Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Vermischtes

Aktuell leben in diesen Einrichtungen bereits 181.000 Pflegebedürftige, 150.000 davon in betreutem Wohnen. „Immer mehr Menschen entscheiden sich als Alternative zum Pflegeheim für betreutes Wohnen oder Pflege-Wohngemeinschaften. Diese Wohnformen sind für die Bewohner und Betreiber zwar finanziell attraktiv, unterliegen aber keinem Qualitätssicherungsverfahren wie die Heime. Daher müssen nun zeitnah Qualitätsmaßstäbe für neue Wohn- und Pflegeformen entwickelt werden“, so Prof. Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER. Außerdem müssten die Bundesländer schnell für transparente Übersichten über die Angebote vor Ort und deren Qualität sorgen.

Deutscher Pflegemarkt steht vor Umbruch

Aktuell existierten bundesweit bis zu 8.000 betreute Wohnanlagen und 4.000 Pflege-Wohngemeinschaften. Etwa jede dritte dieser Anlagen sei in den letzten zehn Jahren entstanden. Allein im Jahr 2018 seien weitere 340 Anlagen des betreuten Wohnens mit 10.000 Pflegeplätzen in Bau oder zumindest in Planung gewesen.„Wer sich für betreutes Wohnen oder eine Wohngemeinschaft entscheidet, sucht vor allem mehr Lebensqualität im Vergleich zu einem Heim. Doch dabei darf die Qualität der Pflege nicht auf der Strecke bleiben“, so Straub.

Der Report zeige, dass betreutes Wohnen und Wohngemeinschaften im Vergleich zu Pflegeheimen nicht mit mehr Pflegequalität aufwarten könnten. Indizien dafür seien zum Beispiel weniger Arztkontakte. Während 86,6 Prozent der Pflegeheimbewohner einmal im Monat ihren Hausarzt sähen, wäre dies in betreutem Wohnen und in Wohngemeinschaften nur bei rund 80 Prozent der Bewohner der Fall. Neue Fälle von Wundliegen, dem sogenannten Dekubitus, seien in betreutem Wohnen zu 66 Prozent wahrscheinlicher als im Pflegeheim. Zugleich müssten 3,6 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner des betreuten Wohnens wegen Erkrankungen ins Krankenhaus, die sich eigentlich ambulant sehr gut behandeln ließen. In Pflegeheimen träten nur 2,4 Prozent solcher Fälle je Monat auf.

Als Ursache dafür sieht die BARMER vor allem das Fehlen gleichartiger Qualitätsanforderungen. „Wir fordern eine Harmonisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen zwischen den Bundesländern und einen Pflege-TÜV für die neuen Wohn- und Pflegeformen“, so Straub. Außerdem sollten die Länder generell für die Pflege die Aufsicht übernehmen und für mehr Transparenz auf dem Markt sorgen. Dazu benötigten die Pflegebedürftigen und ihre Familien Übersichten über Angebote, deren Qualität und Anbieter.

Neue Wohn- und Pflegeformen finanziell attraktiv

Dass die neuen Wohn- und Pflegeformen sowohl für Bewohner als auch Betreiber finanziell attraktiv sind, resultiert laut Studienautor Prof. Dr. Heinz Rothgang von der Universität Bremen aus ihrer besonderen Konstruktion. Die neuen Shooting-Stars des Pflegemarktes kombinierten Elemente der ambulanten und stationären Pflege mit Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen, etwa der häuslichen Krankenpflege.

So ließen sich in neuen Wohn- und Pflegeformen maximale Leistungssummen erzielen, die doppelt so hoch seien wie in der vollstationären Pflege. Das entlaste die Pflegebedürftigen und mache die Alternative zum Pflegeheim auch für die Betreiber wirtschaftlich hoch interessant. „Betreutes Wohnen und Wohngemeinschaften richten sich immer mehr an der Pflege aus und werden in steigendem Maße direkt von Pflegeeinrichtungen angeboten. Wir sprechen deshalb zu Recht von einer Ambulantisierung der Pflege“, so Rothgang.

Während nach aktuellen Daten im Jahr 2018 jede vierte betreute Wohnanlage unabhängig von Pflegeeinrichtungen betrieben worden sei, sei es 15 Jahre zuvor noch fast jede zweite gewesen. Insgesamt trage die Entwicklung neuer Wohn- und Pflegeformen im Einklang dazu bei, dass die Pflege ambulanter werde. So hätten sich die Ausgaben für die ambulante Pflege in den Jahren 2000 bis 2018 von acht Milliarden auf 22,6 Milliarden Euro fast verdreifacht. In der stationären Pflege habe es hingegen nicht einmal eine Verdoppelung der Leistungsausgaben gegeben, von 7,5 auf 14,3 Milliarden Euro.