Kleines Krankenhaus haftet auch für Versäumnisse der größeren Zentralklinik
Judith MeisterArbeitet eine kleine Klinik bei der Behandlung von Schlaganfall-Patienten mit Kollegen eines größeren Hauses zusammen, sind enge Absprachen zwingend. Fehlt es daran, haftet sie auch für Fehler des Kooperationspartners.
Eine 46-jährige Frau bricht in ihrem Wohnzimmer zusammen und wird mit dem Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht. Eine knappe halbe Stunde später veranlassen die Ärzte eine CT-Untersuchung, die sie telemedizinisch an die Ärzte des größeren Zentralklinikums senden. Diese werten die Befunde aus und erstellen eine Diagnose.
Weil sich der Zustand der Patientin nicht bessert, wendet sich der Arzt des kleineren Hauses anderthalb Stunden nach dem ersten CT erneut ans Zentralklinikum und bittet um eine Neubefundung per CT-Angiografie. Es vergehen jedoch fast zwei Stunden, bevor von dort die Diagnose „akuter ischämischer Mediainfarkts rechts“ übermittelt wird. Eine weitere Stunde verstreicht, bevor die Patientin mit dem Rettungswagen in eine besser ausgestattete Klinik verlegt wird. Ein Rettungshubschrauber konnte wegen schlechten Wetters nicht starten.
80 Minuten Verzögerung durch schlechte Organisation
Die Patientin ist heute schwerbehindert. Sie leidet unter einer linksseitigen spastischen Hemiparese. Sie ist pflegebedürftig und auf eine Gehilfe angewiesen. In ihrer Klage warf sie der Klinik vor, diese habe nicht nur die Diagnostik, sondern auch die notwendige Verlegung in ein anderes Krankenhaus schuldhaft verzögert. Bei rechtzeitigem Handeln hätte sich der schwere Schlaganfall mit bleibender Behinderung verhindern lassen.
Das Landgericht München I hörte im Rahmen des Verfahrens einen Internisten als Sachverständigen an. Er ist in einem telemedizinischem Netzwerk tätig, das dem System ähnelt, das im Krankenhaus der Schlaganfallpatientin zum Einsatz kommt. Seine Einschätzung: Die Behandlung der Frau war schon insoweit fehlerhaft, als sich die CT-Angiografie durch die mangelnde Kommunikation mindestens 80 Minuten verzögerte.
SOP sind zwingend
Das Gericht schloss sich dieser Einschätzung an. Das Zentralklinikum hätte schon in der Zeit nach der erstmaligen Kontaktaufnahme schneller reagieren müssen. Die angeforderte Auswertung der radiologischen Befunde hätte so zügig wie möglich erfolgen müssen. Auch, dass es eine mindestens halbstündige Verzögerung vor der Angiographie gegeben habe, müsse sich das kleine Krankenhaus vorwerfen lassen.
Um auch als kleines Haus die komplexe Versorgung einer Schlaganfallpatientin sachgerecht durchführen zu können, sei eine engmaschige Vernetzung mit dem Kooperationspartner erforderlich. Dazu gehören detaillierte Regelungen, wer für was zuständig ist. Solche Regeln können beispielsweise in einer SOP (Standard-Operating-Procedure) niedergelegt werden. Wenn sich die Beteiligten hingegen nur darauf verständigen, im Rahmen der telemedizinischen Versorgung leitlinienkonform behandeln zu wollen, kommen sie ihrer Absprache- und Koordinationsverpflichtung nicht ausreichend nach.
Ferner hätte das Zentralklinikum bereits 15 Minuten nach Aufnahme der Klägerin einen Neurologen hinzuziehen müssen, statt sich auf die Radiologie zu verlassen.
Angesichts dieser Versäumnisse bejahte das Landgericht einen groben Behandlungsfehler. Sie verurteilte die beklagte Klinik, 120.000 EUR Schmerzensgeld an die Patientin zu zahlen (LG München II, Az – 1 O 4395/20).