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Recht

Mit 64 Jahren noch einmal eine neue Chefarzt-Stelle antreten, während die Familie am anderen Ende Deutschlands wohnt? Diese Entscheidung hätten wohl nicht viele getroffen. Ein Orthopäde aus Süddeutschland jedoch heuerte am 01.01.2020 bei einer Reha-Klinik in Stralsund an – etwa 1000 Kilometer von seinem Familienwohnsitz entfernt.

Von Dauer war das Arbeitsverhältnis jedoch nicht. Der Mann kündigte seinen Vertrag bereits Mitte 2021 – fristgerecht mit Wirkung zum 28.02.2022. Ab dem 1.03.2022 stand er bereits in einer anderen Klinik, diesmal in der Nähe seiner Familie, unter Vertrag.

Wenig später häuften sich die Krankheitstage des Mannes. Erst fehlte der Chefarzt 35 Tage wegen einer Anpassungsstörung, danach folgten zahlreiche Kurzerkrankungen, etwa wegen Impfnebenwirkungen, einer Gastroenteritis oder einer Migräneattacke.

Klinik erkennt AU nicht an und verweigert Lohnfortzahlung

Kurz vor dem Ende seines Arbeitsverhältnisses meldete sich der Chefarzt erneut krank, ließ sich eine Krankschreibung bis zum Antritt seines Resturlaubs ausstellen – und trat bereits am ersten Tag seiner Erkrankung die Heimfahrt nach Süddeutschland an, wo er ab 1. März seine Folgeanstellung als Oberarzt in einer Klinik antrat.

Die Klinik in Stralsund weigerte sich vor diesem Hintergrund, dem einstigen Kollegen für die Zeit seiner letzten Krankheit noch Lohn zu bezahlen. Sie zweifelte am Beweiswert der vorgelegten AU und argumentierte: Wer am ersten Krankheitstag eine zehnstündige Bahnfahrt unternehmen könne, der könne nicht arbeitsunfähig krank sein.

Der Fall wurde streitig und landete vor dem Landesarbeitsgericht Rostock. Dort entschieden die Richter jedoch zugunsten des (früheren) Chefarztes. Dieser habe trotz der Bahnfahrt während seiner Krankheit einen Anspruch auf Zahlung des einbehaltenen Lohnes gehabt.

Im Zug, so das Gericht, bestehe, zumal in der ersten Klasse, die Möglichkeit, eine entspannte Körperhaltung einzunehmen und sich bei Bedarf etwas zu bewegen. Als Chefarzt in der Klinik hingegen müsse er den ganzen Tag konzentriert arbeiten. Die beiden Tätigkeiten seien folglich nicht vergleichbar und der Beweiswert der AU folglich auch nicht erschüttert (Az. 5 Sa 1/23).

Wie Arbeitgeber den Beweiswert einer AU erschüttern können

Das bedeutet allerdings nicht, dass (ärztliche) Arbeitgeber sich nicht gegen erkennbare Gefälligkeitsatteste wehren können. Um den Beweiswert einer AU zu erschüttern, müssen aber belastbare Tatsachen vorliegen, die erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers belegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist das zum Beispiel der Fall, wenn ein Arbeitnehmer zeitgleich mit seiner Kündigung eine AU-Bescheinigung einreicht, die die noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses exakt abdeckt (BAG, Az. 5 AZR 149/21).