Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Recht

Die Tendenz zu vermehrter Aggression gegenüber Ärztinnen und Ärzten besteht weltweit schon seit mehreren Jahren. Corona hat die Situation noch einmal verschärft. Nicht alle Patienten sind mit den Corona-Maßnahmen einverstanden. Manche tragen ihre Maske demonstrativ auf Halbmast oder kommen trotz Erkältungssymptomen in die normale Sprechstunde oder in die Notaufnahme.

Andere sind einfach generell gestresst – oder ganz besonders besorgt, sich in der Arztpraxis oder im Krankenhaus anstecken zu können. Kommt es dann zu Wartezeiten, einer Zurechtweisung oder einem Nein, liegen schnell die Nerven blank. Dann wird geschimpft, beleidigt oder geschrien. Manchmal sogar gedroht, geschubst oder geschlagen.

Seit der Corona-Pandemie nehmen gewalttätige Übergriffe zu

Die Ärztekammer Niedersachsen etwa beklagt in der Corona-Pandemie häufiger gewalttätige Übergriffe und aggressives Verhalten gegenüber Ärztinnen und Ärzten. Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, monierte gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS), dass Attacken wie die gegenwärtigen vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen seien.

Ulrich Weigeldt, Vorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, sagt, dass gerade impfkritische Menschen Arztpraxen zunehmend als „Instrument der Politik“ wahrnähmen. Als Reaktion auf die Bedrohung rief der Deutsche Ärztetag Anfang November dazu auf, „Gewalt gegen medizinisches Personal gesamtgesellschaftlich zu ächten“.

Corona-Leugner als relevantes Risiko

Die FAS berichtete zudem, dass das Bundeskriminalamt „Impfgegner oder Corona-Leugner“ als „relevantes Risiko“ im Zusammenhang mit Angriffen auf Impfzentren oder Arztpraxen einstuft. Für das „dort tätige Personal besteht die Gefahr, zumindest verbalen Anfeindungen bis hin zu Straftaten“ wie etwa Körperverletzung ausgesetzt zu sein.

Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte

Eine Ärztebefragung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des NAV-Virchow-Bundes unter 7.000 Medizinern im Jahr 2018 hat ergeben, dass es statistisch betrachtet jeden Tag zu mindestens 75 Fällen von körperlicher Gewalt gegen niedergelassene Ärzte und ihre Praxisteams kommt. Jeder vierte Arzt hat demnach bereits konkrete Erfahrungen mit körperlichen Übergriffen. Vier von zehn ambulant tätigen Medizinern sind zudem täglich Opfer von verbaler Gewalt.

Das Hausrecht – ein wirkungsvolles rechtliches Mittel

Bei verbalen oder gar körperlichen Übergriffen können Ärztinnen und Ärzte von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und ein Hausverbot aussprechen. Es ist ein wirkungsvolles rechtliches Mittel, um einen Patienten der Praxis zu verweisen. Das Hausrecht steht grundsätzlich dem Eigentümer des Gebäudes oder der Praxis zu. Es geht aber auf den Mieter über. Bei einer Arztpraxis ist das der Praxisinhaber oder die Praxisinhaberin.

Doch nicht nur der Chef selbst, auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können gegenüber einem Patienten ein Hausverbot aussprechen. Der Praxisinhaber muss sie aber zuvor mündlich oder schriftlich dazu ermächtigt haben.

Regeln für den Ernstfall

Damit das im Ernstfall funktioniert, ist es sinnvoll, in einer Teambesprechung festzulegen, wer außer dem Praxischef noch ein Hausverbot aussprechen darf.  Infrage kommen zum Beispiel die Praxismanagerin oder eine langjährig beschäftigte MFA. Damit kann das Personal auch dann auf brenzlige Situationen reagieren, wenn der Chef mal nicht in der Nähe ist.

Und wenn ein medizinischer Notfall vorliegt und der Patient trotzdem ausrastet? Niemand ist verpflichtet, sich selbst zu gefährden. Die eigene Sicherheit steht gerade für die helfenden Berufe an erster Stelle. Liegt ein solcher Notfall vor und verhält sich der Patient so aggressiv, dass der Arzt ihn nicht behandeln kann, muss er die Polizei rufen.

