Ernährung und Krebsrisiko: Wie schädlich ist Styropor?
Marcus SefrinDie EU hat Einweg-Kunststoffe wie beispielsweise Styropor als Lebensmittelverpackung aus Umweltschutzgründen verboten. Doch wie sieht es eigentlich mit dem Krebsrisiko des expandierten Polystyrols aus?
Als BASF 1952 Styropor erstmals auf der Kunststoffmesse in Düsseldorf präsentierte, schäumte das Chemieunternehmen kleine Schaumstoff-Schiffchen für die Fachbesucher. Schnell begann das expandierte Polystyrol (EPS) als ultramodernes Verpackungsmaterial, Glaswolle, Torf, Stroh und Kork zu ersetzen.
Seit Juli 2021 ist der Einsatz der einstigen Innovation zur Herstellung von Einweg-Lebensmittelverpackungen infolge des EU-Verbots für Einweg-Kunststoffe nicht mehr erlaubt; nur Restbestände dürfen noch aufgebraucht werden. Anders als bei vielen anderen Chemieprodukten war bei Styropor der Grund für das Verbot nicht gesundheitliche Bedenken, sondern der Schutz der Ökosysteme.
Styrol aus Styropor erhöht Krebsrisiko
In einer Analyse seines Krebsinformationsdienstes hat das Deutsche Krebsforschungszentrum das Krebsrisiko von Styropor unter die Lupe genommen. Für dieses sei Styrol die entscheidende Substanz. Der aromatische Kohlenwasserstoff ist die Grundeinheit von Polystyrol. Bei der Herstellung bleiben einzelne Moleküle ungebunden im Endprodukt zurück und werden daraus mit der Zeit freigesetzt. Styrol wird von der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) der Gruppe 2A zugeordnet und als wahrscheinlich krebserregend eingeschätzt. Datenbasis sind Ergebnisse aus Tierversuchen, mechanistische Erwägungen sowie Studien bei beruflicher Belastung. Diese untersuchten Mitarbeiter aus der Produktion von Styrol und daraus hergestellten Kunststoffen. Ihre Styrolbelastung lag dabei deutlich höher als bei der Allgemeinbevölkerung. In der GESTIS-Datenbank des Instituts für Arbeitssicherheit ist Styrol im beruflichen Bereich als „Krebserzeugend: Kategorie 5“ eingestuft. Danach ist bei Einhaltung des MAK (maximale Arbeitsplatzkonzentration)-Wertes kein nennenswerter Beitrag zum Krebsrisiko für den Menschen zu erwarten. Ein Panel der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sieht in der IARC-Einstufung einen ersten Hinweis für eine Gefahr durch Styrol in Lebensmitteln, da Genotoxizität trotz fehlender Übertragbarkeit der Daten auch nicht ausgeschlossen werden könne. Es forderte daher eine umfassende Analyse.
Zigarettenrauch ist wichtigste Quelle für Styrol
Für die Allgemeinbevölkerung macht über die Atemwege aufgenommenes Styrol manchen Schätzungen zufolge mehr als 90 Prozent der Gesamtbelastung aus. Für Erwachsene findet sich in der Literatur eine tägliche inhalative Aufnahme zwischen 0,1 und 0,6 μg/kg Körpergewicht. Im Außenbereich tragen Verbrennungsrückstände aus Autoabgasen und Industrieemissionen zur Styrolbelastung bei. Im Innenbereich ist die Hauptquelle ein alter Bekannter: Der Rauch einer Zigarette enthält rund 1 µg Styrol. Der Aromat wird auch aus Gebrauchsgegenständen wie Kleiderbügeln freigesetzt – und eben aus Verpackungen. Neben der Schaumvariante wird Polystyrol hierfür auch als „normaler“ Kunststoff verwendet.
Styrol aus Verpackungen geht in Lebensmittel über
Lebensmittelverpackungen sind auch der Grund für die zweitgrößte Aufnahmequelle von Styrol in der Allgemeinbevölkerung. Styrol kann teilweise in die in Styropor verpackten Lebensmittel übergehen, besonders bei fettreichen Produkten. Für die Styrol-Exposition über Lebensmittel finden sich Angaben von 0,1 μg/kg Körpergewicht pro Tag – mal für die Gesamtaufnahme, mal nur für die Aufnahme aufgrund von Migration aus Verpackungen. Damit würden sich die Aufnahme über Luft und über die Nahrung ungefähr die Waage halten.
Was ist mit Mikro-Styropor?
Zu Mikroplastik hat die IARC noch keine Stellung bezogen. Es gibt Daten, nach denen eine chronische Exposition ein metabolisches Rewiring bei humanen Darmzellen induziert und als Krebsrisikofaktor fungieren könnte. Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist es unwahrscheinlich, dass von Plastikpartikeln in Lebensmitteln gesundheitliche Risiken ausgehen.
Bonanomi M et al. Chemosphere 2022; 303:134947