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Recht

Inwieweit Jugendliche wirksam in medizinische Behandlungen einwilligen oder diese verweigern können, ist immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen. In jüngster Zeit waren vor allem Corona-Schutzimpfungen ein Thema. Benötigen Ärztinnen und Ärzte bei einem Jugendlichen ab 14 Jahren die Einwilligung der Eltern? Und sollten sie die Immunisierung durchführen, wenn nur die Eltern sie befürworten, der Jugendliche aber nicht?

In dem vom Oberlandesgericht Dresden entschiedenen Fall waren die getrenntlebenden und gemeinsam sorgeberechtigten Eltern eines 14-jährigen Mädchens sich nicht über eine Corona-Schutzimpfung einig (28.01.2022, Az. 20 UF 875/21). Der Vater befürwortete sie, Mutter und Tochter standen ihr kritisch gegenüber. Die Tochter selbst wünschte sich vor einer endgültigen Entscheidung eine ausführliche ärztliche Beratung durch ihre langjährige Kinderärztin.

Der Vater beantragte beim Amtsgericht im Rahmen eines Eilverfahrens, ihm die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Schutzimpfung zu übertragen. Das Amtsgericht gab dem Antrag unter Hinweis auf die eindeutige Empfehlung des Robert Koch-Instituts (RKI) statt. In den vergangenen zwei Jahren gab es einige gerichtliche Entscheidungen, die besagen, dass bei einem Streit gemeinsam sorgeberechtigter Eltern über eine Corona-Schutzimpfung des Kindes demjenigen Elternteil das alleinige Entscheidungsrecht zu übertragen sei, der sich an die Impfempfehlung des RKI hält. Das gilt übrigens auch für andere Impfungen.

Willen des Teenagers akzeptieren

Das Mädchen legte gegen die Entscheidung Beschwerde ein. Zwar vertrat auch das Oberlandesgericht Dresden die Auffassung, dass die Entscheidungsbefugnis regelmäßig auf den Elternteil zu übertragen sei, der sich in Übereinstimmung mit den Empfehlungen des RKI befindet. Dieser Grundsatz gilt nach Auffassung des Gerichts aber nur, wenn das Kind nicht ausdrücklich andere Vorstellungen äußere. Bei Kindern, die 14 Jahre alt sind, sei davon auszugehen, dass ihnen eine eigene Meinungsbildung auf Grundlage der breit geführten medialen Diskussion zu Corona möglich sein könne.

Der Gesetzgeber sehe in der Altersgrenze von 14 Jahren eine maßgebliche Schwelle, ab der Jugendliche über eine gewisse Einsichtsfähigkeit verfügen (siehe Kasten). Dem Mädchen traute das Gericht diese Einsichtsfähigkeit zu. Sie habe ausdrücklich erklärt, noch keine eindeutige Entscheidung getroffen zu haben. Das Gericht wies darauf hin, dass das gewünschte Aufklärungsgespräch mit der Kinderärztin nicht nur eine Alibifunktion habe. Führe die Aufklärung der Tochter dazu, deren bisher eher skeptische Haltung gegenüber einer Impfung zu verstärken, so habe der Vater dies zu akzeptieren.

Einwilligungsfähigkeit
Für die Wirksamkeit einer Einwilligung kommt es nicht auf die Geschäftsfähigkeit an, sondern laut Bundesgerichtshof darauf, ob der Minderjährige „nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag“. Der Minderjährige muss also eine eigenständige Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen können. Nach herrschender Meinung ist davon auszugehen, dass Minderjährige unter 14 Jahren nur in Ausnahmefällen einwilligungsfähig sind. Je älter der Jugendliche, desto mehr Gewicht kommt seiner Entscheidung zu. Daher muss auch ein Heranwachsender seinem Alter und Reifegrad entsprechend in die Entscheidung und Aufklärung einbezogen werden. Ist ein Jugendlicher einwilligungsfähig, kommt es allein auf seine Einwilligung an und nicht auf Wunsch und Willen der Sorgeberechtigten. Dies muss der Arzt aber in jedem Einzelfall sorgfältig prüfen und gut dokumentieren.