Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Abrechnung

I. Honorierung ärztlicher Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung

Das System der Honorierung von ärztlichen Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland hat seit Jahren mit mehreren grundlegenden Problemen zu kämpfen. Auf der einen Seite muss es die zentrale gesetzgeberische Maxime im gesetzlichen Krankenversicherungsrecht umsetzen: die Beitragssatzstabilität. Auf der anderen Seite muss es sowohl bei der Behandlung von Patienten als auch bei der Honorierung der Leistungserbringer das hohe Leistungsniveau aufrechterhalten. Es liegt auf der Hand, dass die gleichzeitige Umsetzung dieser Ziele einem Spagat gleichkommt.

1. Beitragssatzstabilität: die gesetzlich angeordnete Verteilung eines Mangels

Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) müssen die Krankenkassen und die Leistungserbringer die Vereinbarungen auf dem Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung so ausgestalten, dass Beitragserhöhungen ausgeschlossen werden. Davon erlaubt das Gesetz nur abzuweichen, wenn Wirtschaftlichkeitsreserven ausgeschöpft sind und selbst eine notwendige medizinische Versorgung nicht gewährleisten werden kann.

Um Beitragserhöhungen auszuschließen, knüpft das Gesetz im § 71 Abs. 2 Satz 1 SGB V eine Erhöhung von Vergütungen an eine Steigerung der beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder der Krankenkassen in der zweiten Hälfte des Vorjahres und in der ersten Hälfte des laufenden Jahres gegenüber dem entsprechenden Zeitraum der jeweiligen Vorjahre an. Eine Änderung der Vergütung ist an die jährliche Veränderung der Grundlohnsumme (sog. Grundlohnsummeveränderungsrate) gebunden. Die Grundlohnsummeveränderungsrate wird vom Bundesministerium für Gesundheit zum 15. September eines jeden Jahres veröffentlicht und gibt den Rahmen für die Änderung des Budgets der gesetzlichen Krankenkassen für das darauffolgende Jahr vor.

2. Zwingender Reformbedarf in der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung

Das zentrale Problem der Anbindung der Vergütungsänderung an die Grundlohnsummeveränderungsrate ist der Umstand, dass die Veränderung der Grundlohnsumme regelmäßig hinter der jährlichen Inflationsrate liegt. Das Ergebnis ist die langsame, aber stetige Absenkung der Reallöhne von Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen – das sind in der überwiegenden Mehrheit die abhängig Beschäftigten (Arbeitnehmer) – und in deren Folge auch die stetige Absenkung der Gesamtvergütung der Leistungserbringer als Vertragsärztinnen und Vertragsärzte.

Während noch im Jahr 2020 die Inflationsrate mit 0,5 % sehr moderat ausfiel, stieg diese in 2021 auf 3 % und wird in 2022 voraussichtlich über 5 % betragen. Es wird in den Fachkreisen vermutet, dass sich diese Entwicklung der Inflation in den nächsten Jahren fortsetzt.

Man wird deshalb davon ausgehen müssen, dass bereits in 5 bis 8 Jahren eine notwendige medizinische Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten einerseits und die Vergütung der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte andererseits unter einem Mangel leiden wird. Der kann nach dem bestehenden System der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung als inakzeptabel bezeichnet werden. Die wirtschaftliche Entwicklung und die steigende Inflation werden deshalb eine grundlegende Änderung des aktuellen Systems der Finanzierung und Honorierung in der gesetzlichen Krankenversicherung wohl bereits in wenigen Jahren erzwingen.

3. Leistungsbeziehungen in der gesetzlichen Krankenversicherung

Eine Folge der gesetzlich angeordneten Beitragssatzstabilität sind die komplexen Leistungsbeziehungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Zu unterscheiden sind das Behandlungsverhältnis zwischen Vertragsärzten und ihren Patienten, das Versicherungsverhältnis zwischen einem Patienten und seiner Krankenkasse, das Zuweisungsverhältnis zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und dem Gesundheitsfonds, das Vergütungsverhältnis zwischen einer gesetzlichen Krankenkasse und den Kassenärztlichen Vereinigungen und schließlich das Abrechnungsverhältnis zwischen Vertragsärzten und den Kassenärztlichen Vereinigungen.

Eine Vertragsärztin bzw. ein Vertragsarzt erhält die Vergütung für eine Behandlung nicht direkt vom Patienten, sondern erst nach einem komplexen Kreislauf der Beitragszahlungen: Krankenversicherungsbeiträge werden von den Versicherten, bzw. von deren Arbeitgebern, an die Krankenkassen überwiesen, von diesen an den Gesundheitsfonds weitergeleitet, vom Gesundheitsfonds an die Krankenkassen ausgehend von der statistischen Krankheitshäufigkeit in Bezug auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe (sog. Morbidität) zugewiesen, von den Krankenkassen an die Kassenärztlichen Vereinigung als die Gesamtvergütung weitergeleitet und erst von diesen an die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte zuerst als pauschalierte Honorarabschläge überwiesen, welche schließlich mit deren Honoraransprüchen verrechnet werden.

Ausgehend vom übergeordneten Ziel der Beitragssatzstabilität, dem begrenzten Beitragsvolumen der Versicherten und den schwankenden Behandlungszahlen der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte ist es bei der bestehenden Finanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht möglich, eine ärztliche Behandlung unmittelbar mit einem konkreten Geldbetrag abzugelten. Stattdessen wird einer ärztlichen Leistung zunächst eine Punktzahl zugewiesen. Die Punktzahlen für einzelne ärztliche Leistungen werden in der gesetzlichen Krankenversicherung in dem sog. Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) festgelegt.

