Häusliche Gewalt in der Corona-Krise nimmt zu: Wie gehe ich mit Gewaltopfern um?
A&W RedaktionRund 25 Prozent der Frauen haben mindestens einmal körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. Diese Zahl dürfte während der Corona-Krise weiter steigen. Deutlich geringer, aber dennoch vorhanden, ist zudem der Anteil der Männer, die unter häuslicher Gewalt leiden. Viele Opfer wenden sich wegen ihrer Verletzungen an einen Arzt. Doch was kann man tun, wenn eine Patientin oder ein Patient offensichtlich Opfer von Gewalt wurde? Hier ein kleiner Leitfaden.
Die Patientin oder der Patient beharrt darauf, gestolpert zu sein, doch das Muster der Verletzungen passt überhaupt nicht dazu. Es ist eindeutig, dass die Person geschlagen wurde. In dieser schwierigen Situation die richtigen Worte zu finden, ist nicht leicht. Was hilft, ist eine standardisierte Vorgehensweise, die man bei Gewaltopfern gut anwenden kann.
Sichere Gesprächssituation
Ein vertrauensvoller Rahmen ist für ein Gespräch mit Gewaltopfern grundlegend. Das heißt: ein ungestörter Ort, ausreichend Zeit und immer unter vier Augen. Ist eine Begleitperson dabei, sollte man die betroffene Person von ihr trennen, da diese auch der Täter sein kann.
Direktes Ansprechen
Wenn Sie den Verdacht haben, dass Ihre Patientin oder Ihr Patient Opfer von häuslicher Gewalt wurde, ist es am effektivsten, es direkt anzusprechen. Zum Beispiel: „Könnte es sein, dass noch etwas anderes zu Ihren Verletzungen geführt hat?“ Oder: „Wissen Sie, wir haben hier häufiger Patienten, die mit körperlichen Verletzungen zu uns kommen, weil sie von jemandem, der ihnen nahesteht, verletzt worden sind.“ Was eher kontraproduktiv ist, sind konfrontierende Äußerungen wie „Die Verletzungen passen überhaupt nicht zur Unfallursache.“
Schuldverhältnisse klar benennen
Die Leitaffekte von Gewaltopfern sind Angst und Scham. Sie geben sich die Schuld an ihrer demütigenden Situation. Umso mehr tut es ihnen gut, stärkende Formulierungen zu hören wie „Niemand hat das Recht, Sie körperlich und psychisch zu verletzen.“ Ebenso wirken sich solche Ermutigungen positiv auf eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung aus. Da häusliche Gewalt meist wiederholt auftritt, sind dieses Vertrauensverhältnis und das Angebot an die Patientin, jederzeit wiederkommen zu dürfen, besonders wichtig.
Gerichtsfest dokumentieren
Falls die Dokumentation später in einem Gerichtsverfahren verwendet wird, müssen die medizinischen Befunde gerichtsfest dokumentiert werden. Das beinhaltet nicht nur die möglichst wörtlich dokumentierte Anamnese zum Sachverhalt. Auch klinisch nicht relevante Läsionen müssen dokumentiert werden – mit genauer Lokalisation, Größenbeschreibung und Benennung. Optimal sind auch Fotos der Befunde. Außerdem müssen die Spuren gesichert und asserviert werden. Das können bei Sexualdelikten Abstriche von den Oberschenkelinnenseiten sein oder vaginale, bei Würgemalen Abriebe mit feuchten Watteträgern.
Hilfsangebote aufzeigen
Viele Gewaltopfer erleben sich als hilf- und wehrlos. Daher empfiehlt es sich, eine Liste mit Kontaktdaten von lokalen Frauenhäusern, Ansprechpartnern bei der Polizei und dem Jugendamt zusammenzustellen, um einer betroffenen Patientin bei Bedarf auch psychosoziale Hilfsangebote aufzuzeigen.
Die Rechtsmedizin der Uniklink Düsseldorf hat Informationen für die Behandlung von Gewaltopfern zusammengestellt: http://gobsis.de/anleitungen/