Können Ärzte in Weiterbildung gegen ihren Willen in einer Anstellung gehalten werden?
A&W RedaktionIst es zulässig, eine Ärztin während der Facharztausbildung für 42 Monate an ihren Arbeitgeber zu binden? Diese Frage musste vor Kurzem das LAG Baden-Württemberg beantworten. Die Entscheidung fiel eindeutig aus.
Wer einen befristetet Arbeitsvertrag unterschreibt, der eine ordentliche Kündigung nicht ausdrücklich erlaubt, kann sich nur aus wichtigem Grund aus dem Arbeitsverhältnis lösen. Soweit der arbeitsrechtliche Standard. Doch was gilt im umgekehrten Fall? Etwa, wenn der Vertrag einer Assistenzärztin eine Klausel enthält, die die ordentliche Kündigung während der gesamten Facharztausbildung ausdrücklich untersagt? Das LAG Baden-Württemberg vertritt dazu eine klare Linie (Az. 1 Sa 12/21).
Im konkreten Fall hatte eine Assistenzärztin ihren früheren Arbeitgeber, ein MVZ, verklagt. Die Frau war dort seit Februar 2016 beschäftigt. Mit Antritt des Arbeitsverhältnisses begann sie den ersten Abschnitt ihrer 60-monatigen Weiterbildung zur Fachärztin für Dermatologie und Venerologie nach der damaligen Weiterbildungsordnung der Ärztekammer des Landes Baden-Württemberg.
Die Befugnis des MVZ zur Weiterbildung erstreckte sich auf 30 Monate ambulante Versorgung und zwölf Monate stationäre Versorgung. Nach Ablauf dieses 42-Monats-Zeitraums hätte die Ärztin also ihre Weiterbildung bei einem anderen Träger fortführen müssen. Deutlich vor Ablauf der 42 Monate, nämlich zu Ende Februar 2018 kündigte die Frau jedoch aus familiären Gründen.
Ausschluss der ordentlichen Kündigung für volle 42 Monate?
Ihr Arbeitgeber hielt das für unzulässig und argumentierte mit einer Klausel im (vorformulierten) Arbeitsvertrag. Die ordentliche Kündigung war danach für die gesamte Vertragslaufzeit ausgeschlossen. Nach Ablauf der Probezeit war eine Kündigung daher erst wieder nach 37 Monaten, zum Ende der Weiterbildung möglich. Mehr noch: Für den Fall einer dennoch ausgesprochenen, vertragswidrigen Kündigung sah der Kontrakt eine Vertragsstrafe von drei Bruttomonatsgehältern vor. Die besagte Assistenzärztin verdiente damals 4.435,00 Euro brutto im Monat.
Im Zuge der Auseinandersetzung mit der wechselwilligen Kollegin verweigerte das MVZ die Auszahlung des anteiligen Gehalts für Februar 2018. Die Ärztin klagte auf Zahlung. Der Arbeitgeber erhob Widerklage auf Zahlung der Vertragsstrafe.
Unangemessene Benachteiligung
Das Gericht teilte jedoch die Rechtsauffassung der Frau und verurteilte das MVZ auf Zahlung des ausstehenden Lohns. Die Widerklage auf Zahlung der Vertragsstrafe hingegen wurde abgewiesen.
Zur Begründung führte das Gericht unter anderem aus, dass der Ausschluss der ordentlichen Kündigung für die gesamte Weiterbildungszeit eine unangemessene Benachteiligung der jungen Ärztin darstelle und daher unwirksam sei. Zum Hintergrund: Eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt immer dann vor, wenn eine Vertragspartei durch eine einseitige Vertragsgestaltung (wie hier durch den vorformulierten Arbeitsvertrag des MVZ) missbräuchlich die eigene Interessen auf Kosten der anderen Seite durchzusetzen versucht und dabei deren Belange nicht berücksichtigt bzw. keinen angemessenen Ausgleich für die entstehenden Nachteile gewährt.
Im konkreten Fall, so die Meinung des Gerichts, gehe die vereinbarte Regelung weit über die gesetzlichen und die tariflichen Kündigungsfristen von Ärzten hinaus. Dadurch würde es der Arbeitnehmerin massiv erschwert, ihren Job zu wechseln, etwa, wenn sie mit der Weiterbildung beim aktuellen Arbeitgeber unzufrieden sei. Das müsse sie nicht hinnehmen – und dürfe daher trotz der anderslautenden Klausel im Vertrag sanktionslos ordentlich kündigen.