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Arbeitsrecht
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Mutterschutz beginnt vor der Schwangerschaft: Gefährdungsbeurteilung ist Pflicht

Noch bevor eine Schwangerschaft in der Belegschaft bekannt ist, verlangt § 10 Mutterschutzgesetz (MuSchG) die Durchführung einer anlassunabhängigen Gefährdungsbeurteilung für jeden Arbeitsplatz. Das gilt sowohl für ärztliches als auch nicht-ärztliches Personal. Ziel ist es, mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen – etwa durch infektiöse Patienten, Chemikalien, körperliche Belastungen oder psychische Stressoren. Diese Beurteilung ist zu dokumentieren, regelmäßig zu aktualisieren und Grundlage jeder weiteren Schutzmaßnahme.

Ergeben sich Hinweise auf eine „unverantwortbare Gefährdung“ für Mutter oder Kind, müssen Arbeitgeber sofort geeignete technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen einleiten. Ist das nicht möglich, sind Schwangere oder Stillende von der Tätigkeit freizustellen.

Individuelle Gefährdungsbeurteilung bei Schwangerschaft

Wird eine Schwangerschaft offiziell mitgeteilt, ist eine individuelle Gefährdungsbeurteilung zu erstellen, die die spezifischen Arbeitsbedingungen der betroffenen Mitarbeiterin berücksichtigt. Das gilt unabhängig von ihrer Funktion – ob Famulantin, Ärztin, MFA oder Reinigungskraft. In medizinischen Einrichtungen sind Schwangere besonderen Risiken ausgesetzt, die zum Beispiel bei klassischen Bürojobs nicht bestehen (Kontakt mit infektiösen Patienten, Kontakt mit Blut und anderen Körperflüssigkeiten).

Diese spezifischen Gefahrenquellen sind bei der individuellen Gefährdungsbeurteilung besonders zu beachten. Entsprechend sind dort alle übertragbaren Krankheiten aufzuführen, mit denen die schwangere Mitarbeiterin im Rahmen ihrer Tätigkeit in Kontakt kommen könnte.

Im nächsten Schritt muss der Praxischef prüfen, ob es gegen diese Risiken wirksame Schutzmaßnahmen gibt (etwa das Tragen von FFP2-Masken oder Impfungen). Besteht ein nicht vertretbares Restrisiko, muss die schwangere Mitarbeiterin sofort von den gefährlichen Tätigkeiten freigestellt und/oder ihr andere, unbedenkliche Aufgaben zugewiesen werden.

Wichtig: Die gesamte Gefährdungsbeurteilung ist schriftlich zu dokumentieren, ebenso wie die Schutzmaßnahmen und gegebenenfalls die risikoadäquate Veränderung der Tätigkeiten. Ist ein sicherer Einsatz der Schwangeren in der Praxis nicht möglich, müssen Praxisinhaber ein Beschäftigungsverbot nach § 13 MuSchG verhängen. Dabei handelt es sich nicht um eine ärztliche Krankschreibung, sondern um eine arbeitgeberseitige Maßnahme zum präventiven Gesundheitsschutz.

Typische Einschränkungen im medizinischen Alltag

In Klinik und Praxis ergeben sich regelmäßig konkrete Tätigkeitsverbote. Schwangere dürfen weder mit infektiösen Patientinnen und Patienten noch mit infektiösem Material in Kontakt kommen. Auch invasive Tätigkeiten wie Injektionen, Blutabnahmen oder chirurgische Assistenz sind unzulässig. Das Umlagern schwerer Patient:innen ist ebenfalls zu vermeiden, da die Hebegrenze in der Schwangerschaft bei rund fünf bis zehn Kilogramm liegt.

Als Übergangslösung bietet sich häufig ein Einsatz im Verwaltungsbereich an – etwa an der Anmeldung oder bei Dokumentationsaufgaben. Voraussetzung ist, dass diese Tätigkeiten keine zusätzlichen gesundheitlichen Belastungen mit sich bringen. Andernfalls bleibt nur das Beschäftigungsverbot.

