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Recht

Die Zahl der Verdachtsfälle auf Behandlungsfehler in Deutschland bleibt hoch: Im Jahr 2024 wurden nach Angaben des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes der Kassen (MDS)14.238 Verdachtsfälle geprüft, in 3.891 Fällen wurde der Fehler bestätigt. Besonders betroffen sind weiterhin operative Fächer, Orthopädie, Allgemeinmedizin und Pflege. Die hohe Zahl zeigt: Jeder Mediziner kann von entsprechenden Vorwürfen betroffen sein – unabhängig vom Fachgebiet.

Warum steigen die Fallzahlen?

Die Zahl der Verdachtsfälle auf Behandlungsfehler ist seit Jahren konstant hoch. Das liegt nicht nur an der tatsächlichen Fehlerquote, sondern auch an gesellschaftlichen und rechtlichen Entwicklungen. Die folgenden Faktoren führen dazu, dass Ärztinnen und Ärzte heute häufiger mit Vorwürfen konfrontiert werden – unabhängig davon, ob sich der Verdacht am Ende bestätigt:

  • Gestiegene Patientenrechte und Aufklärung: Seit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes 2013 sind Patient:innen besser über ihre Rechte informiert und können Verdachtsfälle leichter prüfen lassen.

  • Zunahme der öffentlichen Aufmerksamkeit: Medienberichte über spektakuläre Schadensfälle und hohe Entschädigungssummen haben die Sensibilität in der Bevölkerung erhöht.

  • Stärkere Patientenbeteiligung: Patienten treten selbstbewusster als früher auf, stellen häufiger Nachfragen und fordern eine transparente Kommunikation ein. Auch ist die Möglichkeit, als Laie an Fachinformationen zu kommen, heute deutlich größer: Durch das Internet sind Patienten besser informiert und stellen Diagnosen und Ergebnisse eher in Frage.

  • Niedrigere Hürden für die Begutachtung: Die Einbindung des Medizinischen Dienstes und die Möglichkeit, Gutachten relativ unkompliziert einzuholen, haben dazu geführt, dass mehr Verdachtsfälle gemeldet werden.

Wie sollten Ärztinnen und Ärzte im Haftungsfall richtig reagieren?

Wird ein Behandlungsfehler vermutet oder droht ein Patient mit rechtlichen Schritten, ist ein besonnenes und strukturiertes Vorgehen entscheidend. Schon kleine Fehler im Umgang mit dem Vorwurf können weitreichende Folgen für den Versicherungsschutz und die eigene rechtliche Position haben. Die folgenden Schritte helfen, Risiken zu minimieren und professionell zu reagieren.

1. Ruhe bewahren und keine vorschnellen Schuldeingeständnisse

Auch wenn der Druck groß ist: Geben Sie gegenüber Patient:innen oder Angehörigen keinen Fehler zu. Ein vorschnelles Schuldanerkenntnis kann als Haftungsanerkenntnis gewertet werden und den Versicherungsschutz gefährden. Sprechen Sie offen über den Behandlungsverlauf, aber vermeiden Sie jede Form von Zugeständnis oder Spekulation zur Haftung und Schadenshöhe.

2. Sofortige Information der Berufshaftpflichtversicherung

Melden Sie jeden ernsthaften Vorwurf oder die Androhung rechtlicher Schritte umgehend Ihrer Berufshaftpflichtversicherung. Überlassen Sie die weitere Kommunikation mit Patient:innen oder deren Anwalt möglichst dem Versicherer. Viele Policen verlangen eine sofortige Meldung – Verzögerungen können den Versicherungsschutz gefährden.

3. Dokumentation und interne Kommunikation

Führen Sie eine lückenlose und zeitnahe Dokumentation des Behandlungsverlaufs. Diese ist im Streitfall Ihr wichtigstes Beweismittel. Bei Anstellung in Klinik oder MVZ informieren Sie Ihre Vorgesetzten und ggf. die Rechtsabteilung. Nutzen Sie interne Qualitätsmanagement-Prozesse für den Umgang mit Behandlungsfehlervorwürfen.

4. Eigener Anwalt – nur in Absprache

Wenn Sie einen eigenen Rechtsbeistand einschalten möchten, stimmen Sie dies vorher mit Ihrer Versicherung ab, um keine Deckungsprobleme zu riskieren.

5. Fehleranerkenntnis nur mit Beweis

Ein Fehler kann in Ausnahmefällen zugegeben werden, ohne den Versicherungsschutz zu verlieren – aber nur, wenn Sie nachweisen können, dass das Anerkenntnis berechtigt war (Beweisumkehr).

6. Psychische Belastung nicht unterschätzen

Vorwürfe wegen Behandlungsfehlern sind für viele Ärztinnen und Ärzte eine erhebliche psychische Belastung. Nutzen Sie Supervision, kollegiale Beratung oder psychosoziale Unterstützungsangebote. Bleiben Sie für den Patienten erreichbar, verweisen Sie bei allen Fragen zur Schadensregulierung aber konsequent auf Ihre Haftpflichtversicherung.

Typische Fehler im Haftungsfall: Was Ärztinnen und Ärzte vermeiden sollten

Trotz guter Vorbereitung passieren im Ernstfall immer wieder typische Fehler, die vermeidbar sind und die eigene Position schwächen können:

  • Keine eigenmächtigen Zahlungen oder Vergleiche mit Patientinnen oder Patienten vereinbaren.

  • Keine Unterlagen herausgeben ohne Rücksprache mit der Versicherung oder Rechtsabteilung.

  • Keine Kommunikation mit Medien ohne professionelle Unterstützung.

  • Keine unvollständige oder verspätete Dokumentation des Behandlungsverlaufs.

  • Nicht auf eigene Faust einen Anwalt einschalten, ohne dies mit dem Versicherer abzustimmen.

Hinweis: Dieser Beitrag dient der allgemeinen Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Für konkrete Fälle wenden Sie sich bitte an Ihre Berufshaftpflichtversicherung oder einen Fachanwalt für Medizinrecht.

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