Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Praxisführung

Künftig können gesetzlich krankenversicherte Patienten auch per Videosprechstunde krankgeschrieben werden. Das teilte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) vor Kurzem mit. Es bedarf im Akutfall keiner persönlichen Vorstellung mehr, wenn der Patient schon einmal in der Praxis behandelt worden ist. Bis zu sieben Tage Arbeitsunfähigkeit dürfen ihm dann bescheinigt werden, sofern die Erkrankung eine Diagnose via Video erlaubt.

Folgekrankschreibungen sind ausgenommen

Überquellende Wartezimmer mit einer Fülle an banalen Atemwegsinfekten in der kühlen Jahreszeit dürften so deutlich reduziert werden. Folgekrankschreibungen bedürfen allerdings nach wie vor einer vorangegangenen persönlichen Untersuchung. So soll vereinzelten Fällen von Missbrauch vorgebeugt werden. Einen Anspruch auf den digitalen Zusatzservice haben Patienten allerdings nicht. Vertragsärztinnen und -ärzte dürfen sie auch weiterhin in die Praxis bitten.

Bislang durfte die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit laut Richtlinie nur aufgrund einer persönlichen ärztlichen Untersuchung erfolgen. Doch bisweilen schleppten sich die Patienten weniger aus medizinischen als aus arbeitsrechtlichen Gründen in die Praxis. Im Zuge der Corona-Krise war bereits ab dem 9. März 2020 eine Sonderrichtlinie zur telefonischen Krankschreibung bei Atemwegsinfekten etabliert worden, die bundesweit allerdings am 31. Mai wieder auslief und Mitte Juli nur noch in den stark betroffenen Landkreisen Gütersloh und Warendorf möglich war. Die aktuelle Anpassung der AU-Richtlinie erfolgte jedoch unabhängig vom Pandemiegeschehen, wie der G-BA betont. Vielmehr stellt sie einen weiteren Schritt in der Etablierung der Telemedizin dar, ihre Gültigkeit ist also auf Dauer angelegt.

Akzeptanz der Patienten für Videosprechstunde ist hoch

Denn anders als man vielleicht vermuten könnte, ist der neue Beschluss nicht auf dem Boden der Corona-Krise gewachsen. Hintergrund ist vielmehr die Lockerung des ausschließlichen Fernbehandlungsverbots in der Musterberufsordnung. Der Akzeptanz der Patienten dürften die Ereignisse der letzten Monate dennoch zuträglich sein. Während des Lockdowns haben sich viele an die Bildschirmkommunikation gewöhnt. So konnten sich im Juli 2020 bei einer Umfrage von bitkom 45 Prozent vorstellen, künftig auch online zum Arzt zu gehen. Im Mai 2019 befürworteten erst 30 Prozent diese Option.

Online-Geschäfte mit AU-Bescheinigungen sind nicht zu befürchten

Das Ende des Wartezimmers bedeutet die neue Regelung nicht, auch Call-Center sind nicht zu befürchten. Standard soll die unmittelbare persönliche Untersuchung bleiben, betont Dr. Monika Lelgemann, unparteiisches Mitglied beim G-BA. Auch dürften noch interessante Diskussionen in der Ärzteschaft und bei Arbeitsrechtlern darüber entstehen, welche Krankheiten denn per Video feststellbar sind und welche nicht. Zunächst wird der Beschluss mit den Neuregelungen nun dem Bundesgesundheitsministerium vorgelegt und tritt bei Nichtbeanstandung und nach Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft.

Online- oder Chatbefragungen oder ein ausschließliches Telefonat ohne jemaligen Echtkontakt, mit denen vereinzelte Anbieter schon lukrative Geschäfte witterten, werden für eine AU-Ausstellung nicht ausreichen, darauf weist Prof. Michael Fuhlrott vom Verband deutscher ArbeitsrechtAnwälte e.V. hin. Arbeitnehmer, die eine solche Bescheinigung vorlegten, mussten damit rechnen, dass diese vom Arbeitgeber nicht anerkannt wird, daran erinnert der Fachanwalt.