Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Arbeitsrecht

Anm. d. Redaktion: Bitte beachten Sie die Hinweise zur Aktualisierung am Ende des Textes**

Frau Bendiks, der Gesetzgeber hat es sich in arbeitsrechtlicher Hinsicht mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ganz schön leicht gemacht. Denn er hat im Infektionsschutzgesetz nicht geregelt, wie Arbeitgeber konkret mit Mitarbeitenden umgehen sollen, die der Nachweispflicht nicht nachkommen: Kündigen, freistellen — vieles bleibt nebulös. Wie finden Sie das?

• „Die Nachweispflicht ist bis zum 31. Dezember 2022 beschränkt.“
• „Verstöße können mit Geldbußen von bis zu 2.500 Euro geahndet werden.“
• „Eine Kündigung ist arbeitsrechtlich immer das letzte Mittel.“

Der Gesetzgeber wollte keine konkrete Regelung treffen, was arbeitsrechtlich passiert, wenn die entsprechenden Bescheinigungen nicht vorgelegt werden. Der Schutzzweck des Gesetzes ist es aber, die besonders gefährdeten Personengruppen zu schützen. Daraus kann man entsprechende Pflichten herleiten. Der Gesetzgeber hat im Infektionsschutzgesetz ganz klar gesagt, dass bis 15. März 2022 die entsprechenden Unterlagen vorzulegen sind. Wenn die nicht vorgelegt werden, dann darf der Arbeitnehmer auch nicht mehr arbeiten.

Heißt das also, dass Praxisinhaberinnen und -inhaber Mitarbeitende nach dem 15. März 2022 gar nicht mehr beschäftigen dürfen, wenn diese die entsprechenden Nachweise nicht vorlegen?

Ja. Wenn der Arbeitnehmer bis zum 15. März 2022 die entsprechenden Nachweise nicht vorgelegt hat, dann darf er definitiv nicht mehr bei dem Arbeitgeber arbeiten. Der Praxisinhaber ist dann verpflichtet, dem Gesundheitsamt eine Meldung zu machen. Wenn er den Arbeitnehmer trotzdem weiterbeschäftigt, droht ihm ein Bußgeld. Der Mitarbeiter darf die Praxis sogar nicht einmal mehr betreten. Als Arbeitnehmer darf er das ohnehin nur, weil er dort seine Arbeitspflicht erbringt. Jetzt ist vorgeschaltet, dass er entsprechende Nachweise erbringen muss, um dies zu tun. Wenn er die nicht erbringen kann, darf er auch nicht mehr in die Praxis hinein. Der Arbeitgeber hat das Hausrecht und kann ein Hausverbot aussprechen.

Und wenn eine Mitarbeiterin einwendet, gar nicht am Patienten zu arbeiten, sondern in der Praxis im hinteren Büro nur die Abrechnung zu machen?

Das ist völlig egal, weil der Gesetzgeber hier nicht unterschieden hat zwischen den Tätigkeiten. Es geht um die Einrichtungen, die in § 20a Infektionsschutzgesetz aufgeführt sind. Egal, welche Tätigkeit ein Mitarbeiter dort ausübt, ob Reinigungskraft, Buchhaltungskraft oder direkt am Patienten arbeitende MFA – für alle, die in einer solchen Einrichtung arbeiten, gilt diese Bestimmung. Alle müssen entsprechende Nachweise vorlegen, egal, welche Tätigkeit sie verrichten. Die Regelung ist einrichtungsbezogen und nicht arbeitsplatzbezogen.

Wenn der Arbeitgeber eine Mitarbeiterin gar nicht mehr beschäftigen darf — muss ich sie dann trotzdem bezahlen?

Nein. Der Arbeitnehmer hat nur dann einen Anspruch auf Lohnfortzahlung, wenn er seine Arbeitsleistung erbringen kann. Daran scheitert es hier, er kann sie nicht erbringen, wenn er die entsprechenden Nachweise nicht vorlegt. Da er seine Arbeitsleistung immer nur zu einem bestimmten Zeitpunkt erbringen kann und diese Leistung auch nicht nachholbar ist, hat er keinen Anspruch auf ein Entgelt. Ohne Arbeit kein Lohn.

