Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Recht

Viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte kennen das: In der Mittagspause noch schnell die Hausbesuche erledigen, bevor am Nachmittag die Praxis wieder öffnet. Da ist der Zeitdruck oft groß. Und plötzlich steht am Straßenrand ein Blitzer, den es an dieser Stelle bislang nicht gab. Einige Wochen später flattert der Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsverstoß ins Haus. In gravierenden Fällen gibt es vielleicht sogar ein einmonatiges Fahrverbot. Für Ärztinnen und Ärzte ist das ein Desaster. Schnell kommt die Frage auf: War ich wirklich so schnell unterwegs?

Zahlreiche Bescheide wegen Geschwindigkeitsverstoß sind fehlerhaft

Für all jene, die den Messergebnissen der Starenkästen nicht trauen, gibt es nun eine gute Nachricht: Autofahrer, die wegen zu Geschwindigkeitsverstoß erfasst wurden und Zweifel daran haben, dass die Messung korrekt war, können einen Anspruch auf Einsicht auch in Details der Messdaten haben, die sich nicht in der Bußgeldakte befinden. Das entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Hinweis auf den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit sowie auf ein faires Verfahren (Beschluss vom 12.11.2020, Az. 2 BvR 1616/18). Schätzungen zufolge ist in Deutschland jeder dritte Bußgeldbescheid fehlerhaft. Bei Geschwindigkeitsüberschreitungen gehen manche Fachleute sogar von 80 Prozent Fehlerquote aus. Auch in dem entschiedenen Fall hatte ein Fahrer Zweifel an den Messergebnissen. Er verlangte von der Behörde Zugang zur sogenannten Lebensakte des Messgeräts sowie zu den Rohmessdaten – zunächst ohne Erfolg. Bei einer Geschwindigkeitsmessung handele es sich um ein standardisiertes Messverfahren. Das Gerät sei geeicht gewesen und durch geschultes Personal nach Vorschrift bedient worden. Die Richtigkeit des gemessenen Geschwindigkeitswerts sei damit indiziert. Der Fahrer klagte durch alle Instanzen. Erst vor dem BVerfG fand er Gehör.

Das Gericht wies zwar darauf hin, dass es nicht zu be­anstanden sei, dass die Gerichte im Falle eines standardisierten Messverfahrens von einer reduzierten Sachverhaltsaufklärungs- und Darlegungspflicht ausgehen. Bestünden keine Bedenken gegen die Richtigkeit eines Messergebnisses, genüge daher zum Nachweis des Geschwindigkeitsverstoßes grundsätzlich die Mitteilung des eingesetzten Messverfahrens, die ermittelte Geschwindigkeit nach Abzug der Toleranz und der berücksichtigte Toleranzwert.

Betroffenenrechte gestärkt

Dem Betroffenen und seinem Verteidiger müssten bei Zweifeln aber auch solche Informationen zur Verfügung gestellt werden, die sich nicht in der Akte befinden, aber von dem Messgerät erfasst sind. Nur dann, so die Ansicht der Richter, sei gewährleistet, dass der betroffene Autofahrer wirklich alle Informationen erhält, die er braucht, um einen eventuellen Messfehler überhaupt festzustellen und bei Gericht begründen zu können.

Der ADAC begrüßt den Beschluss. ADAC-Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand: „Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Beitrag zu mehr Fairness bei Bußgeldverfahren. Die Möglichkeit, auf Rohdaten der Messgeräte zuzugreifen, kann im Zweifel auch dazu beitragen, die Akzeptanz von Bußgeldbescheiden zu erhöhen.“

Das sollten Sie wissen
Nun ist für alle Gerichte bindend entschieden, dass die Verwaltungsbehörden verpflichtet sind, einem geblitzten Autofahrer beziehungsweise dessen Anwalt alle Rohmessdaten eines Messgeräts herauszugeben, damit der Betroffene überhaupt überprüfen kann, ob die Geschwindigkeitsmessung korrekt erfolgt ist. Denn nur so hat der geblitzte Autofahrer überhaupt die Chance, seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid richtig zu begründen – und damit Aussicht auf Erfolg. Betroffen davon sind laut ADAC alle Messgeräte, die Rohmessdaten abspeichern.