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Politik

Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, hat zu Beginn der Veranstaltung die künftige Bundesregierung aufgefordert, ein Moratorium für die Telematikinfrastruktur zu verhängen. Digitale Anwendungen müssen praxistauglich sein und einen tatsächlichen Nutzen für die Versorgung der Patienten nachweisen. Man fordere intensive und flächendeckende Testphasen mit einer Dauer von mindestens zwölf Monaten. Erst dann dürften Anwendungen in den Praxisalltag eingeführt werden. Aus der Ärzteschaft hagelte es im Anschluss Berichte über massive technische Probleme mit der TI in den Arztpraxen. Der Workflow werde behindert und das Personal stark belastet.

„Die elektronische Patientenakte, das eRezept und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verändern die Arbeitsabläufe in Praxen und Kliniken nachhaltig. Ärztinnen und Ärzte werden dies nur akzeptieren, wenn die neuen Prozesse sicher, störungsfrei und zügig ablaufen“, erklärte auch Erik Bodendieck, Co-Vorsitzender des Ausschusses „Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung“ der Bundesärztekammer.

Fehlende praxistaugliche Qualität

Aktuell sei dies nicht sichergestellt. Bedenken oder sogar Warnungen zurückliegender Ärztetage habe die gematik ignoriert oder abgekanzelt. „Die Konsequenzen sehen wir jetzt. Die Testergebnisse sind mehr als ernüchternd“, betonte Bodendieck. Dass die Delegierten nun in einem der elf Beschlüsse zur Digitalisierung sogar ein Moratorium für die Einführung der Anwendungen fordern, zeige den Unmut der Ärzteschaft über die praxisuntaugliche Qualität.

Strukturen der gematik überarbeiten

Um einer nutzerorientierten Weiterentwicklung der Anwendungen der Telematikinfrastruktur zukünftig Rechnung zu tragen, forderte der Deutsche Ärztetag eine Neujustierung der Strukturen der gematik. „Jetzt rächt sich, dass die gematik die Anforderungen der Gesellschafter übergeht, die die Patientenversorgung verantworten. Diese Gesellschafter müssen einen stärkeren Einfluss haben“, so Bodendieck. Auch Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft (FÄ) und Delegierter, betont: “Praktikabilität, Sicherheit und Nutzen sind einfach nicht gegeben. Die Einführung der TI in ihrer aktuellen Ausgestaltung ist nicht nur dilettantisch, sondern auch gefährlich.”

FÄ warnt vor massiven Sicherheitsproblemen

Die Freie Ärzteschaft warnt seit Jahren vor solchen Entwicklungen, besonders im Hinblick auf Sicherheitsrisiken und unausgereifte Anwendungen wie elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, elektronisches Rezept und elektronische Patientenakte. “In einem schlecht gemachten System telematischer Vernetzung sind wir nicht mehr Herr der Lage – auch Kliniken und Praxen werden gehackt”, erläutert der FÄ-Chef. “Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik warnt ausdrücklich auch im Gesundheitswesen vor Hacking, Erpressung und Datenmissbrauch.”

Die Ärzteschaft kritisiert besonders die mangelnden Tests der TI und ihrer Anwendungen. Sie seien überhaupt nicht marktreif. Arztpraxen, Kliniken und Patienten müssten nun als Versuchskaninchen bei der Einführung der TI herhalten. “Das ist unverantwortlich, denn es behindert und beschädigt die medizinische Versorgung”, betont Dietrich. “Die künftige Bundesregierung muss die Schraube, die der scheidende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn weit überdreht hat, wieder zurückdrehen und die telematischen Anwendungen erst einmal sorgfältig überprüfen und testen.”