Therapie für ehemalige Intensivpatienten mit PTBS-Symptomen
Deborah WeinbuchEtwa ein Fünftel aller Überlebenden einer Intensivbehandlung entwickeln PTBS-Symptome. Mit einer Gesprächsintervention können Hausärztinnen und Hausärzte diese frühzeitig lindern, wie eine Studie zeigt.
Etwa 20 Prozent aller ehemaligen Intensivpatientinnen und -patienten entwickeln eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), erklärt Prof. Jochen Gensichen, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am LMU Klinikum in München. Während sich so ausgelöste Depressionen meist nach sechs Monaten zurückbilden, bleiben PTBS-Symptome häufig bestehen. „Die Betroffenen haben oft keine manifeste Diagnose, leiden aber unter Flashbacks, Albträumen oder permanenter Anspannung“, so Gensichen. Er forscht seit Jahren zu psychischen Folgen nach intensivmedizinischer Behandlung.
Wie PTBS-Symptome entstehen
PTBS kann entstehen, wenn eine Situation als lebensbedrohlich empfunden wird und gleichzeitig völlige Hilflosigkeit besteht. „Auf der Intensivstation erleben Menschen genau das – sie sind dem Tod entronnen.“ Auch Lärm, das Leid anderer Patienten und der Verlust jeglicher Autonomie wirken belastend. Das Aufwachen nach einer Narkose ist eine besonders vulnerable Phase: „Motorik, Kognition und Sensorik starten nicht gleichzeitig, Eindrücke bleiben fragmentarisch“, erklärt Gensichen. „Später passen dann Emotion und Faktum oft nicht zusammen. Ein banales Geräusch wie das Aufreißen einer Plastiktüte kann die Panik von damals auslösen“, sagt Gensichen.
Studien von Prof. David Clark (Oxford) zeigen, dass kognitive Verhaltenstherapie idealerweise innerhalb von 50 Tagen beginnen sollte, sonst sinkt der Therapieerfolg um 20 bis 25 Prozent. Doch oft beträgt die Wartezeit beim Psychotherapeuten 90 Tage. Mit einer hausärztlich angepassten Kurzintervention will Gensichen diese Lücke schließen. Ziel ist, Erinnerungen neu zu ordnen und klar zwischen früherer Bedrohung und heutiger Sicherheit zu unterscheiden.
PICTURE-Studie zeigt Wirkung
Die Wirksamkeit dieser Intervention untersuchte Gensichens Team in der multizentrischen PICTURE-Studie, veröffentlicht im BMJ. In 319 Praxen wurden Erwachsene mit leichten bis mittleren PTBS-Symptomen nach einer Intensivbehandlung begleitet. Die Interventionsgruppe erhielt drei hausärztlich geleitete Sitzungen mit narrativer Expositionstherapie (NET) sowie acht Telefonkontakte mit medizinischen Fachkräften.
So werden Patienten mit PTBS-Symptomen behandelt
Zuerst wird die Lebensgeschichte nachgezeichnet, die Intensivstationserfahrung darin verortet. Es folgt die detaillierte Exposition: „Wer stand am Bett, welche Geräusche waren zu hören?“ Zwischendurch wird der Patient immer wieder im Hier und Jetzt verankert: „Fühlen Sie den Stuhl, auf dem Sie sitzen. Sie sind sicher.“ Das Pendeln zwischen damals und jetzt ordnet die Erinnerung neu. Nach sechs Monaten sank der mittlere PTBS-Score in der Interventionsgruppe um 6,2 Punkte, in der Kontrollgruppe um 1,5 Punkte.
28 Prozent der Behandelten erreichten eine Symptomreduktion von über 50 Prozent. Auch Depression, Angst und Lebensqualität verbesserten sich. „Das Hyperarousal blieb jedoch – hier braucht es ergänzende Therapien“, so Gensichen. Eine Retraumatisierung sei nicht zu befürchten: „Retraumatisierend ist ein Flashback in der U-Bahn, nicht das strukturierte Durcharbeiten im sicheren Rahmen.“
Nützliche Ressourcen
Die NET ist via psychosomatische Grundversorgung abrechenbar
Gensichen sieht zudem Potenzial, das Konzept in die Regelversorgung zu integrieren. „Gerade Hausärzte haben einen niederschwelligen, stigmafreien Zugang. Wenn wir diese Brücke nutzen, können wir vielen Patienten frühzeitig helfen und ihre Arbeitsfähigkeit erhalten“.
Die Intervention ist in Prof. Gensichens Buch „Psychologische Kurzinterventionen. Für die Hausarztpraxis und die Psychosomatische Grundversorgung“ beschrieben.
Schulungsmanuale sind auch bei der Stiftung Allgemeinmedizin München auf Anfrage erhältlich.