Schwangerschaft: Meldepflichten bei offiziellen Stellen

Hat der Arbeitgeber von der Schwangerschaft erfahren, muss er die Schwangerschaft außerdem unverzüglich (also binnen weniger Tage) der zuständigen staatlichen Arbeitsschutzbehörde melden.

Je nach Bundesland sind das die Gewerbeaufsichtsämter, die Arbeitsschutzämter, die Regierungspräsidien, die Bezirksregierungen oder die Ämter für Arbeitsschutz, die dem jeweiligen Landesministerium für Arbeit oder Gesundheit unterstellt sind.

Zu melden sind der Name der Mitarbeiterin, der errechnete Geburtstermin sowie die Beschäftigungsart und die Beschäftigungsbedingungen.

Meldet der Arzt oder die Ärztin die Schwangerschaft zu spät, drohen nicht nur Bußgelder von bis zu 5000 Euro. Er oder sie laufen auch Gefahr, bei Mutter und Kind für etwaige Schäden haften zu müssen, die durch unterlassene Schutzmaßnahmen entstehen.

Gesetzliche Schutzfristen vor und nach der Geburt

Neben betrieblichen Anpassungen gelten allgemeine Mutterschutzfristen. In den sechs Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin besteht ein relatives Beschäftigungsverbot: Die Schwangere darf nur dann weiterarbeiten, wenn sie das ausdrücklich wünscht. Nach der Geburt gilt ein absolutes Beschäftigungsverbot von acht Wochen – bei Früh- oder Mehrlingsgeburten verlängert auf zwölf Wochen. Eine Beschäftigung ist in dieser Phase ausnahmslos untersagt.

Neu ist seit dem 1. Juni 2025 eine gestaffelte Schutzregelung bei Fehlgeburten ab der 13. Schwangerschaftswoche. Je nach Schwangerschaftsalter gelten Schutzfristen zwischen zwei und acht Wochen, begleitet von einem Beschäftigungsverbot und Anspruch auf Mutterschaftsleistungen.

Arbeitszeiten, Ruhepausen und Dienste

Auch beim Dienstplan gelten strenge Vorgaben. Schwangere dürfen nicht mehr als 8,5 Stunden täglich beschäftigt werden. Bei minderjährigen Mitarbeiterinnen liegt die Grenze bei acht Stunden. Zwischen zwei Arbeitseinsätzen müssen mindestens elf Stunden Ruhezeit liegen. Ist eine solche Ausgestaltung nicht möglich, muss der ärztliche Arbeitsgeber ein betriebliches Beschäftigungsverbot aussprechen.

Ihr Geld bekommt die Schwangere dennoch weiter (§ 18 MuSchG). Allerdings kann sich der Arbeitgeber den Mutterschutzlohn zu 100 Prozent von der gesetzlichen Krankenversicherung der Mitarbeiterin zurückholen. Wichtig: Auch bei privat krankenversicherten Mitarbeiterinnen ist in solchen Konstellationen die GKV der richtige Ansprechpartner.

Dienste an Sonn- und Feiertagen sind außerdem nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Schwangeren zulässig. Arbeit zwischen 20 und 22 Uhr bedarf zusätzlich eines ärztlichen Attests und einer behördlichen Genehmigung. Nach 22 Uhr ist Nachtarbeit für Schwangere gesetzlich verboten.

Praxen und Kliniken müssen darüber hinaus sicherstellen, dass schwangere oder stillende Mitarbeiterinnen jederzeit die Möglichkeit haben, sich auszuruhen, hinzulegen oder ihre Tätigkeit kurzzeitig zu unterbrechen.

Lohnfortzahlung und Mutterschaftsleistungen berechnen

Während eines betrieblichen ärztlichen Beschäftigungsverbots erhält die Schwangere ihr volles Gehalt. Gleiches gilt, wenn ein Arzt der Frau bescheinigt hat, dass sie aufgrund ihrer Schwangerschaft nicht arbeiten kann beziehungsweise darf. Während der gesetzlichen Mutterschutzfristen erhalten werdende beziehungsweise frischgebackene Mütter zudem Mutterschaftsgeld (s. Tabelle unten). Finanzielle Nachteile müssen niedergelassene Ärztinnen und Ärzte angesichts dieser Zahlungen indes nicht befürchten: Selbst kleine Praxen sind über das Umlageverfahren U2 abgesichert und erhalten ihre Auslagen von den Kassen zurück.

