Dürfen Hausärzte ohne Schwerpunktbezeichnung auch fachärztliche Leistungen erbringen?
Judith MeisterHausärzte erbringen hausärztliche und Fachärztinnen fachärztliche Leistungen. So weit, so einfach. Doch sollte es von dieser Regel nicht zumindest Ausnahmen geben? Etwa, wenn der Bedarf sich anders nicht decken lässt und der betreffende Arzt die nötige Qualifikation besitzt? Diese Fragen beschäftigten vor Kurzem das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg.
Engagierte Hausärzte sind für ihre Patienten ein Segen. Den Medizinern selbst kann ein überdurchschnittliches Arbeitsethos allerdings viel Ärger mit der Standesvertretung einbringen. So auch in einem Rechtsstreit, der vor Kurzem das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg beschäftigte (LSG Berlin-Brandenburg, Az. L 7 KA 41/21).
Verzicht auf Facharzttitel um vertragsärztlich arbeiten zu können
Im konkreten Fall ging es um einen hausärztlich tätigen Internisten in Berlin. Der Mann war zwar berechtigt, die Schwerpunktbezeichnungen Angiologie und Kardiologie sowie die Zusatzbezeichnung Phlebologie zu führen. Er verzichtete allerdings bei seiner Wahlentscheidung (Zulassung zur hausärztlichen Versorgung) auf das Recht, seine Schwerpunktbezeichnungen zu führen. Andernfalls hätte er nicht in dem wegen Überversorgung gesperrten Planungsbereich als Vertragsarzt arbeiten können.
Im Rahmen der hausärztlichen Tätigkeit des Arztes zeigte sich schnell, dass ein erheblicher Bedarf für sonographische Gefäßuntersuchungen mittels Duplexverfahren bestand. Der Arzt beantragte daher beim Zulassungsausschuss Berlin die Erlaubnis, diese Leistungen erbringen und entsprechend abrechnen zu dürfen, auch wenn sie grundsätzlich dem fachärztlichen Bereich zugeordnet sind.
Wahlentscheidung als unumstößliche Festlegung?
Der Ausschuss lehnte das Begehr ab. Das Argument: Aufgrund seiner Wahlentscheidung sei der Mediziner den Hausärzten zuzuordnen. Er dürfe daher keine facharztspezifischen Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erbringen – auch nicht ausnahmsweise.
Der Arzt wollte das nicht hinnehmen und legte Widerspruch gegen die Entscheidung ein. Dieser blieb zwar – ebenso wie seine Klage zum Sozialgericht Berlin – erfolglos. Vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg wendete sich das Blatt dann allerdings.
Landessozialgericht: Bedarf der Patienten hat Vorrang
Das LSG entschied: Arbeitet ein hausärztlich tätiger Internist ohne Schwerpunktbezeichnung, kann er eine zusätzliche Zulassung zur Erbringung bestimmter, einzeln benannter fachärztlicher Gebührenordnungspositionen (hier: Sonografien) nach § 73 Abs. 1a Satz 3 SGB V verlangen.
Grundsätzlich dürften Hausärztinnen und Hausärzte zwar nur hausärztliche Leistungen erbringen und abrechnen und Fachärztinnen und Fachärzte nur fachärztliche Leistungen (vgl. BSG, Az. B 6 KA 62/17 R). Ausnahmsweise können Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung aber für eine befristete Zeit auch fachärztliche Leistungen anbieten, wenn der Bedarf hierfür sich nicht anders decken lässt (§ 73 Abs. 1a Satz 3 SGB V).
Warum Ärzte die Entscheidung kennen sollten
Die Abgrenzung der Leistungen zwischen den Versorgungsbereichen von Haus- und Facharzt ist strikt. Allerdings stellt die Entscheidung klar, dass es auch Ausnahmen geben muss, wenn sich der Bedarf auf andere Weise nicht decken lässt. Ob eine solche Versorgungslücke besteht, ist im Wege einer Bedarfsanalyse zu ermitteln. Praxisinhaberinnen und Praxisinhaber, die eine zusätzliche Zulassung für das Erbringen solcher Leistungen erhalten wollen, sollten diese Analyse unterstützen, etwa, indem sie Belege für die nicht gedeckte Versorgung liefern. Auch Stellungnahmen von Kolleginnen und Kollegen können in diesem Zusammenhang hilfreich sein, ebenso wie Erfahrungsberichte von Patienten (etwa über Wartelisten oder Probleme bei der Terminvergabe).