Kann der Chef eine MFA, die er nicht mehr beschäftigen darf, dann ohne Lohnfortzahlung von der Arbeit freistellen?

Das muss er gar nicht, denn solange sie die Nachweise nicht erbringt, besteht ein Beschäftigungsverbot. Der Arbeitgeber muss die MFA dem Gesundheitsamt melden. Da sie nicht erscheint, hat sie keinen Anspruch auf Lohn. Der Praxisinhaber kann sie aber auffordern, bis zum Zeitpunkt X einen Nachweis vorzulegen. Das Problem daran ist allerdings, dass der Arbeitnehmer eine vollständige Impfung benötigt. Wer am 15. März noch nicht geimpft ist, braucht bis zu einem vollständigen Impfschutz mindestens vier Wochen.

Darf der Praxisinhaber einen Mitarbeitenden ohne entsprechenden Impfschutz abmahnen und kündigen?

Es besteht sicherlich die Möglichkeit, den Arbeitnehmer abzumahnen. Der Arbeitgeber sollte ihn auffordern, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die entsprechenden Nachweise zu erbringen. Vollständig geimpft sein könnte der Mitarbeiter dann frühestens Mitte April. Bis zu diesem Zeitpunkt kann er nicht beschäftigt werden und hat keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung. Danach könnte der Praxisinhaber wegen Verletzung der vertraglichen Nebenleistungspflicht auch eine Kündigung aussprechen, aber eben erst dann, denn eine Kündigung ist arbeitsrechtlich immer das letzte Mittel.

Wie hier letztlich die Gerichte entscheiden werden, ist eine Frage, die man zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beantworten kann. Denn die gesetzliche Regelung ist befristet bis zum 31.12.2022. Die Frage wird sein, wie diese Befristung rechtlich zu werten ist und ob es nicht das mildere Mittel wäre, bis zum Fristablauf zu warten und den Mitarbeitenden dann weiterzubeschäftigen. Da ist der Arbeitgeber schon in einem Risiko drin, wenn er eine Kündigung ausspricht.

Wer die fehlenden Nachweise als Grund für eine Kündigung nutzen möchte, sollte sich daher unbedingt rechtlich beraten lassen, um die Kündigung entsprechend vorzubereiten.

Aber noch einmal aus der Praxis betrachtet: Hier vergehen locker einige Wochen, in denen außer einer Abmahnung erst einmal nichts passiert. Die Gehälter für Mitarbeitende in Arztpraxen sind nicht besonders hoch. Wenn jemand für diesen Zeitraum kein Geld erhält, ist das schon eine lange Zeit. Hinzu kommt: Derjenige steht in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis und kann sich auch nicht einfach arbeitslos melden. Der Druck hin zu einer Impfung oder zu einer Eigenkündigung ist schon hoch.

Stellen wir uns vor, ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin in einer Hausarztpraxis legt dem Praxisinhaber einen gefälschten Impfpass oder ein Gefälligkeitsattest vor. Stellt dies einen Grund für eine fristlose Kündigung dar?

Die Frage ist natürlich immer, ob es sich um eine offensichtliche Fälschung handelt. Ist das der Fall, dann stellt dies sicher einen Grund für eine fristlose Kündigung dar. Der Fall dürfte allerdings in der Praxis nicht so oft vorkommen. Häufiger dürfte wohl sein, dass lediglich der Verdacht einer Fälschung besteht. In diesem Fall kann der Praxisinhaber immer das Gesundheitsamt einschalten und mitteilen, dass er Bedenken hinsichtlich der Echtheit des Nachweises hat – er ist dazu sogar verpflichtet. Im Einzelfall könnte der Arbeitgeber hier eine sogenannte Verdachtskündigung aussprechen. Der Mitarbeiter muss aber die Gelegenheit erhalten, dazu Stellung zu nehmen. Die Hürden für eine Verdachtskündigung sind etwas höher. Auch hier würde ich empfehlen, sich rechtlich beraten zu lassen.

