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Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, brachte es in seinem Eröffnungsstatement beim 129. Deutschen Ärztetag in Leipzig auf den Punkt: „Vor einigen Jahren klang KI nach Science-Fiction, heute ist sie medizinische Praxis.“ Das klang nicht triumphal sondern eher wie eine Mahnung an die Delegierten. Datensicherheit, Transparenz und ärztlicher Verantwortung: Hier ging es nicht um den aktuellen KI-Hype, sondern um Richtlinien für die Zukunft: Was darf KI? Was muss sie können? Und wer haftet, wenn etwas schiefläuft?

Zwischen Fortschritt und Verantwortung: Der Standpunkt des Ärztetags

Es herrschte Einigkeit unter den ärztlichen Standesvertreterinnen und -vertretern, dass KI keineswegs pauschal abzulehnen ist. Im Gegenteil – sie sehen in ihr ein Mittel zur Effizienzsteigerung, zur besseren Diagnostik, zur zeitlichen Entlastung im Praxis- und Klinikalltag. Das bestätigte auch Prof. Dr. Aldo Faisal, Digital-Health-Forscher am Imperial College London und an der Universität Bayreuth sowie Mitglied im Deutschen Ethikrat, in seinem Grundsatzreferat: In Studien seien mithilfe von KI Risikopatienten identifiziert und so Todesfälle verhindert worden. „Daten retten Leben“, resümierte Faisal. Das Gesundheitssystem könne durch KI profitieren, doch der Einsatz müsse nach klaren Maßgaben erfolgen.

In einem einstimmig beschlossenen Leitantrag forderte der Ärztetag, dass jede KI-Anwendung in der Medizin evaluiert, validiert und unter Einhaltung des Datenschutzes eingesetzt werden muss. Insbesondere müsse die ärztliche Schweigepflicht unbedingt gewahrt bleiben. Auch dürfe der Einsatz von KI-Systemen niemals dazu führen, dass die Verantwortung für eine medizinische Entscheidung delegiert wird. Die Letztverantwortung müsse beim behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin verbleiben.

Priv.-Doz. Dr. Peter Bobbert, Co-Vorsitzender des BÄK-Ausschusses für Digitalisierung, sprach von einem notwendigen „Airbus-Moment“ für Europa. Gemeint ist ein souveräner, unabhängiger Weg in der KI-Entwicklung, vergleichbar mit dem europäischen Flugzeugprojekt, das einst als Antwort auf die US-Dominanz im Luftfahrtsektor entstand. „Wir brauchen Souveränität, Unabhängigkeit und ein echtes europäisches Projekt in der KI“, sagte Bobbert. Sonst drohe die Gesundheitsversorgung langfristig von den Plattformstrategien globaler Tech-Konzerne abhängig zu werden.

Was das Thesenpapier der Bundesärztekammer konkret fordert

Parallel zur Debatte auf dem Ärztetag hat die Bundesärztekammer ein detailliertes Thesenpapier vorgelegt: „Künstliche Intelligenz in der Gesundheitsversorgung“. Es handelt sich um ein wegweisendes Dokument, das nicht nur Ziele benennt, sondern auch Risiken konkretisiert und Handlungsfelder definiert. Es enthält vier zentrale Thesen:

  • Disruptive Veränderungen durch neue Akteure: Gemeint ist: Wenn Krankenkassen, Start-ups oder Tech-Konzerne mit KI-gestützten Angeboten direkt mit Patienten kommunizieren und Diagnostik oder Therapieempfehlungen aussprechen, dann verändert sich die Rolle der Ärzteschaft dramatisch. Die klassische Beziehung zwischen Arzt und Patient, über Jahrhunderte gewachsen, gerät in eine neue Dynamik. Die BÄK fordert, dass ärztliche Berufsgruppen bei der Gestaltung dieser neuen Versorgungsmodelle aktiv mitwirken und nicht nur reaktiv mit bestehenden Systemen umgehen.

  • Beschleunigung der Digitalisierung: Die Nutzung lernender Systeme sei jedoch nur dann sinnvoll, wenn die Datengrundlagen stimmen. Die elektronische Patientenakte (ePA), deren Infrastruktur derzeit ausgebaut wird, soll künftig als Datenbasis dienen – aber nur, wenn sie medizinisch relevante, strukturierte, interoperable Informationen enthalte. Die Sorge der BÄK: Wenn Ärztinnen und Ärzte gezwungen würden, Daten lediglich für Maschinen, nicht aber für ihre Kolleginnen und Kollegen zu strukturieren, droht eine Überlastung und ein Sinnverlust.

