So machen Sie Ihre Praxis scheidungssicher
A&W RedaktionAuch nach Jahren zeigt das neue Unterhaltsrecht noch erhebliche Tücken. Dabei sollte es Scheidungen ursprünglich einmal gerechter und sauberer machen. Was schiefgegangen ist und wie Ärzte den finanziellen Schaden im Scheidungsfall trotzdem begrenzen können, erklären unsere Experten.
Wir schreiben das Jahr 2016. Das neue Unterhaltsrecht hat inzwischen mehr als acht Jahre auf dem Buckel. Doch selbst wohlmeinende Beobachter ziehen eine eher durchwachsene Bilanz der Reform.
Dabei war das Ziel des Gesetzgebers edel. Man wollte das überkommene, auf die klassische Hausfrauen-Ehe angelegte Familienrecht modernisieren, die „nacheheliche Eigenverantwortung“ stärken und dafür sorgen, dass arbeitsscheue Geschiedene nicht mehr ohne Weiteres ein lebenslanges Auskommen auf Kosten des gut situierten Ex-Partners haben.
Einmal Chefarzt-Frau, immer Chefarzt-Frau? Dieses Motto sollte nicht mehr gelten. Nicht mal dann, wenn die Ex-Gattin die Kinder weitgehend allein zu betreuen hat. Der Ex-Gatte sollte nur so lange zahlen müssen, bis der jüngste Sprössling drei Jahre alt ist. Dann, so die Idee des Gesetzgebers, könne man von Müttern verlangen, eine Vollzeitstelle anzunehmen und den Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Es gibt erste Grundsatzentscheidungen
Doch der moderne Ansatz bereitet in der Praxis Probleme. „Einfacher sind Scheidungen nicht geworden“, so die Erfahrung von Maria Demirci, Fachanwältin für Familienrecht aus München. Der Grund: Über die Auslegung der neuen Regelungen lässt sich noch hervorragend streiten. Vor allem in der ersten Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes rätselten Anwälte und Gerichte vielfach, was der Gesetzgeber mit seinen Vorgaben gemeint haben könnte. Zeitweise vertraten sechs Senate an ein und demselben Oberlandesgericht sechs verschiedene Meinungen.
Inzwischen hat sich die Lage zwar beruhigt. Es gibt die ersten Grundsatzentscheidungen – und auch der Gesetzgeber hat nachgelegt und besonders streitanfällige Paragrafen noch einmal nachjustiert (siehe Kasten). Absolute Rechtssicherheit haben angehende Geschiedene aber noch immer nicht. „Das neue Unterhaltsrecht lässt große Spielräume, um Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen“, sagt Fachanwältin Demirci. „Die Folgen einer Scheidung sind so schwieriger zu kalkulieren.“ Geradezu ein Schulbeispiel für die Unwägbarkeiten der neuen Regelungen ist die Frage, wann ein Partner Unterhalt von seinem Ex beanspruchen kann, weil er die gemeinsamen Kinder versorgt und deshalb nicht arbeiten kann.
Vor der Reform wurde dieses Problem nach der sogenannten 08/15-Methode gelöst. Bis das Kind acht war, musste der betreuende Elternteil gar nicht arbeiten, sondern erhielt Alimente von seinem Verflossenen. Zwischen dem achten und 15. Lebensjahr schickten die Gerichte ihn in der Regel nur in Teilzeit zum Arbeiten. Erst nach dem 16. Geburtstag des letztgeborenen Kindes musste sich der Betreffende um eine Vollzeitstelle bemühen und – so möglich – den Lebensunterhalt selbst verdienen.
Wer hat Anspruch auf Unterhalt nach der Scheidung?
Heute gilt: Einen fixen Anspruch auf Unterhalt hat der betreuende Elternteil nur noch in den ersten drei Lebensjahren des Kindes. Danach entscheiden die Umstände des Einzelfalles.