Wenn Arbeitgeber nach dem 15. März 2022 arbeitsrechtliche Schritte gegen Mitarbeitende einleiten, müssen sie damit rechnen, dass die Betroffenen sich wehren. Was kann da auf Praxisinhaber zukommen?

Wenn eine Kündigung ausgesprochen wird, müssen Arbeitgeber damit rechnen, dass der Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen eine Kündigungsschutzklage einreicht. Dann wird es einen Gütetermin geben. Erfahrungsgemäß einigt man sich hier aber nicht. Der Kammertermin findet je nach Stadt drei bis sechs Monate später statt. Der Arbeitgeber trägt grundsätzlich das Risiko, dass er, wenn die Kündigung nicht wirksam ist, den Lohn für diesen Zeitraum nachzahlen und den Mitarbeiter weiterbeschäftigen muss.

Was können Praxisinhaber tun, die Mitarbeitende ohne Impfnachweis nicht mehr beschäftigen dürfen, aber dennoch halten wollen, weil sie kein anderes Personal haben?

Die Nachweispflicht ist bis zum 31. Dezember 2022 beschränkt. Rein theoretisch könnten Praxisinhaber bis zu diesem Zeitpunkt warten und – falls die Nachweispflicht wirklich ausläuft – den Mitarbeiter dann weiterbeschäftigen. Ganz praktisch ist es doch aber so: Ein Arbeitnehmer, der ab dem 16. März 2022 kein Gehalt mehr bezieht, der wird es finanziell nicht schaffen, bis Ende des Jahres unbeschäftigt zu sein. Zudem muss man sich als Praxisinhaber überlegen, ob man mit diesem Mitarbeiter weiterarbeiten möchte.

Macht sich ein Praxischef gegenüber Patienten haftbar, wenn er Mitarbeitende ohne ausreichenden Impfschutz beschäftigt und sich Patienten infizieren?

Wenn ich ab dem 16. März 2022 weiter Mitarbeiter beschäftige, die den Nachweispflichten nicht nachgekommen sind, dann mache ich mich definitiv strafbar und verstoße ganz klar gegen das Infektionsschutzgesetz. Das kann mit Bußgeldern belegt werden. Das würde ich auf keinen Fall riskieren. Ob sich Praxisinhaber gegenüber Patienten haftbar machen, wenn diese sich mit Corona infizieren, ist eine Frage der Ursächlichkeit: Ist die Infektion wirklich von dieser einen Person ausgegangen? Je nachdem habe ich dann natürlich meine Pflichten verletzt. Ich habe auf jeden Fall einen Risikofaktor.

Muss sich mit Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht auch der Praxisinhaber impfen lassen? Oder darf er ohne Impfung weiter praktizieren?

Die Nachweispflichten nach § 20a IfSG gelten grundsätzlich für alle Personen, die in den genannten Einrichtungen tätig sind. Sie sind eine Voraussetzung dafür, dass ich meine Tätigkeit ausüben kann. Die Regelung bezieht sich auf die Einrichtung und nicht auf die Tätigkeit. Ein Arzt ohne entsprechende Nachweise muss sich damit selbst dem Gesundheitsamt melden. Er darf seine Tätigkeit nach dem 15. März 2022 nicht mehr ausüben und muss seine Praxis schließen. Das Gleiche gilt übrigens auch für Heilpraktiker. Faktisch unterliegen diese dann einem Berufsverbot.

Wie können Ärztinnen und Ärzte ihren Kontrollpflichten praktisch nachkommen?

