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Allgemeinmedizin – Medizinisches Fachwissen für Hausärzte und Internisten

Sarkopenie bei Leberzirrhose ist mit einer niedrigen Lebensqualität und einem hohen Mortalitätsrisiko assoziiert.

Viele Menschen mit Leberzirrhose haben Muskelschwund

Die Bedeutung dieser bei 40 bis 70 Prozent der von Leberzirrhose Betroffenen auftretenden Komorbidität ist also klar, die Pathogenese dagegen muss erst noch vollständig verstanden werden. Im vom Österreicher Wissenschaftsfonds FWF geförderten Forschungsprojekt „Die Darm-Leber-Muskel-Achse bei Leberzirrhose“ haben Grazer Forschende jetzt Bakterienstämme identifiziert, die vermehrt vorkommen, wenn Leberzirrhose und Muskelschwund gleichzeitig auftreten.

Sekundäre Gallensäuren schädigen Muskelzellen der Leberzirrhose-Patienten

Darmbakterien sind unter anderem für die Umwandlung von primären in sekundäre Gallensäuren verantwortlich. Die Forscher fanden im Serum von Leberzirrhose-Patienten mit Sarkopenie einen überdurchschnittlichen Anstieg der sekundären Gallensäuren Desoxycholsäure (DCA) und Lithocholsäure (LCA) sowie der Verhältnisse zu ihren Präkursoren. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Gallensäureprodukte über das Blut in den Muskel gelangen und dort zu Schäden führen“, wie Studienleiterin Prof. Vanessa Stadlbauer-Köllner, Graz, erklärt. 

Für das klinische Forschungsprojekt rekrutierte das Team insgesamt 217 Personen: Leberzirrhose-Patienten mit (n = 78) und ohne (n = 38) Sarkopenie sowie nichtzirrhotische Kontrollen mit (n = 39) und ohne (n = 20) Sarkopenie. Durch den Vergleich von Probenmaterial fanden sie eine Häufung der Bakterienstämme Bacteroides fragilis, Blautia Marseille, Sutterella spp. und Veillonella parvula bei Teilnehmenden mit Muskelschwund; im Gegensatz dazu war Bacteroides ovatus bei jenen vermehrt, die eine Leberzirrhose, aber keinen Muskelschwund aufwiesen. Darüber hinaus stellte das Team fest, dass die ungünstigen Bakterienstämme mehr sekundäre Gallensäuren bildeten. Laborversuche mit Zellkulturen aus Muskelzellen zeigten, dass sekundäre Gallensäuren diese schädigen. Ob das auch im Körper passiert, will Stadlbauer-Köllner nun in einem Folgeprojekt genauer untersuchen. Sie vermutet, dass die Substanzen bei chronisch kranken Personen durch eine gestörte Darmbarriere ins Blut gelangen.

Auch die Serumspiegel der verzweigtkettigen Aminosäure Valin waren in einer multivariaten Analyse unabhängige Prädiktoren einer Sarkopenie bei Leberzirrhose.

In der Identifizierung der Bakterienstämme sehen die Forscher erste Schritte in Richtung einer gezielten Therapie, die nützliche Darmbakterien fördert oder direkt zuführt. Stadlbauer-Köllner mahnt aber realistische Erwartungen an: „Die Hoffnungen sind derzeit noch größer als das, was die Wissenschaft bewerkstelligen kann“, sagt die Medizinerin zu den Therapieplänen. „In der Forschung zum Mikrobiom steckt viel Potenzial, aber auch viel Grundlagenarbeit, die noch geleistet werden muss.“

Geschlechtsunterschiede bei Leberzirrhose und Sarkopenie

Sowohl Leberzirrhose als auch Sarkopenie als Komorbidität sind bei Männern häufiger als bei Frauen. In Sensitivitätsanalysen zeigten die Unterschiede beim Mikrobiom, den sekundären Gallensäuren und Valin eine Geschlechtsspezifität zulasten der Männer. Warum das so ist, muss noch untersucht werden, so die Autoren.

Leberzirrhose – Fakten auf einen Blick

Leberzirrhose ist eine chronische Erkrankung, bei der gesundes Lebergewebe durch Narbengewebe ersetzt wird, was die Leberfunktion beeinträchtigt. Häufige Ursachen sind chronischer Alkoholmissbrauch, Hepatitis B oder C, nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) und autoimmune Lebererkrankungen. Zu den typischen Symptomen zählen Müdigkeit, Schwäche, Gelbfärbung der Haut (Ikterus), Bauchwassersucht (Aszites), Blutgerinnungsstörungen und Verwirrtheit (hepatische Enzephalopathie).

Die Diagnose erfolgt meist durch Bluttests zur Überprüfung der Leberwerte, Ultraschalluntersuchungen, Elastographie (Messung der Lebersteifigkeit) oder in manchen Fällen eine Leberbiopsie. Die Behandlung richtet sich nach der Ursache und dem Schweregrad. Wichtige Maßnahmen sind Alkoholabstinenz, die Therapie der Grunderkrankung, die medikamentöse Kontrolle von Komplikationen und in schweren Fällen eine Lebertransplantation.

Zur Prävention zählen der Verzicht auf übermäßigen Alkoholkonsum, der Schutz vor Hepatitis durch Impfungen und Hygiene sowie eine gesunde Lebensweise mit ausgewogener Ernährung und regelmäßiger Bewegung. Eine frühzeitige Diagnose ist entscheidend, um die Prognose zu verbessern. Rund 1 % der erwachsenen Bevölkerung in Europa ist betroffen – eine Krankheit, die oft vermeidbar ist, wenn rechtzeitig gehandelt wird (Marzena Sicking)

Quelle:

Aliwa B et al. Journal of Cachexia, Sarcopenia and Muscle 2023;14:2676–2691

Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie