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Die Schäden durch sogenanntes Fehlverhalten im Gesundheitswesen haben einen neuen Höchststand erreicht. In den Jahren 2022 und 2023 verzeichnete die gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung einen Schaden von über 200 Millionen Euro. Das berichtete der GKV-Spitzenverband kürzlich in seinem achten Bericht “Arbeit und Ergebnisse der Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen”. Zum Vergleich: In den Jahren 2020 und 2021 verzeichnete die Versicherung einen Schaden von 132 Millionen Euro.

Mehr Hinweise auf Fehlverhalten im Gesundheitswesen eingegangen

Fast die Hälfte der offenen Forderungen (92 Millionen) aus den Jahren 2022 und 2023 konnte dabei gesichert werden. Insgesamt gingen beim GKV-Spitzenverband 49.982 Hinweise ein, ein Anstieg von 21 Prozent, wie der Verband in einer Pressemitteilung berichtete. 7342 Hinweise waren interne Hinweise - also aus der eigenen Organisation - und 42.640 waren externe Hinweise. Lagen konkret überprüfbare Anhaltspunkte vor (etwa zu Tatbestand, Tatort oder Zeitraum), wurde ein eingegangener Hinweis zu einem Fall. Die Anzahl der verfolgten Fälle stieg um 7 Prozent (3433 Fälle). Weitere Informationen dazu, wie Fehlverhalten im Gesundheitswesen gemeldet werden kann, sowie ein Online-Formular für Hinweise an den GKV-Spitzenverband finden Sie hier. Auch die Krankenkassen haben Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen, bei denen Hinweise gemeldet werden können.

Was bedeutet "Fehlverhalten im Gesundheitswesen"?

Der Begriff “Fehlverhalten im Gesundheitswesen” bezieht sich laut § 197a Absatz 1 SGB V auf Fälle und Sachverhalte, “die auf Unregelmäßigkeiten oder auf rechtswidrige oder zweckwidrige Nutzung von Finanzmitteln im Zusammenhang mit den Aufgaben der jeweiligen Krankenkasse oder des jeweiligen Verbandes hindeuten”. Insbesondere geht es dabei laut dem aktuellen Bericht des GKV-Spitzenverbandes auch um systematische Abrechnungsmanipulationen. Das Fehlverhalten kann durch Leistungserbringende, Versicherte, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder auch von Mitarbeitenden der Kranken- und Pflegekassen begangen werden.

Bei “Unregelmäßigkeiten” kann es sich dabei um verschiedene Straftatbestände handeln. Primär werden dabei Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen erfasst, so der GKV-Spitzenverband in dem aktuellen Bericht. Dabei handelt es sich etwa um Betrug, Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung generell oder im geschäftlichen Verkehr oder Gesundheitswesen, Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung. Auch klassische Begleitdelikte fallen unter “Unregelmäßigkeiten”, etwa Urkundenfälschung oder das Fälschen bzw. Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse. Außerdem einschlägige Straftatbestände des Nebenstrafrechts und Ordnungswidrigkeiten.

Bei der “rechtswidrigen Nutzung von Finanzmitteln” werden laut dem Bericht regelwidrige Vermögensverfügungen zulasten der Finanzmittel der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung erfasst, etwa Verstöße gegen sozialgesetzliche Verbote wie etwa gegen Zuweisungsverbote, das Verbot der Zuweisung gegen Entgelt, das Depotverbot, das Beteilungs- oder Zuwendungsverbot.