„Das bedeutet nicht, dass jede Mutter oder Vater am dritten Geburtstag des jüngsten Kindes mit Gewalt zurück ins Erwerbsleben gedrängt wird“, erläutert Anwältin Demirci. Der frühere Automatismus, wonach der betreuende Elternteil sich oft bis ins Rentenalter ein auskömmliches Leben auf Kosten des Ex-Partners sichern konnte, hat jedoch ausgedient. „Geschiedene, die länger als die besagten drei Jahre Unterhalt von ihrem Ex erhalten wollen, müssen beweisen, dass ihnen das zusteht – etwa, weil das Kind krank ist oder sie keine adäquate Stelle finden“, so Demirci.
Wann die Gerichte diesen Beweis als erbracht ansehen, ist schwer zu prognostizieren. Die Urteile zu diesem Thema sind ebenso unterschiedlich, wie die Lebensumstände, die ihnen zugrunde liegen. Einmal vertritt der Bundesgerichtshof (BGH) die These, ein siebenjähriges Kind müsse nicht mehr „auf Schritt und Tritt“ überwacht werden (Az. XII ZR 102/08). Der Mutter sei es deshalb durchaus zuzumuten, auch Vollzeit arbeiten zu gehen.
Ein anderes Mal gelangen Richter zu der Überzeugung, dass selbst ein 17-Jähriger noch betreuungsbedürftig sein kann – zum Beispiel, wenn zu befürchten steht, dass er auf die schiefe Bahn gerät (OLG Hamm, Az. 3 UF 59/08).
Die Liste der potenziell zu berücksichtigenden Kriterien lässt sich lange fortsetzen: Wie steht es um die Gesundheit des Filius (BGH, Az. XII ZR 74/08)? Braucht er unbedingt die Betreuung durch seine Eltern? Oder ist die Betreuung durch geschultes Personal ausreichend – etwa in einem Hort (BGH, Az. XII ZR 3/09)? Ist dies der Fall, muss die Frage geklärt werden, ob es genügend Betreuungsstätten gibt. Sogar die Tatsache, welche Hobbys das Kind ausübt, kann bei der Frage des Betreuungsunterhalts relevant werden (OLG Köln, Az. 4 UF 101/08). Ein Elternteil, der zwischen Reitschule, Posaunenunterricht und Segelschule pendeln muss, hat schließlich kaum noch Zeit für eine geregelte Arbeit.
Gleichung mit vielen Unbekannten
Weitere Faktoren, die das „ob“, aber auch die Höhe des Unterhalts beeinflussen, sind die Finanzstärke des Zahlungspflichtigen und die Ausbildung desjenigen, der etwas zu kriegen hat. Wer eine Kollegin mit abgeschlossener Facharztausbildung ehelicht, muss ihr im Fall einer Scheidung meist mehr zahlen als der Mediziner, der sich in seine Tennistrainerin verliebt und diese zur Frau nimmt. Das gilt zumindest dann, wenn die besagte Dame wegen der Ehe auf die geplante Karriere verzichtet hat – etwa, weil sie die gemeinsamen Kinder versorgt hat. „Da der Wiedereinstieg in den Job nach langen Auszeiten oft schwierig ist, müssen Ex-Partner auch in solchen Fällen Unterhalt zahlen“, sagt Demirci. Die Summe errechnet sich aus der Differenz zwischen dem fiktiven Gehalt, das die Frau bei ungestörter Karriere hätte erzielen können – und dem, was sie nun tatsächlich verdient. Juristen sprechen vom „Ausgleich ehebedingter Nachteile“.
Das Fatale: Sie können, anders als manche Ehe, ein Leben lang bestehen.
Zähes Ringen um Gerechtigkeit
Seit der Unterhaltsreform von 2008 wird von Geschiedenen mehr Eigenverantwortung verlangt, was den Lebensunterhalt angeht. Doch vielen erschien es als unbillig, dass Geschiedene nach 30 gemeinsamen Jahren auf einer Stufe mit kurzzeitig Verheirateten stehen sollten. Inzwischen hat der Gesetzgeber reagiert. Seit März 2013 gilt der neue § 1578 b des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Nun ist die Ehedauer bei der Unterhaltsberechnung ein besonders wichtiger Faktor.