Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Geldanlagen

Herr Schlösser, was ist der wichtigste Faktor für die Entwicklung von Aktienkursen?

© VBank

Titus C. Schlösser: Das ist eindeutig die Erwartung der Gewinnentwicklung eines Unternehmens. Legen die Gewinne zu oder steigen sogar deutlich, dann sind die Anleger meist bereit, höhere Preise für die Aktie zu zahlen, was vollkommen logisch ist. Fallen die Erwartungen an die künftigen Gewinne eines Unternehmens und glaubt der Markt, dass dies dauerhaft ist, fällt sein Aktienkurs.

Inwiefern ist das logisch?

Titus C. Schlösser: Angenommen, der Gewinn einer Aktie mit einem Kurs von 100 Euro lag bei fünf Euro und steigt auf zehn Euro. Damit steigt die Aktienrendite um 100 Prozent. Wenn das Kurs-Gewinn-Verhältnis weiter bei 20 bleibt (100 geteilt durch 5), weil der Markt von einer dauerhaften Gewinnsteigerung ausgeht, kann auch der Aktienkurs um 100 Prozent – also auf 200 Euro – steigen. Die Aktienrendite bliebe bei einem Kurs von 200 Euro gleich (200 geteilt durch 10).

Ist die Gewinnentwicklung der einzige Faktor?

Titus C. Schlösser: Das nicht, aber sie ist ein wesentlicher Faktor. Der Aktienmarkt bewertet jedes Geschehen stets im Hinblick darauf, was dies für die Gewinne der Unternehmen bedeuten könnte. Dazu gehören etwa geopolitische Krisen, die Energieträger wie Rohöl oft spürbar verteuern, sowie Zinssenkungen oder Zinserhöhungen der Notenbanken, die zu mehr oder weniger Liquidität am Markt führen.

Welche weiteren Faktoren wirken sich auf Aktienkurse aus?

Titus C. Schlösser: Ganz klar technologische Innovationen. Sie erhöhen die Produktivität, treiben den Fortschritt an und führen dazu, dass neue Unternehmen/Branchen entstehen und andere in den Hintergrund treten. Das sehen wir derzeit bei Themen wie Künstliche Intelligenz (KI). Denken Sie etwa an Nvidia: Der Kurs dieses KI-Gewinners hat sich seit Herbst 2022 in der Spitze fast verzehnfacht.

Wenn ich Sie recht verstehe, handelt der Markt also rational. Wie passt dazu, dass es zu Übertreibungen nach oben und unten kommt – wie in der Dot-Com-Bubble 2000 oder in der Finanzkrise 2008/09?

Titus C. Schlösser: Langfristig ist der Markt rational, auf kurze Sicht kann es aber irrational zugehen. Einerseits ist der Aktienmarkt so etwas wie ein kollektiver Mechanismus, der den Wert von Unternehmen in der Zukunft bestimmen will, indem er permanent Chancen und Risiken abwägt.

Andererseits aktiviert genau diese Unsicherheit bei so gut wie allen Anlegern Emotionen wie Gier und Angst. Wenn viele Menschen auf eine bestimmte Weise empfinden und handeln, verstärkt das Trends nach oben oder unten für eine begrenzte Zeit.

Autor: Jürgen Lutz