Welche Arten von Fehlverhalten besonders oft gemeldet wurden

Dem aktuellen Bericht lässt sich auch entnehmen, dass besonders die folgenden Fallgruppen regelmäßig wiederkehrend gemeldet wurden:

  • Abrechnung nicht erbrachter Leistungen (Luftleistungen, Doppelabrechnung)

  • Abrechnung nicht mit vertragsgemäßer Qualifikation erbrachter Leistungen

  • Abrechnung höherwertiger Leistungen als erbracht (Aufwertung, Upcoding)

  • Abrechnung nicht persönlich erbrachter Leistungen (unzulässige Delegation)

  • Abrechnung anderer als der erbrachten Leistungen

  • Abrechnung unwirtschaftlicher, medizinisch nicht indizierter Leistungen

  • Verstoß gegen das Verbot unzulässiger Zusammenarbeit (§§ 73 Absatz 7, 128 SGB V)

  • Urkundenfälschung, z. B. Verordnungs-, Rezept- oder Zertifikatsfälschung

  • Leistungsmissbrauch: beim Missbrauch der Versichertenkarte (§ 15 Absatz 6 Satz 2 SGB V), bei durch den Versicherten zu beantragenden Leistungen, wie z. B. § 38 oder § 44 SGB V; § 39 SGB XI oder bei der Beantragung von Leistungen nach dem AAG

Externe Hinweise betreffen vor allem Pflegeversicherung

Der Bericht zeige, dass alle Leistungsbereiche der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung von Fehlverhalten betroffen sind, so der GKV-Spitzenverband in der aktuellen Pressemitteilung. Die meisten externen Hinweise allerdings betrafen laut GKV-Spitzenverband die Pflegeversicherung, gefolgt von der häuslichen Krankenpflege. Fast 50 Prozent aller externen Hinweise betrafen damit Fehlverhalten im Bereich der Pflege.

Höchste Schäden bei Arznei- und Verbandsmitteln

Die höchsten finanziellen Schäden allerdings entstanden bei den Arznei- und Verbandmitteln. Rund 86 Millionen Euro Schäden wurden in diesem Leistungsbereich verzeichnet. Bei den Arznei- und Verbandsmittel gab es auch die höchstens gesicherten Forderungen (37 Millionen Euro). Trotzdem kam es damit zu Ausfällen von etwa 50 Millionen Euro, so der GKV-Spitzenverband.

“In den vergangenen beiden Jahren hat vor allem die Zahl professionell gefälschter Papierrezepte drastisch zugenommen”, schreibt der GKV-Spitzenverband, “Kriminellen gelingt es dabei - trotz regelmäßiger Warnungen der Krankenkassen - immer öfter, gefälschte Verordnungen für besonders hochpreisige Arzneimittel (wie z. B. Ozempic oder Mounjaro, aber auch Schmerzmittel wie Fentanyl oder Tilidin) in Apotheken einzulösen, die dann zu Lasten der Kostenträger abgerechnet werden. Auch vergleichsweise wenige Fälle verursachen hier im Ergebnis hohe Schadenssummen.”

GKV-Spitzenverband erwartet großes Dunkelfeld bei Fallzahlen und Schäden

Die Aussagekraft der Schadenssummen sei aber eingeschränkt, so der aktuelle Bericht, da nur jene Schäden und Forderungen beziffert würden, die den betreffenden Stellen bekannt geworden seien. Das Bundeskriminalamt vermute bei Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen eine hohe Dunkelziffer, sowohl die Fallzahlen als auch die monetären Schäden betreffend.

Auf dieses Dunkelfeld könnte sich auch die Covid-19-Pandemie ausgewirkt haben, so der Bericht. Denn in deren Folge musste etwa die Durchführung von Qualitätsprüfungen des Medizinischen Dienst und damit auch die jährliche Abrechnungsprüfung ambulanter Pflegedienste ausgesetzt werden. Auch die Pflegebedürftigkeit wurde nur auf Basis von Telefoninterviews begutachtet. “Insoweit könnte sich die Covid-19-Pandemie auch noch im vorliegenden Berichtszeitraum 2022/2023 auf die Entdeckungswahrscheinlichkeit von Fehlverhalten im Gesundheitswesen ausgewirkt und zu einer Vergrößerung des möglichen Dunkelfeldes beigetragen haben”, heißt es in dem aktuellen Bericht. Schon im Berichtszeitraum 2020/2021 habe die Pandemie die Prüfung von Hinweisen und Ermittlung von Fällen verzögert.

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