  • Effizienzsteigerung: Schon heute kommt KI in administrativen Prozessen zum Einsatz, etwa bei der Abrechnung, der medizinischen Dokumentation oder der Erstellung von Arztbriefen. Die BÄK erkennt das Potenzial, warnt aber vor falschen Anreizen: Der Zeitgewinn durch Automatisierung müsse der ärztlichen Kernaufgabe – der Versorgung von Patienten – zugutekommen. Eine Steigerung der Fallzahlen oder wirtschaftliche Rationalisierungsinteressen dürften kein vorrangiges Ziel sein.

  • Veränderung des Arzt-Patienten-Verhältnisses: Durch KI-gestützte Apps, Wearables und Symptom-Checker sind viele Patientinnen und Patienten heute besser informiert - oder glaubendas zumindest. Die Aufgabe der Ärzte wird sich dadurch verschieben, heißt es: Weg vom allwissenden Entscheider, hin zum Lotsen durch ein digitales Gesundheitsökosystem. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Kommunikation, digitale Gesundheitskompetenz und Empathie. Die ärztliche Rolle wird trotzdem nicht geschwächt, da sind sich die Vorreiter sicher, sie wird aber ganz sicher neu definiert.

Was Ärztinnen und Ärzte jetzt wissen und tun müssen

Künstliche Intelligenz ist im Alltag der Menschen längst angekommen – in der Medizin jedoch noch keine Selbstverständlichkeit. Als bloßes Zukunftsversprechen sollten Ärztinnen und Ärzte sie dennoch nicht mehr betrachten. Vielmehr ist jetzt der Moment, sich aktiv mit ihren Möglichkeiten und Grenzen auseinanderzusetzen. Prof. Dr. Ulrike Attenberger, Radiologin an der Medizinischen Universität Wien und Vorsitzende des BÄK-Arbeitskreises „KI in der Medizin“, sagt: „Wir sind nach wie vor in einem sehr frühen Stadium der Implementierung, maximal in der Pilotphase.“ Umso wichtiger sei es, schon jetzt verbindliche Standards zu entwickeln und die Ausbildung der jungen Mediziner entsprechend auszurichten. „Erfahrene Ärztinnen und Ärzte finden häufiger die Fehler in den Vorschlägen der KI , so dass die Systeme sinnvoll weiterlernen können.“

In der Praxis bedeutet das: Ärztinnen und Ärzte sollten sich aktiv mit den KI-Systemen auseinandersetzen, die sie einsetzen – ob in der Bildgebung, in der Spracherkennung oder bei der Befundung. Sie müssen lernen, wo die Grenzen solcher Systeme liegen, welche Daten sie benötigen, und wie man die Ergebnisse prüft. Die ärztliche Fortbildung steht im Grunde damit vor einer inhaltlichen Neuausrichtung: KI-Kompetenz wird zur medizinischen Schlüsselqualifikation.

Zugleich braucht es aber auch noch politische Rahmenbedingungen, die entsprechende Innovationen im Gesundheitswesen ermöglichen, ohne Qualität und Ethik zu opfern. Die Ärzteschaft hat mit dem Thesenpapier und den Beschlüssen des Ärztetags einen bemerkenswert klaren Vorschlag dazu gemacht – selten war eine berufsständische Position zu einem Technologiethema so ausgewogen, realistisch und vorausschauend.

Zwischen Aufbruch und Vorsicht

Künstliche Intelligenz wird die Medizin nicht ersetzen. Aber sie wird sie verändern – tiefgreifend, dauerhaft, unumkehrbar. Was der Ärztetag in Leipzig angestoßen hat, ist mehr als ein Positionspapier. Es ist der Versuch, diesen Wandel mit ärztlichem Verantwortungsbewusstsein zu lenken. Der Ball liegt jetzt bei der Politik, bei den Technologieanbietern – und bei der Ärzteschaft selbst. „Uns bleibt nicht mehr viel Zeit“, warnte Priv.-Doz. Dr. Peter Bobbert. Denn eines ist klar: Wer KI nur nutzt, ohne sie zu verstehen, wird zum Werkzeug fremder Interessen. Wer sie durchschaut, gestaltet mit – im Sinne einer Medizin, die menschlich bleibt, gerade weil sie technologisch fortschreitet.

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