Hausverbot erteilen

§ 123 StGB
„Wer … in die Geschäftsräume … widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“

Ist in einem Streit die rote Linie überschritten und möchte der Praxisinhaber oder eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter ein Hausverbot aussprechen, sollten sie dabei ruhig und bestimmt vorgehen. Sie sollten den Patienten unmissverständlich zum Verlassen der Praxis auffordern. Dies kann etwa so formuliert werden: „Hiermit erteile ich Ihnen Hausverbot. Verlassen Sie bitte sofort meine Praxis.“

Kommt der Patient dieser Aufforderung nicht nach, begeht er einen Hausfriedensbruch. Er macht sich nach § 123 des Strafgesetzbuchs (StGB) strafbar (siehe Kasten rechts). Geht der Patient trotz wiederholter Aufforderung nicht freiwillig, sollte das Praxispersonal die Polizei rufen. Das ist keine Überreaktion, sondern Ausdruck ruhigen und konsequenten Handelns. Und es ist allemal besser, als den Patienten eigenhändig vor die Tür zu setzen.

Ein Hausverbot kann zeitlich unbefristet ausgesprochen werden. Es kann aber auch befristet werden, beispielsweise auf ein Jahr. Ob Ärzte allerdings einen Patienten, den sie einmal hinausgeworfen haben, wieder behandeln möchten, müssen sie selbst entscheiden. Oft ist das Vertrauensverhältnis unwiederbringlich zerstört.

Hausfriedensbruch wird nur auf Antrag verfolgt

Taucht der Patient trotz Hausverbots wieder in der Praxis auf, liegt ein erneuter Hausfriedensbruch vor. Alle Mitarbeiter sollten daher auch nach einer gewissen Zeit und nach einem möglichen Personalwechsel noch darüber informiert sein, welche Patienten in der Praxis unerwünscht sind.

Sollte eine MFA mit einem solchen Patienten in Unkenntnis des Hausverbots telefonisch einen Termin vereinbart haben, liegt darin aber noch keine Rücknahme des Hausverbots. Der Patient kann beim Betreten der Praxis darauf hingewiesen werden – es sei denn, es liegt ein medizinischer Notfall vor.

Wer wegen eines Hausfriedensbruchs eine strafrechtliche Verfolgung des Patienten wünscht, muss allerdings selbst aktiv werden. Der Hausfriedensbruch wird nur auf Antrag verfolgt. Als Praxisinhaber müssen Sie dazu innerhalb von drei Monaten bei der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft, der Polizei oder dem Amtsgericht einen Strafantrag stellen. Die Strafanzeige allein genügt nicht.

Nach Vorfall eine Dokumentation erstellen

Da die Beteiligten sich nach einiger Zeit häufig nicht mehr an die Umstände und Details eines Hausverbots erinnern, sollten Ärztinnen und Ärzte unmittelbar nach einem solchen Vorfall eine Dokumentation erstellen. Diese sollte das Datum, die Namen aller Beteiligten und Zeugen und den genauen Ablauf enthalten. Besonders die Benennung von Zeugen ist wichtig. Das können eigene Praxismitarbeiter ebenso sein wie zufällig anwesende Patienten oder die zu Hilfe gerufenen Polizeibeamten. Damit können Praxisinhaber im Falle eines Strafantrags den Hergang beweisen.

Gleichzeitig dient es zur eigenen Entlastung gegenüber Rückfragen der Ärztekammer oder der Kassenärztlichen Vereinigung. Denn nicht selten drehen Patienten den Spieß um. Manche Patienten stellen eine Strafanzeige gegen den Arzt oder seine Mitarbeiter, etwa wegen unterlassener Hilfeleistung, Beleidigung, Körperverletzung oder Nötigung. Mit einer sorgfältigen Dokumentation können Ärzte die Vorwürfe ausräumen.

Verhält sich ein Patient beleidigend oder aggressiv, besteht in jedem Fall ein wichtiger Grund für eine Beendigung des Vertragsverhältnisses, sowohl bei Kassen- als auch bei Privatpatienten. Nach dem Bundesmantelvertrag-Ärzte dürfen Ärztinnen und Ärzte die Behandlung eines Kassenpatienten dann ablehnen, wenn ein besonderer Grund dafür vorliegt (§ 13 Abs. 7 BMV-Ä). Ein solcher besteht immer dann, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestört ist. Die Behandlung ist dem Arzt dann nicht zumutbar.

