Kieferorthopädie: zu viel Röntgen, zu wenig Wirkung, zu teuer?
A&W RedaktionBei kieferorthopädischen Behandlungen von Kindern und Jugendlichen gibt es zahlreiche Missstände. Das ist jedenfalls das Ergebnis einer aktuellen Studie der hkk Krankenkasse. Demnach werden zahlreiche diagnostische Untersuchungen und therapeutische Maßnahmen ohne Notwendigkeit routinemäßig erbracht.
Laut der Studie, die unter der Leitung von Dr. Bernard Braun vom Bremer Institut für Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung (BIAG) und Dr. Alexander Spassov, Fachzahnarzt für Kieferorthopädie durchgeführt wurde, werden fast alle Versicherten, unabhängig vom Alter und ohne Prüfung der kieferorthopädischen Erfordernis, mit Röntgenstrahlen untersucht. Dr. Braun: “Ein klarer Verstoß gegen die nationalen und internationalen Röntgenverordnungen zum Schutz der Gesundheit junger Menschen.”
Weiterer Kritikpunkt ist die weitverbreitete Behandlung mit sogenannten losen Spangen: Zwei Drittel der Versicherten erhalten vor einer festen Spange eine herausnehmbare Apparatur. In den meisten Fällen wäre jedoch die ausschließliche Behandlung mit einer festsitzenden Apparatur zweckmäßig und wirtschaftlich. “Eine feste Spange kommt zudem dem Wunsch der meisten Kinder und Jugendlichen nach einer möglichst kurzen Behandlung entgegen. Außerdem wirkt sie sich positiv auf Lebensqualität und Behandlungstreue aus”, sagt Dr. Spassov.
Behandlungsdauer meist zu lang
Auch die Behandlungsdauer ist mit bis zu drei Jahren zu lang und in den meisten Fällen nicht mit einem gesundheitlichen Bedarf begründbar. Dr. Braun: “Gründe für die unnötige Ausdehnung der Behandlungszeit sind die formale Vergütungsdauer von zwölf Quartalen und die systematische Aneinanderreihung der Behandlung mit losen und festen Spangen.”
Der Bundesrechnungshof hat die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für kieferorthopädische (kurz: KFO-) Behandlungen in Höhe von jährlich 1,1 Milliarden Euro (zuzüglich zu den Kosten privatärztlicher Behandlungen) schon 2018 kritisiert. Je Patient haben sich diese Ausgaben zwischen 2008 und 2016 ungefähr verdoppelt. Zugleich fehlen gesicherte Erkenntnisse zum Nutzen der KFO-Behandlungen.
Um diese Entwicklung korrigieren zu können, bedarf es laut Dr. Braun eines ganzen Maßnahmenkatalogs: “Behandlungsbedarf und Indikationsstellung müssen zuverlässiger erfasst und ausgewertet werden. Im Anschluss daran müssen Wirksamkeit und Nutzen der Behandlung objektiv bewertet werden. Die Behandlungsdauer sollte von bisher bis zu 36 Monaten auf maximal 24 Monate begrenzt werden. Zudem ist die Qualität der Beratung und die Aufklärung der Patienten zu verbessern, um die hohe Zahl der Behandlungsabbrüche zu senken.”
Die komplette Studie “Kieferorthopädische Versorgung von Kindern und Jugendlichen im Spiegel von Routinedaten (2012-2017)”ist zu finden unter: www.hkk.de/gesundheitsreport