ansteckungsgefahr – auch mit Corona – damit steigt.“

Aufgrund der positiven Resonanz wird das Training der Video-Sprechstunde nun dauerhaft in das HOM-KIT-Curriculum integriert, sodass die Medizinstudentinnen und -studenten ab jetzt auch auf diesen Aspekt ihres zukünftigen Berufs praxisnah vorbereitet werden.