Erst die Summe aller Punktzahlen, gesetzt ins Verhältnis zur verfügbaren Gesamtvergütung, ergibt einen bestimmten Punktwert für eine abgerechnete Punktzahl, aus dem schließlich ein konkreter Geldbetrag für eine ärztliche Leistung berechnet wird – ausgehend vom EBM und den jeweiligen Honorarverteilungsregelungen einer Kassenärztlichen Vereinigung. Dieser Geldbetrag wird zuletzt durch Honorarbegrenzungen in den geltenden Honorarverteilungsregelungen reduziert. Er kann durch sachlich-rechnerische Richtigstellungen, Honorarkürzungen wegen Unwirtschaftlichkeit und Regressen der Kassenärztlichen Vereinigungen im Nachhinein weiter gemindert werden.

II. Honorierung ärztlicher Leistungen in der privaten Krankenversicherung

Das System der privaten Krankenversicherung kennt kein Prinzip der Beitragssatzstabilität. Gleichwohl wird die Höhe der Beiträge der privat Versicherten an die Versicherungen und auch die Steigerung dieser Beiträge durch mehrere Faktoren begrenzt, die im Ergebnis eine Wirkung entfalten, die der Beitragssatzstabilität nahekommt.

1. Beitragsleistungen in der privaten Krankenversicherung

Einerseits ist eine private Krankenversicherung gegenüber einem Versicherten gem. § 192 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) nur leistungspflichtig, wenn es sich um medizinisch notwendige Heilbehandlungen wegen Krankheit und Unfallfolgen sowie um sonstige vereinbarte Leistungen handelt. Andererseits darf die Höhe des Basistarifs bei einer privaten Krankenversicherung den Höchstbetrag der gesetzlichen Krankenversicherung nicht übersteigen. Die versicherungsmathematische Bemessung der konkreten Versicherungsbeiträge von privat Versicherten richtet sich, ausgehend vom Äquivalenzprinzip, nach Eintrittsalter, Gesundheitszustand und Leistungsumfang eines jeden Versicherten. Einzelheiten der Berechnung von Versicherungsbeiträgen werden durch die Krankenversicherungsaufsichtsverordnung (KVAV) festgelegt.

Die Höhe und die Berechnung der Beiträge in der privaten Krankenversicherung hat zwar keine unmittelbare rechtliche Auswirkung auf das Abrechnungsverhältnis zwischen dem behandelten Arzt und seinem Patienten. Gleichwohl wirken sich Höhe und Berechnung dieser Beiträge auf die Honorierung von ärztlichen Leistungen gegenüber privat Krankenversicherten nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) aus, die verbindlich diese Honorierung regelt.

2. Ärztliche Vergütung in der privaten Krankenversicherung

Nach § 630a Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) schließen die behandelnde Ärztin bzw. der behandelnde Arzt und ein Patient einen Behandlungsvertrag ab, nach dem die Ärztin bzw. der Arzt zur Leistung der versprochenen Behandlung und der Patient zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet ist, soweit anstatt des Patienten nicht ein Dritter zahlungspflichtig ist. Die Zahlungspflicht eines Dritten im Sinne dieser Regelung ist nicht bereits deshalb begründet, wenn ein Patient privat krankenversichert ist, da der Vergütungsanspruch des Arztes gegenüber dem Patienten hier rechtlich unabhängig vom Vertragsverhältnis des Patienten zu seiner privaten Krankenversicherung existiert. Unter zahlungspflichtigen Dritten im Sinne § 630a Abs. 1 BGB werden z. B. bei gesetzlich Versicherten deren Krankenkassen oder bei Sozialhilfeempfängern Träger der Sozialhilfe verstanden, gegen welche die behandelnde Ärztin bzw. der behandelnde Arzt unmittelbar einen Vergütungsanspruch erwirbt.

Die Vergütungsregelung des § 630a Abs. 1 BGB kommt nur zur Anwendung, wenn die Vergütung zwischen der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt und dem Patienten vereinbart worden ist. Vergütungsvereinbarungen zwischen Ärzten und Patienten sind zwar in bestimmten Fällen rechtlich möglich, allerdings stellt das Gesetz an das Zustandekommen und die Wirksamkeit dieser Vereinbarungen hohe Anforderungen. Bei bestimmten ärztlichen Leistungen sind Vergütungsvereinbarungen gänzlich ausgeschlossen. Im Ergebnis stellen Vergütungsvereinbarungen zwischen Ärzten und Patienten deshalb Ausnahmen dar.

Gemäß § 630b BGB sind auf einen Behandlungsvertrag Regelungen über den Dienstvertrag (§§ 612 ff. BGB) anzuwenden, soweit keine Spezialregelungen in den §§ 630a BGB greifen. Treffen eine behandelnde Ärztin bzw. ein behandelnder Arzt mit einem Patienten keine Vergütungsvereinbarung, erfolgt die Abrechnung gegenüber dem Patienten gemäß § 612 Abs. 2 BGB nach den Regelungen der GOÄ.

Dr. jur. Alex Janzen

Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Bank- und KapitalmarktrechtRechtsanwaltskanzlei Dr. jur. Alex Janzen

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