Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Recht

Ein 14-jähriges Mädchen leidet seit seiner Geburt unter seiner Central-Core-Myopathie. Da die Wirbelsäule inzwischen stark verkrümmt ist, unterzieht sich der Teenager einer Korrekturspondylodese. Während der Operation verliert die junge Patientin so viel Blut, dass der Hämoglobinwert deutlich abfällt und der Kreislauf des Mädchens instabil wird.

Dennoch deutet zunächst alles auf einen Erfolg des Eingriffs hin. Beim intraoperativen Aufwachtest kann das Mädchen alle Extremitäten auf Anforderung bewegen. Auch nach der postoperativen Verlegung auf die Intensivstation dokumentieren die Ärzte noch eine kräftige Beugung und Streckung beider Beine sowie kräftige Bewegung beider Arme.

Zentraler Venenkatheter endet im Spinalkanal

Wegen ihres kreislaufinstabilen Zustands legt der Oberarzt für Anästhesie ihr wenig später einen zentralen Venenkatheter. Dessen Ende kam allerdings nicht, wie beabsichtigt, in der Hohlvene vor dem Vorhof des Herzens zum Liegen, sondern – mit Eintritt über das Neuroforamen (BWK 1/2) – im Spinalkanal.  Diese wurde jedoch erst am Morgen des nächsten Tages im Rahmen einer Nachbefundung des in der Nacht erstellten CT festgestellt.

Zwar entfernten die diensthabenden Ärzte den Katheter und führte nach weiterer Diagnostik, unter anderem durch ein MRT und eine Dekompressionsoperation durch. Diese Maßnahmen kamen jedoch zu spät. Die Patientin ist unterhalb C4 querschnittsgelähmt, ab C7 ist die Lähmung vollständig.

Ausschluss typischer Fehllagen genügt nicht

Der Fall landete vor dem OLG München, das der jungen Frau ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000 € zusprach (Az. 1 U 2237/17).

Der Senat stützte sich dabei auf die Bewertung des medizinischen Sachverständigen. Dieser führte aus, dass der primäre Fehlervorwurf gegen die befundenden Ärzte nicht dahin gehe, dass sie die singuläre Fehllage des zentralen Venenkatheters nicht erkannt haben. Vielmehr sei den Ärzten vorzuwerfen, dass Sie dem Katheter insgesamt eine typische Lage zuschrieben, obwohl er diese nach der Röntgenkontrollaufnahme gerade nicht hatte und man sich auf den Ausschluss eines Pneumothorax als einer typischen Fehllage beschränkt hatte.

Als groben Behandlungsfehler werteten es die Richter, dass das Mädchen postoperativ mit Sufentanil und Propofol sediert worden war – und damit deutlich überdosiert. Eine neurotoxische Wirkung und damit eine direkte Mitwirkung an der Querschnittslähmung sei durch die übermäßige Sedierung zwar nicht entstanden. Wohl aber habe diese die Kontrolle des neurologischen Status der Patientin zumindest zeitweise beeinträchtigt.

Schwerste Folgen rechtfertigen ein hohes Schmerzensgeld

Durch die Querschnittslähmung ist die junge Frau in ihrem gesamten Leben in schwerster Art beeinträchtigt. Sie wird dauerhaft, Tag und Nacht, auf fremde Hilfe auch in intimsten Bereichen angewiesen sein. Zudem hat sie immer wieder mit Schmerzen und erheblichen Ängsten zu kämpfen. Dies rechtfertige ein sehr hohes Schmerzensgeld.

Andererseits berücksichtigt der Senat, dass die junge Frau auch bei erfolgreicher Aufrichtungsoperation und aufgrund ihrer Vorerkrankung kein völlig gesundes Leben hätte führen können. Im Rahmen eines solchen Gefüges seien 500.000 € sachgerecht, auch, weil Schmerzensgeld in Fällen der Arzthaftung aufgrund Behandlungsfehlern selbst bei allerschwersten Beeinträchtigungen die Schallgrenze von (derzeit) 600.000 € nicht überschreiten sollte. Dies sei geboten, um das Haftungsrisiko in diesem Bereich überhaupt noch kalkulierbar und versicherbar zu halten.