Sie müssen die Impfungen oder das Attest dokumentieren. Kopien braucht es dafür nicht unbedingt. Der Arzt muss aber festhalten, wann die Impfungen erfolgt und bis wann diese gültig sind. Er sollte dabei vor allem die Gültigkeitsdauer im Blick behalten, da er den Arbeitnehmer nach Ablauf der Gültigkeit, wenn keine Auffrischungsimpfung vorliegt, nicht weiter beschäftigen darf. Er verstößt sonst gegen das Infektionsschutzgesetz. Ich würde empfehlen, die Dokumentation nicht in der Personalakte zu führen, sondern separat.

Es wird in den kommenden Monaten sicherlich zu vielen Streitfragen und arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen kommen. Müssen nun die Gerichte klären, was das Infektionsschutzgesetz offenlässt?

Ja, und das wird dauern. Erste Klagen dürften wohl frühestens Ende April zu erwarten sein. Bis es zu ersten Urteilen kommt, dürfte es Ende des Jahres werden. Auf diese sollten sich Ärztinnen und Ärzte aber nicht verlassen. Richter sind unabhängig, die Fälle sind unterschiedlich und wenn ein Gericht in München so entscheidet, kann ein Gericht in einer anderen Stadt in einem ähnlich gelagerten Fall zu einem ganz anderen Ergebnis kommen. Bis es höchstrichterliche Urteile gibt, dürfte einige Zeit vergehen. Ich würde Praxisinhabern dazu raten, sich bei diesem Thema unbedingt rechtlich beraten zu lassen, da es zu viele Knackpunkte gibt. Gerade diese Art von Kündigung ist sehr schwierig und man kann sehr viele Fehler machen. Auf keinen Fall ohne Anwalt, gerade wenn man in den Bereich Abmahnung hineingeht!

Was droht Ärztinnen und Ärzten bei Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz?

Verstöße gegen die Vorschriften können mit einer Geldbuße von bis zu 2.500 Euro geahndet werden. Und zwar pro Fall. Das kann sich summieren. Wer die Bußgelder übrigens nach einer Fristsetzung nicht zahlt, dem droht nach § 96 Ordnungswidrigkeitengesetz zumindest theoretisch „Erzwingungshaft“.

*Zur Person: Astrid Bendiks ist Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Wirtschaftsrecht, spezialisiert auf die Beratung von Selbstständigen, Privatpersonen sowie mittelständischen Unternehmen. Sie ist Mitglied und ehemalige Vorsitzende im Netzwerk der Business Professional Women München (BPW) sowie Mitglied im Fachausschuss „Frauen in Führungspositionen“ des Deutschen Olympischen Sportbundes und Vorzeigeunternehmerin des BMWi.

**Update vom 26.4.2022: Wir möchten richtigstellen, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht so streng ausgestaltet ist, wie von Frau Rechtsanwältin Astrid Bendiks im Interview dargestellt.
Die Regelung in § 20a Infektionsschutzgesetz unterscheidet zwischen sogenannten Alt-Arbeitnehmern und Neu-Arbeitnehmern. Neu-Arbeitnehmer dürfen ohne Nachweis nicht beschäftigt werden. Ein Verstoß ist sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber bußgeldbewehrt.
Alt-Arbeitnehmer ohne Nachweis unterliegen dagegen nach dem Wortlaut der Regelung nicht automatisch einem Tätigkeitsverbot. Vielmehr muss das Gesundheitsamt ein entsprechendes Tätigkeits- und Betretungsverbot aussprechen. Der Arbeitgeber kann Alt-Arbeitnehmer ohne Nachweis also grundsätzlich zunächst weiter einsetzen und muss erst bei entsprechender Anordnung des Gesundheitsamtes handeln. Er muss den Mitarbeiter aber unverzüglich dem zuständigen Gesundheitsamt melden. Wenn kein entsprechender Nachweis vorgelegt wird, kann das Gesundheitsamt ein Betretungs- beziehungsweise Tätigkeitsverbot aussprechen. Für einen Arbeitgeber, der den Mitarbeiter ordnungsgemäß gemeldet hat, entsteht kein Bußgeld.