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E-Health

Elektronische Patientenakte (ePA), elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) und elektronisches Rezept (eRezept) – all diese Anwendungen seien bislang rein politisch gewollt und rein politisch sowie technisch umgesetzt. „Kein digitales Formular hat auch nur eine einzige medizinische Behandlung verbessert, stattdessen aber die ambulante medizinische Versorgung massiv erschwert. Und das in einer Pandemie“, fasste Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die Situation in den Arztpraxen auf der KBV-Vertreterversammlung zusammen. Ein Delegierter bestätigte: „Die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen haben keinen Einfluss auf den Stand oder die Funktionalität technischer Produkte. In den Praxen herrschen Zorn und Frust, weil nur wenig funktioniert von dem, was geliefert wurde“.

Vertragsärzte wollen Digitalisierung – aber nicht so

Die Vertragsärzteschaft wolle Digitalisierung. „Und zwar eine Digitalisierung, die der Versorgung der Menschen dient – und nicht eine, in der die Vertragsärztinnen und Psychotherapeuten versorgungsfremden politischen Ambitionen dienen“, bekräftigt Kriedel. Er bemängelt, dass sich die Digitalisierungspolitik in den vergangenen Jahren von dieser Versorgungsperspektive gelöst und verselbstständigt habe. Bei der Einführung der eAU und des eRezepts entscheide allein der medizinische Bedarf darüber, wie häufig sie zur Anwendung kommen. „Wir sprechen von 350.000 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und sogar von knapp zwei Millionen Verordnungen pro Tag! Da können wir uns nicht auch nur einen einzigen Tag leisten, unausgereifte Technik und Abläufe in die Praxen geschüttet zu bekommen“, sagt Kriedel.

Klares Votum für mehr Zeit

Einstimmig sprach sich die Vertreterversammlung vor diesem Hintergrund dafür aus, sowohl die Einführung des eRezeptes als auch die Verpflichtung zur Ausstellung der eAU zum 1. Januar zu verschieben. „Der KBV-Vorstand wird aufgefordert, umgehend und nachdrücklich ein Aussetzen der Verpflichtung einzufordern“, heißt es in den Anträgen. „Mit den augenblicklichen technischen Ressourcen sind die Maßnahmen undurchführbar“, lautete unisono die Begründung. Zugleich stellte die Vertreterversammlung klar, dass Ärzte und Psychotherapeuten nicht für Dinge sanktioniert werden dürfen, die sie nicht zu verantworten haben.

Kriedel forderte zudem eine Konsolidierungsphase, in der sich die bereits eingeführten oder angestoßenen Anwendungen in den Praxisabläufen etablieren können, bevor weitere Neuerungen eingeführt werden. Zudem sollte die komplette Betriebsverantwortung für die TI bei der gematik oder auf jeden Fall in einer Hand liegen. „Wir brauchen eine Ausfallsicherheit von 99,99 Prozent mit redundanten Strukturen als Sicherheitsnetz. Und zwar für alles, was zum Betrieb der TI zählt. Wenn der Gesetzgeber schon alle in die TI zwingt, dann muss er auch dafür sorgen, dass alle die TI zuverlässig nutzen können“, so Kriedel. „Sollte die gematik das nicht selbst schaffen, muss die Politik vielleicht über eine Art TÜV für alles nachdenken, was in die Telematikinfrastruktur (TI) und damit auch in die Praxis soll“, fordert Kriedel.

Die KBV werde sich für ein Frühwarnsystem bei Störungen einsetzen, aus dem die Praxen direkt erkennen können, ob die Störung aus der TI komme oder mit ihrem Praxisverwaltungssystem zusammenhänge. „In den zurückliegenden Wochen gab es 15 Störungen in der TI. Im Schnitt dauerte es siebeneinhalb Stunden, bis sie behoben waren. Das entspricht zusammengenommen grob fünf Millionen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und fast 30 Millionen Verordnungen!“, bekräftigt Kriedel.

Ärztliches Berufsgeheimnis in Gefahr

Mit ihrer eigenen IT-Strategie distanziere sich die KBV zudem klar von der aktuellen Strategie „TI 2.0“ der gematik. „Die gematik-Strategie stellt wieder vor allem die Technik-Perspektive an den Anfang aller Überlegungen. Eine Gefahr sieht das KBV-Vorstandsmitglied zudem in der sogenannten E-Evidence-Verordnung, die auf EU-Ebene kurz vor der Verabschiedung steht. Geplant ist, dass Ermittlungsbehörden anderer EU-Staaten bei Verdacht auf gewisse Straftaten auch die Herausgabe medizinischer Daten verlangen können. Kriedel: „Wir sehen hier nichts weniger in Gefahr, als das ärztliche Berufsgeheimnis. Das lehnen wir entschieden ab!“

Die KBV versucht über die Ärzteverbandsvertretung CPME in Brüssel positiv einzuwirken und hat auch das BMG kontaktiert. „Wir hoffen, dass Parlament und Rat hier noch zu einer Einigung finden, die dem deutschen Datenschutz und der ärztlichen Schweigepflicht entspricht. Ansonsten nämlich ist in Deutschland nicht nur die ePA in Gefahr – sondern die Digitalisierung insgesamt“, so Kriedel.

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