Wirtschaftsnachrichten für Ärzte | ARZT & WIRTSCHAFT
Klinik

Die Zahlen sind erschreckend. Nach einer aktuellen Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat jede elfte erwerbstätige Person in Deutschland in den vergangenen drei Jahren sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Frauen sind mit einem Anteil von 13 Prozent mehr als doppelt so häufig betroffen wie Männer (fünf Prozent).

Belästigung im Gesundheitswesen

Noch dramatischer ist die Statistik sogar, wenn man spezifisch die Zustände im Gesundheitswesen beleuchtet. Hier hat die Charité Berlin mit ihrer Studie „Watch Protect Prevent“ Pionierarbeit geleistet. Sie belegt, dass gerade ärztliches Personal im Rahmen seiner Arbeit immer wieder Opfer sexueller Übergriffe wird.

60 Prozent der Befragten – Männer wie Frauen – berichteten, mindestens einmal im Laufe ihrer Karriere verbaler Belästigung ausgesetzt gewesen zu sein. Etwa 20 Prozent, vor allem Frauen, haben zudem körperliche Belästigung erlebt. Offenbar erhöhen die Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern, etwa der enge Kontakt mit Patienten aber auch die ausgeprägten Hierarchien, das Risiko für solche Grenzverletzungen.

Mediziner fühlen sich bedroht

Der anonyme Online-Fragebogen wurde an der Charité von 448 Ärztinnen und 289 Ärzten ausgefüllt; das entsprach einer Teilnahmequote von 42 Prozent der Beschäftigten. 76 Prozent der weiblichen und 62 Prozent der männlichen Teilnehmer gaben an, im Lauf ihres Berufslebens bereits eine Form von Belästigung erfahren zu haben.

Bei den Ärztinnen ging die Belästigung fast ausschließlich von Männern aus (85 Prozent der nichtkörperlichen und 95 Prozent der körperlichen Grenzverletzungen), bei den Ärzten überwiegend von Frauen (62 bzw. 87 Prozent). 28 Prozent der Opfer physischer Übergriffe erlebten die konkrete Situation als bedrohlich.

Maßnahmenkatalog soll Übergriffe eindämmen

Angesichts dieser Zahlen hat die Charité inzwischen reagiert: Innerbetriebliche Richtlinien sollen dazu beitragen, dass sexueller Belästigung der Nährboden genommen wird. Die Autoren der Studie haben zudem gemeinsam mit der Hans-Böckler-Stiftung einen Maßnahmenkatalog entwickelt, der Opfern helfen und weitere Übergriffe nach Möglichkeit verhindern soll.

Hilfreich ist bereits die Tatsache, dass die Richtlinie eine klare Definition dessen enthält, was als sexuelle Belästigung anzusehen ist. Betroffene werden zudem ausdrücklich ermutigt, sexuelle Belästigung nicht hinzunehmen und sich dagegen zur Wehr zu setzen (§8 Richtlinie/Broschüre Grenzüberschreitung). Doch auch Unbeteiligte Dritte und Zeugen nimmt das Programm in die Pflicht: Sie werden aufgerufen, eine solidarische Verantwortung zu übernehmen und Betroffenen Hilfe und Unterstützung anzubieten (§7 Richtlinie).

Die Botschaft lautet ganz klar, dass übergriffige Verhaltensweisen nicht toleriert werden dürfen, damit das Krankenhaus wieder ein Ort wird, an dem sich Ärztinnen und Ärzte bei der Arbeit sicher fühlen.