Angst vor Regressen: Rechtsanwältin verrät, wie Ärzte ihre Risiken minimieren können
A&W RedaktionUnsere Expertin:
Fast die Hälfte der Vertragsärzte in Deutschland fürchten folgenschwere Prüfungen der KV. Zu Recht? Die Starnberger Rechtsanwältin Isabel Häser mahnt zur Umsicht, empfiehlt aber auch, die eigenen Rechte offensiv zu verteidigen.
Bereits Studierende haben Angst vor Regressen. Das geht aus dem aktuellen Berufsmonitoring der KBV hervor: 46,7 Prozent der Befragten gaben an, dass sie die Angst vor Regressforderungen von einer Niederlassung abhalte. Ist diese Angst berechtigt? Und wenn ja: Welche Fachgruppen tragen ein besonders hohes Risiko?
Dr. jur. Isabel Häser: Ich würde nicht von berechtigter Angst sprechen, aber mit dem Thema beschäftigen muss man sich auf jeden Fall. Allerdingst ist zu unterscheiden: Geht es um Honorar- oder Arzneimittelregresse? Erstere sind in der Regel sehr individuell, hier kann man nicht davon sprechen, dass bestimmte Fachgruppen stärker gefährdet sind. Anders sieht es bei Arzneimittelregressen aus. Hier sind naturgemäß vor allem Fachgruppen im Fokus, die teure Verordnungen (z.B. wegen häufigeren Einsatzes von innovativen Arzneimitteln) ausstellen (müssen). Eine wichtige Rolle spielt aber auch die Zusammensetzung der Patientenklientel der jeweiligen Praxis.
Eine umfassende Dokumentation gilt als unabdingbar, um im Fall der Fälle belegen zu können, warum z.B. eine Abrechnung korrekt oder eine teure Arzneimittelverordnung erforderlich war. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang eine moderne Praxis-EDV?
Häser: Eine stichhaltige Dokumentation ist meiner Meinung nach der beste Regressschutz. Meine Erfahrung ist, dass die Praxis-EDV hier leider nicht allzu viel weiterhilft, da es sich ja um individuelle Dokumentationen handelt. Hier gibt es aber einige Tipps, die die lästige Dokumentation schneller machen, zum Beispiel Kürzelverzeichnisse oder die Verwendung standardisierter Kürzel. Aktuell finden viele Honorarprüfungen statt, die den Fokus auf die Dokumentation der Ärzte legen. Ich persönlich finde die Anforderung von Seiten der Prüfgremien zum Teil überzogen, da sie nicht mehr realistisch umzusetzen sind. Ärzte sollten hier wachsam bleiben, sich nicht alles gefallen lassen und sich im Ernstfall auch zur Wehr setzen.
Was raten Sie konkret?
Häser: Eine Abrechnungsprüfung kann leider weitreichende Folgen haben, da ja im Hintergrund immer der stille Vorwurf mitschwingt, man könnte falsch abgerechnet oder gar betrogen haben. Außerdem kann es ggf. um viel Honorar gehen, das zurückgefordert wird. Häufig beginnen Abrechnungsprüfungen ganz harmlos und werden dann immer weiter ausgeweitet. Deshalb sollten Ärzte sich gleich zu Beginn anwaltlich vertreten lassen.
Gibt es überhaupt eine seriöse Möglichkeit, um sich vor einem Regress umfassend zu schützen?
Häser: Einen umfassenden Schutz gibt es nicht. Fehler passieren überall, das ist menschlich und sie führen auch nicht immer zu Regressen. Eine gute Dokumentation ist aber in jedem Fall schon Mal ein guter Anfang. Wichtig ist es zudem, dass Ärzte ihren eigenen Honorarbescheid verstehen und regelmäßig auf Auffälligkeiten (z.B. erhebliche Abweichungen von der Fachgruppe) prüfen. Wenn man das nicht selbst machen will, kann man diese lästige Aufgabe auch (z.B. an den fachkundigen Anwalt) „outsourcen“. Das kostet zwar Geld – spart aber auf lange Sicht vermutlich deutlich mehr. Ein weiterer Weg, um Regresse möglichst zu verhindern, ist die Überprüfung von Zeitprofilen und EBM-Leistungslegenden. Im Arzneimittelbereich sollten sich Niedergelassene vor allem intensiv mit den mittlerweile durchaus aussagekräftigen Trendmeldungen beschäftigen.
Was bringen Regressschutzversicherungen?
Hier bin ich skeptisch. Wer sich damit besser fühlt, sollte aber in jedem Fall auf das Kleingedruckte achten, sonst zahlt er womöglich viel Geld für nichts.
Welche Ratschläge geben Sie Berufsanfängern mit auf den Weg?
Häser: Ihnen rate ich immer, sich am besten schon vor der Niederlassung einen „Workshop“ beim Fachanwalt zu gönnen, um die größten Risiken und wichtige Vermeidungsstrategien kennenzulernen. Ist man erstmal in der Mühle drin, hat man dafür keine Zeit mehr und muss unter Umständen für vermeidbare Fehler später zahlen.
Und was gilt für alte Hasen?
Häser: Viele meiner Mandanten haben momentan Probleme mit den neuen Abrechnungsmöglichkeiten nach dem TSVG – trotz einer Informationsflut durch die eigene KV. Mein Tipp lautet auch hier: nicht durchwurschteln, sondern einmal klären und dann richtig machen.
Apropos TSVG: Inwieweit verändert das neue Gesetz die Rechtslage für niedergelassene Ärzte (im Hinblick auf Regresse)?
Häser: Das TSVG hat hier tatsächlich einige wichtige Änderungen zugunsten der Ärzte gebracht. So wurde z.B. die Frist für Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfungen von bisher vier auf jetzt zwei Jahre verkürzt. Festsetzungen von Honorarrückforderungen müssen jetzt innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheids erfolgen. Für Arznei- und Heilmittel müssen die Prüfungen spätestens zwei Jahre nach Ende des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet wurden, abgeschlossen sein. Ärzte können also viel schneller reagieren, wenn Sie wirklich mal etwas falsch gemacht haben sollten.
Mein persönliches Highlight ist aber, dass im Falle eines Regresses von Arznei- oder Heilmitteln künftig nur noch der Differenzbetrag zwischen unwirtschaftlicher und wirtschaftlicher Leistung gezahlt werden muss und nicht mehr die gesamten als unwirtschaftlich beurteilten Leistungen. Hierdurch werden die Regresssummen in diesen Bereichen deutlich sinken.
Das heißt, das Schlimmste ist überstanden?
Häser: Auch hier ist zu unterscheiden: Man kann auf jeden Fall sagen, dass die Gefahr eines existenzbedrohenden Arzneimittelregresses stark gesunken ist. Im Honorarbereich hingegen stelle ich aktuell verstärkte Prüfungen fest, hier sollten Ärzte regelmäßig eine „interne Revision“ machen, ob alles richtig läuft.
Unsere Expertin: Dr. Isabel Häser ist Fachanwältin für Medizinrecht in Starnberg. Kontakt und weitere Informationen: https://www.kanzlei-haeser.de/