Stillende Mütter haben nach der Rückkehr in die Praxis zudem Anspruch auf zwei halbstündige, bezahlte Stillpausen pro Tag.

Tabelle: Frauen in bestehenden Beschäftigungsverhältnissen (Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend)

Beschäftigte

Anspruch Mutterschaftsgeld

Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse mit Krankengeldanspruch

Pro Tag bis zu 13 Euro Mutterschaftsgeld von der Krankenkasse plus Arbeitgeber­zuschuss in Höhe der Differenz zum durchschnittlichen kalendertäglichen Nettoarbeitsentgelt

Minijobberinnen, die Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse ohne Krankengeld­­anspruch sind (zum Beispiel Studentinnen)

Pro Tag bis zu 13 Euro Mutterschaftsgeld von der Krankenkasse, gegebenenfalls Arbeitgeberzuschuss in Höhe der Differenz zwischen 13 Euro und dem durchschnitt­lichen kalendertäglichen Nettoarbeits­entgelt

Minijobberinnen, die nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind (z. B. Familienversicherte)

Mutterschaftsgeld von einmalig bis zu insgesamt 210 Euro durch das Bundesamt für Soziale Sicherung plus Arbeitgeber­zuschuss in Höhe der Differenz zwischen 13 Euro und dem durchschnittlichen kalendertäglichen Nettoarbeitsentgelt

In der privaten Krankenversicherung versicherte Beschäftigte

Mutterschaftsgeld bis zu insgesamt 210 Euro durch das Bundesamt für Soziale Sicherung plus Arbeitgeberzuschuss in Höhe der Differenz zwischen 13 Euro und dem durchschnitt­lichen Nettoarbeitsentgelt, gegebenenfalls ergänzend verein­bartes Krankentagegeld

Besonderen Kündigungsschutz bei schwangeren Mitarbeitern beachten

Während der Schwangerschaft und bis vier Monate nach der Geburt dürfen Arbeitnehmerinnen nicht gekündigt werden. Das ergibt sich aus § 17 MuSchG. Der besondere Kündigungsschutz greift selbst dann, wenn die Frau die Kündigung zu einem Zeitpunkt erhält, zu dem sie selbst noch nicht weiß, dass sie ein Kind erwartet. In diesem Fall greift § 5 Abs. 1 S. 2 des Kündigungsschutzgesetzes. Danach kann eine Arbeitnehmerin, die erst nach Ablauf der Klagefrist Kenntnis von ihrer Schwangerschaft erlangt, einen Antrag auf nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage stellen. Dafür hat sie zwei Wochen lang Zeit – gerechnet ab dem Tag, an dem sie von der Schwangerschaft erfährt. Auch wenn die Schwangere sich noch in der Probezeit befindet, ist sie in besonderer Weise vor Kündigung geschützt - mehr dazu lesen Sie hier.

Rechtliche Folgen bei Verstößen

Das Mutterschutzgesetz ist für Arbeitgeber bindend. Verstöße – etwa durch unterlassene Gefährdungsbeurteilung oder rechtswidrige Beschäftigung trotz Gefährdung – gelten als Ordnungswidrigkeit und können mit Bußgeldern von bis zu 30.000 Euro geahndet werden (§ 32 MuSchG). Kommt es darüber hinaus zu gesundheitlichen Schäden, drohen haftungsrechtliche Konsequenzen.

Ein verantwortungsvoller und vorausschauender Umgang mit Mutterschutzregelungen ist daher nicht nur aus ethischer Sicht geboten, sondern auch rechtlich zwingend. Ärztliche Leitungskräfte und Personalverantwortliche sind gut beraten, sich regelmäßig fortzubilden und bei Unsicherheiten juristischen oder arbeitsmedizinischen Rat einzuholen.

Quelle:

u.a. https://www.gesetze-im-internet.de/muschg_2018/, https://www.bgw-online.de, https://www.bmfsfj.de, https://dserver.bundestag.de/btd/20/102/2010234.pdf

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