Gewalt am Arbeitsplatz

So schützen Sie Ihre Praxismitarbeiter und -mitarbeiterinnen

Nicht nur körperliche Gewalt hat Auswirkungen auf die Mitarbeitenden, auch verbale Gewalt kann als extrem bedrohlich wahrgenommen werden. Vorbeugen und Aufarbeiten sind dabei die zwei wichtigsten Werkzeuge.

1. Prävention

Über eine Gefährdungsbeurteilung kann der Praxisinhaber ermitteln, welchen Gefahren seine Mitarbeitenden ausgesetzt sind. Das können zum Beispiel verbale Gewalt oder tätliche Angriffe sein. Dabei spielt auch der Ort eine Rolle. Denn es macht einen Unterschied, ob die Gewalt in der Arztpraxis stattfindet oder etwa bei einem Hausbesuch. Eine Gewalterfahrung in der Praxis wird möglicherweise wegen der anwesenden Kolleginnen und Kollegen als weniger bedrohlich empfunden als eine Gewalterfahrung einer Versorgungsassistentin auf Hausbesuch. Der Praxisinhaber sollte überlegen, welche Präventionsmaßnahmen er implementieren kann, um gefährlichen Situationen vorzubeugen.
Das können zum Beispiel folgende Maßnahmen sein:

  • Die Anmeldung und der Wartebereich in der Praxis sollten hell, freundlich und offen gestaltet werden.
  • An der Anmeldung und in den Behandlungsräumen sollten keine Scheren, Messer, Locher, Reflexhammer oder Briefbeschwerer offen herumliegen, die als Waffen benutzt werden könnten.
  • Wartezeiten sollten möglichst gering gehalten werden. Das sorgt für weniger Frustration unter den Patienten.
  • Schulen Sie die Mitarbeitenden in deeskalierendem Verhalten, Konfliktmanagement und den entsprechenden Kommunikationstechniken – auch mit externen Seminaren.
  • Notknöpfe an der Anmeldung oder im Behandlungsraum können einen Notfall melden.
  • Vereinbaren Sie in der Praxis ein Codewort, mit dem man dezent signalisieren kann, dass man Hilfe von Kollegen braucht.
  • Thematisieren Sie Gewalt am Arbeitsplatz in Teambesprechungen. Machen Sie klar, dass niemand im Team verbale oder körperliche Übergriffe aushalten muss. Und dass Übergriffe Konsequenzen haben wie etwa den Ausspruch eines Hausverbots gegenüber einem Patienten oder die Verständigung der Polizei.
  • Buchen Sie ein spezielles Training für sich und Ihre Mitarbeitenden. Zahlreiche Kassenärztliche Vereinigungen und Ärztekammern bieten mittlerweile Trainings für medizinisches Personal an.
  • Machen Sie deutlich, dass jeder Mitarbeitende in einer brenzligen Situation nachgeben darf, um sich selbst nicht in Gefahr zu bringen. Der Patient erhält dann erst einmal das, was er will. Das muss aber noch nicht bedeuten, dass er damit durchkommt. Eine Konsequenz kann es danach geben – zum Beispiel durch eine Anzeige bei der Polizei oder ein später ausgesprochenes Hausverbot. Auch eine Beleidigung kann angezeigt werden.

2. Nach einem Vorfall

Sollte in der Praxis eine Situation mit einem Patienten oder einer Patientin eskaliert sein, sollten Sie den Vorfall mit dem oder der Betroffenen sowie mit dem Team aufarbeiten. Eine Erstbetreuung ist enorm wichtig, denn die Psyche muss das Erlebte verarbeiten. Geschieht das nicht, kann das die folgenden Konsequenzen haben: Der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin

  • ist häufig krank,
  • zieht sich zurück,
  • lässt mangelnde Motivation erkennen,
  • fehlt oft im Job,
  • meidet bestimmte Situationen,
  • entwickelt eine posttraumatische Belastungsstörung.

Ziehen Sie bei gravierenden Vorfällen psychologische Hilfe hinzu.